Fabeln, Legenden, Märchen ...

Der Kobold von Schloss Turku
(Finnland)
Unter dem Schloß Turku lebte einst ein Kobold. Der war siebenhundert Haare alt und hatte einen so langen weißen Bart, das er sich den dreimal um den Leib wickeln konnte. Er war ein guter Kerl und als Ältester der Oberkobold im ganzen Land. Immer, wenn das Schloß brannte oder von Fremden überfallen wurde, war er unsichtbar durch Säle und Gewölbe gehuscht und hatte eilig all die kostbaren Schätze zusammengetragen und in sein Reich gebracht. Der Kobold fühlte sich in seinem Verlies so wohl, das er nur selten Kontakt zur Außenwelt suchte. Doch eines Tages ergab es sich, das ihn sein einziger Freund, der alte pensionierte Wachtmeister des Schlosses, Matts Mursten, zur Hochzeit von dessen Urenkelin Rosa, eines gar reizenden Geschöpfes, einlud. Je näher der Tag der Hochzeit kam, desto mehr bedauerte Matts Mursten die Einladung. Was würde der Pfarrer sagen, wenn der Kobold kommen, seine Mütze wenden und dann unsichtbar sein würde? Aber dann kam alles anders, wie es oft im Leben so ist. Der Kobold erschien unsichtbar auf dem Fest, weil er sich vor dem Pfarrer fürchtete. Als Brautgabe setzte er Rosa eine glitzernde goldene Krone, die früher einmal Catharina Jagellinica getragen hatte, auf das Haar und verschwand alsbald wieder. Matts Mursten war so erleichtert über diesen nur kurzen Besuch, das er einen Wein nach dem anderen trank und gar nicht merkte, wie das würzige Getränk seine Zunge löste. Inzwischen begannen die Gäste über die Herkunft der Krone zu tuscheln. Und die Mutter des Sergeanten, der auch gern die Rosa geheiratet hätte, aber den Kürzeren ziehen mußte, stellte Matts zur Rede. "Du hast die Krone gestohlen und mußt dich deshalb vor der Obrigkeit verantworten!" Matts Mursten war ein so ehrlicher Mensch, das er solche Anschuldigungen nicht ertragen konnte und das Geheimnis vom Verlies im Schloß und vom Kobold verriet. Die Alte hatte nichts Wichtigeres zu tun, als zu ihrem Sohn, der auch auf dem Fest weilte, zu eilen und mit ihm auf die Suche nach den Schätzen des Kobolds zu gehen. Der Kobold bemerkte sie und folgte ihnen unsichtbar. Als sie es endlich geschafft hatten, sein Verlies zu finden, erbebte das Schloß ganz furchtbar und in das Verließ stürzten riesige Steine. Der Ausgang war versperrt. "Das ist aber schön, das ihr mich in meiner Einsamkeit besucht", empfing sie der Kobold. "Ihr werdet nun für immer bei mir bleiben." Und er sperrte sie zu all den anderen, die in den vielen Jahren versucht hatten, ihn zu berauben und nun als Katzen hausten oder als Wölfe heulten. Als Matts Mursten sich am nächsten Tag die Krone näher ansehen wollte, lag an ihrer Stelle nur ein Stück verrostetes Eisen. Er bereute es so, seinen Mund nicht gehalten zu haben. Die Zeit verging. Matts Mursten wurde älter und älter und das Schloß begann zu zerfallen, weil sich der Kobold nicht mehr wie früher darum kümmerte. Eines Tages spazierte Matts Mursten mit Rosa und derem kleinem Sohn Erik, der im Korbwagen lag, durch das Schloß hin zum westlichen Saal, der zur Flußmündung hinausgeht. Mit Tränen in den Augen sah der alte Wachtmeister die in der Sonne glitzernde Herrlichkeit. "Ach, wenn ich doch mit dem Rest meiner Tage das Schloß vor seinem Untergang bewahren könnte, ich gäbe mein Leben hin", seufzte Matts Mursten. Da erschien sein alter Freund, der Kobold. "Was soll ich denn mit deinem Leben, das nur noch nach Stunden zählt, laß den kleinen Jungen als Knecht bei mir dienen!" Rosa und ihr Vater wurden ganz blaß und wehrten heftig ab. Der Kobold wurde zornig und begann das Schloß einzureißen. Auf einmal aber hielt er inne. Aus der Tiefe erklang ein Gesang. Es war Wäinämöin, der Alte des Berges, der noch viel älter war als der Kobold und der über die Zukunft Finnlands wachte. Der alte Wachtmeister war während des Liedes zu Boden gesunken und sanft entschlafen. "Ich wollte doch weder dir, mein alter Freund, noch dem Kinde zu nahe treten", trauerte der Kobold beim Anblick des Toten. "Ich wollte euch für Eure Schwatzhaftigkeit doch nur einen kleinen Schrecken einjagen. Nun hast du mich beim Wort genommen und ich werde, solange mein Arm seine Kraft behält, dafür sorgen, das das Schloß erhalten bleibt. Wer wird mir nur zukünftig dabei helfen, jetzt wo du tot bist...?" "Ich", antwortete Rosa. "Und wenn Erik groß ist, wird er es übernehmen." "Dann wird er ja doch mein Knecht." "Nein, er wird den Menschen dienen, solange er lebt."
 
Der Fuchs, die Elster und die Krähe
(Finnland)
Auf einem Baum war ein Elsternnest, der Fuchs ging an den Baum und rief: "Ich schlag den Baum um, will daraus einen Kahn machen." Die Elster sagte: "Schlag ihn nicht um, ich habe hier fünf Junge, und sie sterben alle, wenn der Baum fällt." Der Fuchs sagte: "Wenn du mir eines von deinen Jungen gibst, dann laß ich ihn stehen." Die Elster gab ihm eines. Am nächsten Tage ging der Fuchs wieder hin und sagte: "Ich habe keinen gleich guten Baum gefunden." Die Elster sagt: "Wenn du ihn dennoch stehen ließest." Da gab sie ihm wieder ein Junges. Die Krähe kam dann zur Elster geflogen - sie waren miteinander sehr befreundet - und fragte: "Wo sind denn die Jungen geblieben?" Die Elster sagte: "Der Fuchs ist an zwei Morgen hier gewesen und hat sie genommen, sonst hätte er den ganzen Baum umgeschlagen." Die Krähe sagte: "Bist du aber dumm, womit wollte er denn den Baum abschlagen, hat er doch weder Messer noch Axt." Als der Fuchs zum dritten Male kam, da sagte er wieder: "Noch immer habe ich keinen so guten Baum gefunden, jetzt werde ich ihn doch umschlagen, wenn du mir nicht noch eines von deinen Jungen gibst." Die Elster lachte und sagte: "Womit willst du denn einen Baum fällen, hast du doch weder Messer noch Axt?" Der Fuchs sagte: "Wer hat dich so schlau gemacht? Sicher die Krähe, aber auch sie werde ich noch betrügen." Er geht auf das offene Feld und läßt seine Zunge aus dem Maul hängen. Dann legt er sich hin wie tot. Die Krähe kommt und geht um den Fuchs herum. Schließlich springt sie auf ihn und pickt in seine Zunge. Pickt einmal, pickt zweimal, da schnappt der Fuchs die Krähe und will sie fressen. Die Krähe sagte: "Laß uns dort ins Gebüsch gehen, sonst lachen die Leute, wenn du hier ein Tier bei lebendigem Leibe frißt." Der Fuchs trägt die ihm aus dem Maul hängende Krähe weiter, die Krähe sagte: "Laß mich los, ich werde schon neben dir hergehen." Der Fuchs dachte gar nicht mehr daran, daß sie ja fliegen konnte, sobald er sie losließ. Da war die Krähe auch schon in der Luft, und der Fuchs mußte erkennen, daß nicht alle Schläue in seinem Kopf saß.
 
Das Geschenk des Trolls
(Finnland)
Vor vielen, vielen Jahren ging ein Bauer an einem trüben, grauen Herbsttag zum Jagen in den Wald. Es war, als hätte jemand das Wild vor ihm gewarnt. Er hatte einfach kein Glück. Vielleicht trieb ja der Troll, von dem die Leute so viel erzählten, wirklich sein Unwesen in der Gegend. Als der Bauer endlich aufgeben und nach Hause zurückkehren wollte, traf er auf einen elegant gekleideten Herren. Und dieser fragte ihn: "Na, wie ist die Jagd ausgefallen?" "So schlecht wie nie," jammerte der Bauer "bestimmt hat der Troll die Tiere vertrieben!" Der Fremde schmunzelte und meinte: "Komm doch mit zu mir nach Hause und kuriere meine Frau! Ich werde dich auch belohnen." Der Bauer schüttelte den Kopf: "Was soll das! Ich bin doch kein Arzt!" "Das macht nichts. Es hilft schon, wenn du ihr die Hände auflegst!" Der Bauer ließ sich überreden und ging mit. Bald sahen sie vor sich ganz oben auf einem Berg ein großes Schloß stehen. Der Bauer wunderte sich: Das stand doch früher nicht dort. Irgendetwas konnte hier nicht mit rechten Dingen zu gehen. Er ließ sich aber nichts anmerken. Im Schloß war alles vom Feinsten: die Wände aus Spiegelglas, die Decke aus Silber, die Teppiche aus goldbestickter Seide und die Möbel gar aus purem Gold. Der Bauer traute sich kaum, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Der Fremde führte ihn an ein goldenes Bett, in dem eine wunderschöne Prinzessin vor Schmerzen jammerte und bedeutete ihm, ihr seine Hände aufzulegen. Der Bauer traute sich erst nicht, mit seinen groben Händen das zarte Geschöpf zu berühren. Doch der Fremde drängte ihn. Und so überwand er sich. Kaum hatte er seine Hände auf die Schöne gelegt, stand sie auf und war gesund. Der Fremde wollte ihn zum Essen einladen, der Bauer jedoch wünschte nur eins: Raus aus dem Schloß. Da übergab ihm der Unbekannte einen Lederbeutel und füllte diesen mit runden Holzstückchen. "Solange du diesen Beutel hast, wird es dir an nichts fehlen. Aber wenn du mich noch einmal ansprichst, wirst du unglücklich werden!" Zu Hause angekommen, hielt der Bauer das Ganze zunächst für einen seltsamen Traum. Aber bald merkte er, das jedesmal, wenn er den Beutel öffnete, dieser wieder randvoll mit Geld gefüllt war. Der früher so arme Bauer begann das Leben nun zu genießen und bald war er regelmäßig Gast in der Schenke. Eines Abends traf er dort auf einen Mann, der von Tisch zu Tisch ging und das sammelte, was die Gäste aus ihren Gläsern verschüttet hatten. Und schnell merkte er, das das der Fremde war, der ihm vor geraumer Zeit so viel Gutes erwiesen hatte. Mitleid packte ihn und er sprach den Mann an: "Du hast mir so geholfen. Komm laß dich von mir einladen!" Doch kaum hatte er diese Worte ausgesprochen, war es, als hätte er einen Schlag auf den Kopf bekommen. Er wurde ohnmächtig und sackte zusammen. Als er wieder zu sich kam, war der Mann nicht mehr da und auch der Lederbeutel war verschwunden. Von Tag zu Tag wurde der Bauer nun ärmer und ärmer und bald mußte er mit einem Hut in der Hand von einem Haus zum anderen ziehen.
 
Der Wolf und der Fuchs in der Fallgrube
(Finnland)
Ein Mann grub eine Fallgrube im Walde, um Wölfe und Füchse zu fangen. In der Mitte der Grube richtete er eine Stange auf. Dann hängte er eine Krähe an den Beinen an die Stange. Der Wolf sprang sie von der einen und der Fuchs von der anderen Seite an. Als beide zugleich die Krähe erreichten, stürzten sie in die Grube. Der Wolf hockte sich in die Ecke und sagte: "Ach, ach!" Die Zeit verging, die Tage verstrichen. Der Fuchs sagte zum Wolf: "Es wird dir noch den Kopf kosten, wenn du dich so dumm hinhockst." Am Morgen kam der Mann, um nachzusehen. Der Fuchs stellte sich tot, auch sein Schwanz lag ausgestreckt. Der Mann sagte zu einem anderen: "Es sind zwei Tiere, der Fuchs ist tot, aber der Wolf hockt in der Ecke." Dieser zu jenem: "Geh hinunter, ich bleibe oben; der da ist tot, wir legen ihn auf den Grubenrand und den Wolf töten wir." Jener warf den Fuchs über den Rand. Der Fuchs lief in den Wald davon. Die Männer wollen den Wolf töten. Der Wolf jammerte und schrie, als sie ihm gegen die Stirn schlugen. Der Fuchs rief ihm zu: "Habe ich dir nicht gesagt, daß du auch noch den Kopf verlierst, wenn du dich so dumm hinhockst."
 
Wie Wildtiere zu Haustieren wurden
(Finnland)
Ein Pfarrer, der heiraten wollte, lud alle Tiere der Gegend zu seiner Hochzeit ein. Ob Bär oder Wolf, Vielfraß oder Fuchs, Pferd oder Kuh, Ziege, Schaf oder Rentier. Alle sollten kommen. Weil er nicht so schnell war, machte sich der Bär als erster auf den Weg. Ihm begegnete ein kleiner Junge, der ihn fragte: "Wohin des Wegs?" "Zum Pfarrer. Er hat mich zur Hochzeit eingeladen." "Gehe nicht. Man ist nur scharf auf deinen Pelz und wird ihn dir abziehen." Der Bär dachte einen Augenblick nach und trottete dann in den Wald zurück. Dann kamen kurz nacheinander Wolf, Vielfraß und Fuchs und alle drei ließen sich vom Jungen überzeugen, heimwärts zu gehen. Anders das Pferd. Als der Knabe meinte: "Du bist so stark. Man wird dich arbeiten lassen und dir nie wieder die Freiheit schenken", entgegnete das Pferd stolz: "Mich kann niemand festhalten. Ich reiße mich los, wann immer ich will." Und es ging zum Pfarrer. Dort kam es wie es kommen mußte. Das Pferd wurde angebunden und zum Arbeitstier gemacht. Auch Kuh, Schaf und Rentier hörten nicht auf den gutgemeinten Rat des Jungen und so erging es ihnen, wie es allen ergeht, die wohlgemeinte Ratschläge in den Wind schlagen.
Ja, so wurden aus Wildtieren ganz schnell Haustiere.
 
Wie sich der Teufel eine Seele fängt
(Finnland)
Ein armer Mann, der Holz hacken wollte, legte sein Brot auf einen Baumstumpf. Der Teufel ging hinter ihm her und aß das Brot. Da sprach der Arme: »Wer mein Brot gegessen hat, muß mein Knecht sein.« Und der Teufel sprach: »Ich hab's gegessen.« - »Wenn du's gegessen hast, mußt du drei Jahre bei mir Knecht sein.« - »Damit bin ich einverstanden«, sagte der Teufel, »aber zuvor will ich nach Hause gehn und meinen Vater fragen, was der dazu meint.« Der Vater riet ihm: »Geh hin und dien ihm so lange, bis er reich wird und schließlich im Trunke stirbt!« Da kam der Teufel zu dem Armen und sprach: »Jetzt bin ich dein Knecht.« Aber die Frau des Armen schalt: »Was sollen wir mit dem Knecht? Wir haben für uns nicht genug zu essen und für die vielen Kinder!« Nun, der Teufel belehrte den Bauern und sprach: »In diesem Jahr müssen wir viel Moorland roden und Roggen bauen.« Er brannte das ganze Torfmoor ab, und alles wurde guter Boden, in den sie Roggen säen konnten. Dann ging er hin, holte sich von seinem Vater Geld und lieh es dem armen Manne, damit er das ganze Moor mit Roggen besäen konnte. Und sie säten den Roggen, und der Roggen wuchs so üppig, daß sie nicht Scheunen genug hatten, um ihn zu bergen. Im nächsten Jahr wollte er an einer andern Stelle schwenden und pflügen, aber das Moor ließ sich nicht schwenden, es war zu naß in dem Jahr. Doch sie ernteten wieder viel Roggen. Da sprach der Teufel zum Bauern: »Was sollen wir mit dem vielen Roggen anfangen? Laß uns Branntwein brennen zum Verkauf.« Und sie bauten eine Schnapsbrennerei und brannten Schnaps, soviel er konnte. Als aber das dritte Jahr um war, hatte er sich totgesoffen. Da ging der Knecht fort und nahm des Mannes Seele mit. Er kam zu seinem Vater und sprach: »Von dem Armen hat der Teufel nichts, der tut den ganzen Tag nichts Böses, aber der Reiche tut all sein Leben lang Böses und läßt uns mit dem Tod seine Seele.«
 
Wie die Trauerbirke entstanden ist
(Finnland)
Ein reicher Mann lauste seiner Tochter den Kopf und fand eine große Laus. Er setzte sie unter einen Topf und ließ sie wachsen. Und die Laus wuchs, bis sie so groß war wie eine Katze. Da tötete er sie, und aus der Haut machte er seiner Tochter Schuhe. Dann rief er alles Volk zusammen, damit sie rieten, aus was für einer Haut die Schuhe gemacht worden seien. Wer es erraten könne, der solle seine Tochter zur Braut haben. Da fanden sich viele ein, die gern des reichen Mannes Tochter zur Braut gehabt hätten. Hinter dem Hause aber war ein See. Da kam ein Wasserweibchen herauf, das stieg durch den Rauchfang und verwandelte sich in einen alten Mann. Der kroch hinterm Ofen hervor und sprach: »Sie sind aus der Haut einer Laus.« Und ein flinker Bursch sprang auf und rief: »Ich hab's geraten, ich hab's zuerst gesagt.« Da kamen die Leute von der andern Seite auf ihn zu und hießen ihn schweigen. Und der Alte ging hin und wollte das Mädchen zur Frau haben. Aber ihr Vater sprach: »Dir gebe ich meine Tochter nicht, und wenn es sonst was gälte.« Und sie selbst sagte: »Dich alten Kerl nehme ich nicht«, und lief aus dem Haus. Da entführte sie das Wasserweibchen hinter dem Haus und nahm sie mit sich in den See. Dort hatte sie ein prächtiges Schloß auf einer schönen Insel und einen bunten Garten mit allerhand Beeren und allerlei Vögeln. Und sie hatte einen flinken Jungen, dem gab sie das Mägdlein zur Frau. Sie lebte dort ein Jahr, das erschien ihr wie eine Woche, sie lebte ein zweites, ein drittes und bekam ein Kind. Sie lustwandelte mit dem Kinde und ihrem Manne in dem Garten, und sie aßen, was sie wollten. Aber eines Tages bekam sie doch Sehnsucht nach Hause. Es kam ihr in den Sinn, ihre Eltern einmal zu besuchen, und sie sagte zu ihrem Gatten: »Es wäre wohl Zeit, daß ich einmal nach Hause ginge, ich habe jetzt Sehnsucht.« Da sagte der Mann: »Du kannst gehen, wann du willst, doch back erst gute Kuchen für die Deinen, nimm alle Beeren für Pasteten!« Und sie buk Pasteten und nahm einen Sack voll Gold für die Ihrigen zum Geschenk mit. Dann hob er seine Frau und ihren Knaben aufs Knie, und sowie er bloß einmal mit ihnen herumflog, waren sie dort am Ufer, von wo sie das Wasserweibchen geholt hatte. Und er beschied sein Weib und sagte: »Wenn du wieder nach Hause möchtest, so ruf am Ufer: 'Komm, komm, mein Geliebter, und hol mich!' Dann komme ich und hole dich.« Die junge Frau ging zu ihrem Vater, und ihr Mann kehrte mit dem Bübchen wieder heim. Am Ufer aber kam ihr viel Volks entgegen, denn sie meinten: »Wer kommt denn da in so feinen Kleidern?« Und sie gab den Leuten die Hand und schenkte ihnen von dem Golde. Dann kam sie nach Hause, aß und trank dort und erzählte dem Vater und den Brüdern, wie sie lebte. Sie erzählte und lobte: »Ich habe dort ein herrliches Leben. Da gibt es so schöne Gärten und Vögel und Beeren, daß einem keine Sehnsucht kommt. Bin ich doch heute nach drei Jahren zum erstenmal nach Hause gekommen.« Da flüsterten ihre zwei Brüder im geheimen miteinander, und sie gingen in den Wald und schnitten sich Knüppel von Erlenholz, damit wollten sie den Schwager totschlagen. Aber das Mädchen fühlte Sehnsucht nach ihrem Manne und ihrem Kind, nach ihrem weichen Lager und allem andern. Es trieb sie heim mit aller Macht. Doch weder Vater noch Mutter wollten sie fortlassen. »Ich kann nicht mehr hierbleiben, ich leide solche Qual und Jammer hier.« Sie drängte und drängte, da half kein Verbot mehr. »Wenn du solche Sehnsucht hast, so geh, doch besuch uns bald wieder«, baten Vater und Mutter. Da ging sie zum Ufer, ihren Geliebten zu rufen, der mit dem Kind in Sehnsucht ihrer harrte. Und der Geliebte kam. Doch als er ans Ufer stieg, sprangen die Brüder aus dem Walde mit Erlenholzknüppeln auf ihn ein und schlugen ihn, daß er tot liegenblieb. Die Schwester aber fing bitterlich an zu weinen: »Warum tatet ihr das?« Da wurde sie zur Trauerbirke und der Knabe auf ihrem Arm zum Ast an der Birke. Und die Blätter hingen an ihr wie die Locken am Kopf. So blieb sie in ihrer Trauer und kam nicht mehr zu ihrem Vater und den Brüdern. Sie blieb eine Trauerbirke.
 
Vom dummen Teufel
(Zwei Geschichten aus Finnland)
I.:
Es ging ein Mann den Weg entlang und hörte, wie aus einer hohen Tanne ein Teufel um Hilfe rief. Da sprach der Mann: »Erst sag, was du mir gibst, wenn ich dir helfe.« - »Was du willst.« Da sagte der andere: »Soviel Gold, als ich nur tragen kann, will ich zum Lohn.« Und das versprach ihm der Teufel. Und der Mann fragte: »Wie kann ich dir wohl helfen?« - »Nimm einen Strohhalm«, sagte der Teufel, »und steck ihn in das Loch im Stamm, dann kann ich heraus.« Da nahm der Mann einen Strohhalm und steckte ihn in das Loch, und der Teufel kam aus dem Baum hervor. Darauf lief er fort und holte einen Haufen Gold herbei, soviel der Mann nur tragen konnte. Der nahm das Gold, dann sprach er zum Teufel: »Wie bist du nur in das kleine Loch hineingekommen und dann wieder heraus? Das zeig mir doch einmal.« Der Teufel machte sich klein und kroch wieder in die Tanne. Da machte der Mann ein Kreuz über dem Loch, und der Teufel blieb für immer in dem Baum sitzen.


II.:
Ein Bauer dünstete sich in der Darre auf dem Ofen Kohlrüben. Und der Teufel kam hin, nahm einen Stein vom Ofen und drückte ihn so fest, daß die Spuren seiner Finger in dem Stein blieben. Dann sprach er: »So drücke ich dich, Menschenkind.« Der Bauer nahm flink eine gedünstete Rübe vom Ofen fort und drückte sie so, daß der Brei zwischen den Fingern durchquoll. Dabei sprach er zum Teufel: »Und so quetsche ich dich.« Da sagte der Teufel: »Au, was du stark bist! Ich habe nur die Finger hineingedrückt, aber du drückst ja, daß alles zwischen den Fingern hindurchspritzt. Wenn du so stark drücken kannst, so bist du auch stark genug zum Ringen. Komm, laß uns hingehen und sehen, wer von uns beiden der Stärkste ist.« Da sprach der Bauer: »Es ist mir nicht der Mühe wert, mit dir zu ringen; aber dort auf dem Haferfeld ist mein Sohn, geh und bitte den, mit dir zu ringen. Er ist etwas schwerhörig, du mußt tüchtig schreien, damit er aufsteht und daherbrummelt.« Und der Teufel ging hin. Aber als er auf den Bär zukam, packte ihn der, warf ihn unter sich und drückte ihn so, daß ihm Hören und Sehen verging. Er lief wieder zu dem Manne zurück und sprach: »Mit dir ringe ich nicht, ich habe genug an deinem Sohn, wenn der schon so unglaublich stark ist, wieviel stärker mußt du erst sein!« Und der Böse sagte zu dem guten Manne: »Komm, laß uns um die Wette laufen und sehen, wer beim Laufen gewinnt!« - »Es ist mir nicht der Mühe wert, mit dir zu laufen«, antwortete der Bauer, »aber dort im Gebüsch sitzt meine jüngste Tochter, geh zu ihr und sprich: 'Komm mit, laß uns um die Wette laufen.'« Der Teufel sah eine Häsin im Grase sitzen, und er ging auf sie zu. Aber wie sie anfingen, um die Wette zu laufen, sah er nicht, daß sie den Boden berührte. Wieder kam er zu dem Bauer und sprach: »Mit dir lauf' ich nicht. Ich habe deine Tochter den Boden nicht berühren sehen, so ist sie gesprungen.« Hierauf holte er einen goldenen Knopf aus der Tasche und sprach: »Den wollen wir jetzt werfen.« Er nahm ihn und schleuderte ihn so hoch, daß man nicht mehr als ein winziges Pünktchen davon sah. Dann sagte er zum Bauer: »Wirf du jetzt!« Und der gute Mann dachte: 'Was soll ich jetzt anfangen, wo ich nicht werfen kann wie er?' - »Nun«, sprach der Teufel, als er ihn so dastehen und überlegen sah, »was überlegst du lange?« Der Bauer guckte an den Himmel, sah eine Wolke kommen und sprach: »Wart, wart, ich gucke, bis die Wolke da kommt, dann werf ich ihn hinauf, und du bist ihn los.« Da riß ihm der Teufel den goldenen Knopf aus der Hand und rief: »Du kämest mir recht, mir meines seligen Vaters Goldknopf wegzuwerfen!« - lief davon und kam nicht wieder.
 
Der Soldat
(Finnland)
Es war einmal ein Soldat, der war alt geworden und konnte nicht mehr dienen. Er ging fort und hatte weiter keinen Lohn bekommen als drei Laibe Brot. Als er nun mit seinen Broten ein Stück gegangen war, begegnete ihm ein Mann, der sagte: »Willst du mir ein Brot verkaufen?« Der Soldat antwortete: »Ja, ich verkaufe eins.« Der Mann nahm das Brot und versprach, es am nächsten Tag zu bezahlen. Da kam ein zweiter Mann und bat ebenfalls um ein Brot. Der Soldat gab ihm eins, und er versprach ebenfalls, es am nächsten Tag zu bezahlen. Er ging weiter, und als er eine Stunde gegangen war, kam ihm wieder ein alter Mann entgegen und fragte: »Willst du mir dein Brot verkaufen?« - »Ganz kann ich es dir nicht verkaufen, aber ich kann dir ja die Hälfte davon geben.« - »Dann verkauf mir die Hälfte«, sagte der Alte, »ich bezahle dich morgen.« Am nächsten Tag begegnete ihm ein Mann und sprach: »Jetzt bezahle ich dir den Laib Brot. Hier hast du ein Paar Hosen, in denen das Geld nicht alle wird.« Danach kam ihm der zweite Mann entgegen und sagte: »Jetzt bezahle ich den Laib Brot, den ich gestern von dir bekommen habe. Hier hast du Karten, die immer gewinnen.« Es verging eine Weile, da kam der dritte Mann auf ihn zu: »Jetzt will ich dir das halbe Brot bezahlen. Da hast du einen Sack, worin alles steckenbleibt, was du hineintust.« Es wurde Abend, und der Soldat ging in ein Haus und bat um ein Nachtlager. Da sagte der Hausherr: »Dort im Saal wäre wohl ein Nachtlager für dich, aber da fängt der Teufel an zu toben und zu lärmen.« Er ging in den Saal. Als er sich eben zum Schlafen ausgestreckt hatte, kamen sie und rissen ihm die Decke weg und fingen schrecklich an zu toben. Er zog sich die Decke wieder hoch und sagte: »Was lärmt ihr denn so? Laßt mich doch schlafen!« Dann legte er sich wieder hin und schlief. Der Teufel lärmte und polterte schrecklich und nahm ihm die Decke wieder weg, und er wollte auch das Bett entzweischlagen. Er stand auf und sprach: »Anstatt daß du herumtobst, komm und spiel Karten mit mir!« Damit war der Teufel einverstanden. »Gut, fangen wir an!« erwiderte er. Dann verspielte er all sein Geld, so daß ihm nur zwei Silbergroschen auf der Hamburger Bank blieben. »Nun spiel ich nicht mehr«, sagte er. Darauf antwortete der Mann: »Dann geh weg!« Er legte sich in sein Bett, und der Teufel fing wieder an zu poltern und zu lärmen. »Laß das Lärmen und Toben, wo du kein Geld mehr hast, oder ich stecke dich in den Sack.« Der Teufel hörte nicht. Da stand der Mann auf und sprach: »Marsch in den Sack!« Da mußte der Teufel hinein, und der Mann warf den Sack auf den Ofen. Am anderen Morgen kam der Hausherr, um zu sehen, wie es dem Manne ergangen war. Da lagen riesig große Haufen Geld auf der Diele. Der Soldat fragte: »Ist kein Schmied hier im Dorfe?« - »Ei freilich, es gibt sieben Schmiede hier«, antwortete der Hausherr. Die Schmiede wurden alle herbeigerufen. Sie trugen den Sack auf einen Felsen, und die Schmiede und ihre Gesellen klopften mit großen Hämmern auf ihm herum. Der Teufel sprang und heulte, und dem armen Kerl wurden sogar die Beine zerschlagen. Da versprach er, daß er nie mehr in jenes Haus kommen wolle. Der Soldat war nun schrecklich reich. Er ging zu dem Kaiser, dem er gedient hatte, und sie fingen zusammen zu trinken an und tranken unerhört. Da sagte einmal der Kaiser: »Mich holt bald der Tod.« - »Sag mir nur, wann er kommt«, sprach der Mann, »so will ich versuchen, ihm ein Bein zu stellen.« - »Er kommt schon«, rief der Kaiser. Da steckte der Soldat seinen Sack in den Türspalt, und der Tod ging in den Sack. Er machte seinen Sack zu und warf ihn auf einen Baumast. Dann trank der Kaiser mit dem Soldaten noch ein paar hundert Jahre lang. Während dieser Zeit ist niemand gestorben. Aber es geschah, daß der Soldat einmal in der Betrunkenheit den Tod aus dem Sack herausließ, da starb zuerst er, dann der Kaiser, und danach starben mit einem Schlag alle, die während dieser Zeit hätten sterben sollen.
 
Der Fuchs und der Bär
(Schweden)
In der alten Zeit, als die Tiere noch sprechen konnten, waren der Bär und der Fuchs sehr gute Freunde, so dass sie zusammen säeten, ernteten, droschen und aßen. Aber der Fuchs war faul und wollte nichts arbeiten, und so gelang es ihm, den Bären zu beschwatzen, dass er den Acker anbaute, den Pflug zog und das Getreide erntete. Es blieb nun noch das Dreschen übrig, an welcher Arbeit sich alle beide betheiligen sollten. Als sie eine Weile gedroschen hatten, hielt der Fuchs inne und stellte sich, als ob er horchte. »Warum tust du das?« fragte der Bär. »Hörst du nicht, wie es auf dem Dache der Tenne knackt?« antwortete der Fuchs. »Nein!« entgegnete der Bär. Sie begannen hierauf wieder zu dreschen, bis der Fuchs noch einmal seine Frage wiederholte. »Da ist es vielleicht wohl am besten, du steigst auf das Dach hinauf und hältst es fest!« meinte der Bär. Der Fuchs ließ sich dies nicht zweimal sagen, sondern sprang schleunigst auf das Dach, legte sich auf dem von der Sonne am meisten beschienenen Platze nieder und wärmte sich hier, bis der Bär das Getreide fertig gedroschen und geschwungen hatte. Hierauf stieg er wieder vom Dache herab und sagte, dass ihm alle Glieder wehe täten, weil er sich so übermäßig angestrengt hätte, das Dach zu halten, während der Bär drosch. Nun sollte das Getreide geteilt werden. Der Fuchs meinte, es wäre nur recht und billig, dass der Bär den größeren Haufen bekäme; denn er habe ja am meisten gearbeitet. Der Bär dankte und hierauf begannen sie zu essen: der Fuchs von dem Kornhaufen, der Bär aber von dem Spreuhaufen. Bald begann jedoch der Bär zu argwöhnen, dass es mit dem Edelmute des Fuchses nicht so weit her sei. Er sagte daher zum Fuchs: »Wie kommt es denn, dass es in deinem Munde ›brisk, brask‹ lautet, wenn du kauest, in meinem aber nur ›slisk, slask?‹« »Das kommt natürlich daher, dass ich so viel Sand und kleine Steinchen in meinem Haufen habe; das knirscht so, wenn ich esse,« antwortete der Fuchs. Der Bär gab sich jedoch mit dieser Antwort nicht zufrieden, sondern kostete von dem Haufen des Fuchses. Da er nun dahinter kam, dass er geprellt worden war, wurde er böse und wollte den Fuchs zerreißen. Dieser aber entwischte und versteckte sich unter einer Tanne. Der Bär eilte ihm nach, entdeckte ihn und schlug und biss nach Allem, was er sah. Wenn er in Wurzeln oder Steine biss, schrie der Fuchs: »Au! au! du beißest mich in den Fuß!« wenn er aber wirklich den Fuß des Fuchses erwischte, dann lachte dieser und sagte: »Ha! ha! du beißest ja nur in die Wurzeln!« Nachdem der Bär so lange in Steine und Wurzeln gebissen hatte, bis er ganz ermüdet war, kehrte er wieder nach der Dreschtenne zurück, um auszuruhen. Nun kroch der Fuchs hervor und begann auf ein neues Schelmenstück zu sinnen; denn zum Bären wagte er noch nicht zu gehen. Da erblickte er in der Ferne einen Lappen, der mit seiner Rentierherde des Weges gefahren kam. Rasch legte er sich auf dem Wege nieder und stellte sich, als ob er tot wäre. Als nun der Lappe zu dieser Stelle kam, hob er den Fuchs vom Wege auf und legte ihn in den Schlitten (lappländisch låkkek, welches einen bootartigen, ganz überdeckten Schlitten bezeichnet), in welchem sich mehrere Pfund Fische befanden. Der Fuchs war kaum in dem Schlitten drinnen, als er wieder lebendig wurde und ein Loch in die Bodenwand nagte, durch das er einen Fisch nach dem andern hinausschob und schließlich selbst entkam. Er trug nun alle Fische zu einem Haufen zusammen und suchte sodann wieder den Bären auf. Dieser war jetzt wieder ruhig geworden und fragte den Fuchs, woher er diese Menge Fische bekommen habe. »Ich habe sie geangelt,« antwortete der Fuchs; »geh nur hinab auf die See, hacke ein Loch in's Eis und stecke den Schwanz durch das Loch; es kommen dann sogleich die Fische und beißen an. Aber man muss darauf achten, dass man den Schwanz nicht zu früh herausziehe; erst wenn man keinen Schmerz mehr im Schwanze fühlt, ist es an der Zeit, denselben wieder herauszuziehen.« Der Bär befolgte genau diesen Rat; als er aber den Schwanz zurückziehen wollte, war dieser in dem Loche festgefroren und der Bär riss sich denselben ab; deshalb geht er noch heute ohne Schwanz herum.
 
Der arme Teufel
(Schweden)
Es war einmal ein Bauer, der führte im Frühling seine Kuh auf die Weide und betete, daß Gott sie wohl bewahren möge. Da saß der Böse in einem Strauch und hörte es und sagte zu sich selbst: »Wenn etwas gut ausgeht, so danken sie Gott dafür; aber wenn etwas Übles passiert, so soll immer ich schuld sein.« Nach ein paar Tagen geriet die Kuh in einen Sumpf. Und als der Bauer kam und das sah, sagte er: »Schau nur, da hat wieder der Teufel seine Finger dabei.« »Das hab ich mir doch denken können,« dachte der Teufel in seinem Busch. Da ging der Bauer fort und wollte Leute holen, um die Kuh herauszuziehen. Aber unterdessen schlüpfte der Teufel aus seinem Busch und half der Kuh heraus, denn er dachte: »Nun soll er mir doch auch etwas zu danken haben.« Aber als der Bauer zurückkam und die Kuh auf dem Trockenen sah, sagte er: »Gott sei Dank, sie ist oben!«
 
Das Wettessen mit einem Troll
(Norwegen)
Auf einem Hof weit oben im Norden Europas lebte ein Bauer mit seiner Frau und seinen drei Söhnen. Der Bauer und seine Frau waren bereits sehr alt und betagt und es ging ihnen nicht gut. Der Hof war verschuldet und auch die Vorratskammer nur kärglich gefüllt. Also rief eines Tages der Bauer seine Söhne zu sich und sprach: "Wir haben doch auf unserem Anwesen noch diesen schönen Wald unten am Fjord. Wir sollten die Bäume fällen und damit endlich unsere Schulden bezahlen und auch die Vorratskammer für den Winter könnten wir aus dem Erlös des Holzverkauf dann wieder ordentlich füllen." Doch seine Söhne waren nicht so fleißig wie der Bauer. Sie liebten eher das Nichtstun und lagen die meiste Zeit nur faul in der Sonne rum. So dauerte es einige Zeit, denn der Bauer musste seine Söhne immer wieder drängen, endlich einmal zu arbeiten, bis sich eines Tages doch noch der älteste Sohn dazu bequemte, hinunter an den Fjord zu gehen, um die ersten Bäume zu fällen. Als dieser jedoch unten am Fjord den Wald ereichte, stand plötzlich zwischen den Bäumen ein großer Troll und sagte: "Das ist mein Wald, und wenn du nur einen einzigen Baum davon fällst, werde ich dich erschlagen!" Als der älteste Sohn diese Worte vernahm, erschrak er fürchterlich, ließ seine Axt fallen und rannte voller Angst nach Hause. Völlig außer Atem kam er zu Hause an, wo ihn der Vater bereits erwartete. Als dieser hörte, dass sein Ältester vor einem Troll davon gerannt war, schalt er ihn einen Feigling und meinte, dass ihm so etwas früher nie passiert wäre. Am nächsten Tag machte sich der zweite Sohn auf dem Weg um sein Glück zu versuchen. Aber auch ihm erging es nicht viel besser als seinem älteren Bruder. Denn kaum hatte er den ersten Axtschlag gegen eine alte Tanne getan, stand plötzlich wieder dieser übergroße Troll zwischen den Bäumen und sagte: "Das ist mein Wald, und wenn du auch nur einen einzigen Baum stehlen wirst, werde ich dich erschlagen!" Als der Bauernbursche diese Worte vernahm, bekam er eine so große Angst, dass er sich noch nicht einmal getraute, den Troll anzusehen. Laut schreiend ließ er seine Axt fallen und ergriff die Flucht. Daheim hatte der Vater bereits auf ihn gewartet. Als er sah das auch sein zweiter Sohn unverrichteter Dinge nach Hause gekommen war, schalt er ihn einen Feigling, und meinte kopfschüttelnd, dass ihm in seiner Jugend so etwas nicht passiert wäre. Am dritten Tag wollte Aschenper sein Glück versuchen. Er war der jüngste Sohn des Bauern und ein rechter Träumer. Meist saß er stundenlang am offenen Feuer und stak gedankenverloren mit einem Stück Holz in der Glut. So war es auch nicht verwunderlich, dass er mit der Zeit den Spitznamen Aschenper bekommen hatte, weil er ja immer in der Asche herum stocherte. Doch bevor er sich auf den Weg machte, bat er seine Mutter noch um etwas Wegzehrung, während seine Brüder bereits laut über ihn lästerten: "Ach du kleiner Träumer, wieso denkst denn du, dass ausgerechnet dir das gelingt, was schon wir nicht geschafft haben? Du hast den Hof doch noch nie verlassen, geschweige denn einen Troll gesehen. Der wird dich schnell davon jagen, und wir werden dich rennen sehen wie einen Hasenfuß!" Aber statt seinen Brüdern zu antworten, zog es Aschenper lieber vor zu schweigen und dachte sich seinen eigenen Teil. Nachdem er seine Wegzehrung von seiner Mutter erhalten hatte, ein großes Stück Molkekäse, packte er diesen in seinen Rucksack aus Fell, schulterte ihn auf seinen Rücken und machte sich schließlich auf den Weg. Es dauerte nicht lange und er hatte den Waldrand unten am Fjord erreicht. Kaum war er dort angekommen, legte er seinen Rucksack auf einen nahem Baumstumpf, packte seine Axt aus und begann mit der Arbeit. Er hatte bereits die ersten Schläge an einem fast zwanzig Meter hohen Baum getan, als plötzlich auch schon wieder dieser übergroße Troll zwischen den Bäumen auftauchte und die gleichen Worte sagte, wie die Tage zuvor zu seinen beiden Brüdern: "Das ist mein Wald! Wenn du nur einen einzigen Baum daraus fällst, werde ich dich töten!" Doch Aschenper war nicht auf den Mund gefallen und Angst hatte er auch keine. Er eilte zu seinem Rucksack, holte den Molkekäse heraus und drückte diesen, so stark er konnte, mit beiden Händen zusammen und das Wasser spritzte nur so heraus. "Hast du gesehen wie stark ich bin? So wie ich diesen weißen Stein zusammendrücke, werde ich es auch mit dir tun, wenn du nicht sofort still bist!" Da bekam der Troll einen gehörigen Schreck und bettelte: "Ach bitte verschone mich, ich werde dir dafür auch bei deiner Holzfällerarbeit helfen!" "Also gut", dachte sich Aschenper, "wenn er mir hilft, werde ich ihn verschonen." Die beiden legten sich darauf richtig ins Zeug und auch der Troll war recht fleißig und am Abend hatten sie fast zwei ganze Holzstapel sauber aufgereiht vor sich stehen. Als die Sonne langsam rötlich unterging und der Wald bereits in einem immer dunkler werdenden Grau vor ihnen lag, und die Nacht immer näher kam, meinte der Troll: "Es ist Zeit zum Feierabend machen, lass uns zu mir gehen, denn mein Weg nach Hause ist bei weitem nicht so weit, wie dein Heimweg." "Also gut", dachte sich Aschenper und ging mit dem Troll mit. Nach einiger Zeit erreichten sie die Höhle des Troll und dieser machte sich daran ein Lagerfeuer zu entfachen. Zur gleichen Zeit sollte der Bauernsohn Wasser für eine Weizengrütze holen. Doch die dafür vorgesehenen Eisenkessel waren so schwer, das der Junge sie unmöglich alleine hätte anheben können. Also sagte Aschenper, schlitzohrig wie er war, zum Troll: "Hast du nur diese kleinen Töpfe zum Wassertransport? Damit lohnt es sich ja gar nicht Wasser aus dem Brunnen zu schöpfen? Wie oft soll ich mit diesen kleinen Behälter denn dann zum Brunnen laufen? Am besten ist es, wenn ich gleich den ganzen Brunnen in die Höhle hole!" Da bekam der Troll einen Schreck und antwortete eilig: "Nein, tu das nicht lieber Freund. Ich möchte den Brunnen doch noch behalten. Dann mach du lieber das Feuer und ich hole Wasser!" Nachdem der Troll das Wasser geholt hatte, machten sich die Beiden eine wunderbare Weizengrütze. So gut und so viel das der Eisenkessel bis zum Rand gefüllt war. Nachdem die Grütze fertig war, meinte Aschenper zum Troll:" Was denkst du? Wollen wir nicht um die Wette essen?" "Oh ja!" sprach der Troll, den er war sich sicher, endlich einmal gegen den Bauernsohn gewinnen zu können. Also setzten sich Aschenper und der Troll an den Tisch und der Troll begann die Teller zu füllen, während Aschenper heimlich seinen mit Fell bezogenen Rucksack zu sich holte und ihn vor seinen Bauch band. Beim Essen aber schüttete der Junge den Großteil der Weizengrütze immer Löffelweise in den Rucksack und nur ab und zu in seinen Mund. Nachdem der Rucksack voll mit herrlicher Grütze war, nahm der Junge ein Messer und schnitt ein Loch in seinen aus Fell bestehenden Rucksack. Der Troll beobachtete den Bauernsohn bei seinem Tun ohne jedoch dazu etwas zu sagen und löffelte weiter still seine Grütze in sich hinein. Nach einiger Zeit gab der Troll einen lauten Rülpser von sich, legte seinen Löffel zur Seite und meinte schwer schnaufend: "Jetzt bin ich aber voll bis obenhin, satt bis zum Überdruss, ich kann wirklich nicht mehr essen!" "Das ist schon alles?" entgegnete der Junge. "Ich bin ja noch nicht einmal halb satt. Am besten du machst es wie ich! Schau nur, du schneitest dir einfach ein Loch in den Bauch, und schon kannst du weiter essen, und zwar soviel wie du möchtest!" Doch der Troll zögerte und fragte zweifelnd den Jungen: "Tut das denn nicht grässlich weh? So ein Loch mitten im Bauch?" "Ach was, es ist überhaupt nicht der Rede wert!" gab Aschenper zur Antwort. Da nahm der Troll ein Messer vom Tisch und schnitt sich damit seinen Bauch auf. Kaum hatte er dies getan, musste er qualvoll sterben. Denn welches vernünftige Wesen schneitet sich schon den Bauch freiwillig auf? Als der Troll tot war, nahm Aschenper all das ganze Gold und Silber, das der Troll in all den Jahren in seiner Höhle angehäuft hatte und begab sich auf den Weg nach Hause. Dort war das Staunen seiner Brüder groß und seine Eltern freuten sich, ihren jüngsten Sohn wieder wohl behalten bei sich zu haben, und wenn sie nicht gestorben sind, so leben sie noch heute glücklich und zufrieden irgendwo an einem nordischen Fjord, denn Not mussten sie jetzt nicht mehr leiden!
 
Von Himmel und Hölle
(Deutschland / Richard von Volkmann-Leander)
Es war um die Zeit, wo die Erde am allerschönsten ist und es dem Menschen am schwersten fällt zu sterben, denn der Flieder blühte schon, und die Rosen hatte dicke Knospen: da zogen zwei Wanderer die Himmelsstraß entlang, ein Armer und ein Reicher. Die hatten auf Erden dicht beieinander in derselben Straße gewohnt, der Reiche in einem großen, prächtigen Hause und der Arme in einer kleinen Hütte. Weil aber der Tod keinen Unterschied macht, so war es geschehen, daß sie beide zu derselben Stunde starben. Da waren sie nun auf der Himmelsstraße auch wieder zusammengekommen und gingen schweigend nebeneinander her. Doch er Weg wurde steiler und steiler, und dem Reichen begann es bald blutsauer zu werden, denn er war dick und kurzatmig und in seinem Leben noch nie so weit gegangen. Da trug es sich zu, daß der Arme bald einen guten Vorsprung gewann und zuerst an der Himmelspforte ankam. Weil er sich aber nicht getraute zu klopfen, setzte er sich still vor die Pforte nieder und dachte: Du willst auf den reichen Mann warten; vielleicht klopft der an. Nach langer Zeit langteder Reiche auch an, und als er die Pforte verschlossen fand und nicht gleich jemand aufmachte, fing er laut an zu rütteln und mit der Faust dran zu schlagen. Da stürzte Petrus eilends herbei, öffnete die Pforte, sah sich die beiden an und sagte zu dem Reichen: "Das bist du gewiß gewesen, der es nicht erwarten konnte. Ich dächte, du brauchtest dich nicht so breit zu machen. Viel Gescheites haben wir hier oben von dir nicht gehört, solange du auf der Erde gelebt hast!" Da fiel dem Reichen gewaltig der Mut; doch Petrus kümmerte sich nicht weiter um ihn, sondern reichte dem Armen die Hand, damit er leichter aufstehen könnte, und sagte: "Tretet nur alle beide ein in den Vorsaal; das Weitere wird sich schon finden!" Und es war auch wirklich noch gar nicht der Himmel, in den sie jetzt eintraten, sondern nur eine große, weite Halle mit vielen verschlossenen Türen und mit Bänken an den Wänden. "Ruht euch ein wenig aus", nahm Petrus wieder das Wort, "und wartet, bis ich zurückkomme; aber benutzt euere Zeit gut, denn ihr sollt euch mittlerweile überlegen, wie ihr es hier oben haben wollt. Jeder von euch soll es genau so haben, wie er es sich selber wünscht. Also bedenkt's, und wenn ich wiederkomme, macht keine Umstände, sondern sagt's, und vergeßt nichts; denn nachher ist's zu spät." – Damit ging er fort. Als er dann nach einiger Zeit zurückkehrte und fragte, ob sie fertig mit Überlegen wären und wie sie es sich in der Ewigkeit wünschten, sprang der reiche Mann von der Bank auf und sagte, er wolle ein großes goldenes Schloß haben so schön wie der Kaiser keins hätte, und jeden Tag das beste Essen. Früh Schokolade und mittags einen Tag um den andern Kalbsbraten mit Apfelmus und Milchreis mit Bratwürsten und nachher rote Grütze. Das wären seine Leibgerichte. Und abends jeden Tag etwas andres. Weiter wolle er dann einen recht schönen Großvaterstuhl und einen grünseidenen Schlafrock; und das Tageblättchen solle Petrus auch nicht vergessen, damit er doch wisse, was passiere. Da sah ihn Petrus mitleidig an, schwieg lange und fragte endlich: "Und weiter wünschest du dir nichts?" – "O ja!" fiel rasch der Reiche ein, "Geld, viel Geld, alle Keller voll; so viel, daß man es gar nicht zählen kann!" "Das sollst du alles haben", entgegnete Petrus, "komm, folge mir!" und er öffnete eine der vielen Türen und führte den Reichen in ein prachtvolles goldenes Schloß, darin war alles so, wie jener es sich gewünscht hatte. Nachdem er ihm alles gezeigt, ging er fort und schob vor das Tor des Schlosses einen großen eisernen Riegel. Der Reiche aber zog sich den grünseidenen Schlafrock an, setzte sich in den Großvaterstuhl, aß und trank und ließ sich's gut gehen, und wenn er satt war, las er das Tageblättchen. Und jeden Tag einmal stieg er hinab in den Keller und besah sein Geld.
Und zwanzig und fünfzig Jahre vergingen und wieder fünfzig, so daß es hundert waren – und das ist doch nur eine Spanne von der Ewigkeit –, da hatte der reiche Mann sein prächtiges goldenes Schloß schon so überdrüssig, daß er es kaum mehr aushalten konnte. "Der Kalbsbraten und die Bratwürste werden auch immer schlechter", sagte er, "sie sind gar nicht mehr zu genießen!" Aber es war nicht wahr, sondern er hatte sie nur satt. "Und das Tageblättchen lese ich schon lange nicht mehr", fuhr er fort; "es ist mir ganz gleichgültig, was da unten auf der Erde sich zuträgt. Ich kenne ja keinen einzigen Menschen mehr. Meine Bekannten sind schon längst alle gestorben. Die Menschen, die jetzt leben müssen, machen so närrische Streiche und schwatzen so sonderbares Zeug, daß es einem schwindlig wird, wenn man's liest." Darauf schwieg er und gähnte, denn es war sehr langweilig, und nach einer Weile sagte er wieder: "Mit meinem vielen Geld weiß ich auch nichts anzufangen. Wozu hab ich's eigentlich? Man kann sich hier doch nichts kaufen. Wie ein Mensch nur so dumm sein kann und sich Geld im Himmel wünschen!" Dann stand er auf, öffnete das Fenster und sah hinaus. Aber obschon es im Schlosse überall hell war, so war es doch draußen stockdunkel; Stockdunkel, so daß man die Hand vorm Auge nicht sehen konnte, stockdunkel, Tag und Nacht, jahraus, jahrein und so still wie auf dem Kirchhof. Da schloß er das Fenster wieder und setzte sich aufs neue auf seinen Großvaterstuhl; und jeden Tag stand er ein- oder zweimal auf und sah wieder hinaus. Aber es war noch immer so. Und immer früh Schokolade und mittags einen Tag um den andern Kalbsbraten mit Apfelmus und Milchreis mit Bratwürsten und nachher rote Grütze; immerzu, einen Tag wie den andern.
Als jedoch tausend Jahre vergangen waren, klirrte der große eiserne Riegel am Tor, und Petrus trat ein. "Nun", fragte er, "wie gefällt es dir?" Da wurde der reiche Mann bitterböse: "Wie mir's gefällt? Schlecht gefällt mir's; ganz schlecht! So schlecht, wie es einem nur in so einem nichtswürdigen Schlosse gefallen kann! Wie kannst du dir nur denken, daß man es hier tausend Jahre aushalten kann! Man hört nichts, man sieht nichts; niemand bekümmert sich um einen. Nichts wie Lügen sind es in eurem vielgepriesenen Himmel und mit eurer ewigen Glückseligkeit. Eine ganz erbärmliche Einrichtung ist es!" Da blickte ihn Petrus verwundert an und sagte: "Du weißt wohl gar nicht, wo du bist? Du denkst wohl, du bist im Himmel? In der Hölle bist du. Du hast dich ja selbst in die Hölle gewünscht. Das Schloß gehört zur Hölle." "Zur Hölle?" wiederholte der Reiche erschrocken. "Das hier ist doch nicht die Hölle? Wo sind denn der Teufel und das Feuer und die Kessel?" "Du meinst wohl", entgegnete Petrus, "daß die Sünder jetzt immer noch gebraten werden wie früher? Das ist schon lange nicht mehr so. Aber in der Hölle bist du, verlaß dich darauf, und zwar recht tief drin, so daß du einen schon dauern kannst. Mit der Zeit wirst du's wohl selbst innewerden." Da fiel der reiche Mann entsetzt rückwärts in seinen Großvaterstuhl, hielt sich die Hände vors Gesicht und schluchzte: "In der Hölle, in der Hölle! Ich armer, unglücklicher Mensch, was soll aus mir werden!" Aber Petrus machte die Tür auf und ging fort, und als er den eisernen Riegel draußen wieder vorschob, hörte er drinnen den Reichen immer noch schluchzen: "In der Hölle, in der Hölle! Ich armer, unglücklicher Mensch, was soll aus mir werden!"
Und wieder vergingen hundert Jahre und aber hundert, und die Zeit wurde dem reichen Mann so entsetzlich lang, wie niemand es sich auch nur denken kann. Und als das zweite Tausend zu Ende kam, trat Petrus abermals ein. "Ach!" rief ihm der reiche Mann entgegen, "ich habe mich so sehr nach dir gesehnt! Ich bin sehr traurig! Und so wie jetzt soll es immer bleiben? Die ganze Ewigkeit?" Und nach einer Weile fuhr er fort: "Heiliger Petrus, wie lang ist wohl die Ewigkeit?" Da antwortete Petrus: "Wenn noch zehntausend Jahre vergangen sind, fängt sie an." Als der Reiche dies hörte, ließ er den Kopf auf die Brust sinken und begann bitterlich zu weinen. Aber Petrus stand hinter seinem Stuhl und zählte heimlich seine Tränen, und als er sah, daß es so viele waren, daß ihm der liebe Gott gewiß verzeihen würde, sprach er: "Komm, ich will dir einmal etwas recht Schönes zeigen! Oben auf dem Boden weiß ich ein Astloch in der Wand, da kann man ein wenig in den Himmel hineinsehen." Damit führte er ihn die Bodentreppe hinauf und durch allerhand Gerümpel bis zu einer kleinen Kammer. Als sie in diese eintraten, fiel durch das Astloch ein goldener Strahl hindurch, dem heiligen Petrus gerade auf die Stirn, so daß es aussah, asl wenn Feuerflammen auf ihr brannten. "Das ist vom wirklichen Himmel!" sagte der reiche Mann zitternd. "Ja", erwiderte Petrus, "nun sieh einmal durch!" Aber das Astloch war etwas hoch oben an der Wand und der reiche Mann nicht sehr groß, so daß er kaum hinaufreichte. "Du mußt dich recht lang machen und ganz hoch auf die Zehen stellen", sagte Petrus. Da strengte sich der Reiche so sehr an, als er nur irgend konnte, und als er endlich durch das Astloch hindurch blickte, sah er wirklich in den Himmel hinein. Da saß der liebe Gott auf seinem goldenen Thron zwischen den Wolken und den Sternen in seiner ganzen Pracht und Herrlichkeit und um ihn her alle Engel und Heiligen. "Ach", rief er aus, "das ist ja wunderschön und herrlich, wie man es sich auf der Erde gar nicht vorstellen kann. Aber sage, wer ist denn das, der dem lieben Gott zu Füßen sitzt und mir gerade den Rücken zukehrt?" "Das ist der arme Mann, der auf der Erde neben dir gewohnt hat und mit dem du zusammen heraufgekommen bist. Als ich euch auftrug, es euch auszudenken, wie ihr es in der Ewigkeit haben wolltet, hat er sich bloß ein Fußbänkchen gewünscht, damit er sich dem lieben Gott zu Füßen setzen könne. Und das hat er auch bekommen, genau wie du dein Schloß." Als er dies gesagt, ging er still fort, ohne daß es der Reiche merkte. Denn der stand immer noch ganz still auf den Fußspitzen und blickte in den Himmel hinein und konnte sich nicht satt sehen. Zwar es fiel ihm recht schwer, denn das Loch war sehr hoch oben, und er mußte fortwährend auf den Zehen stehen; aber er tat es gern, denn es war zu schön, was er sah.
Und nach abermals tausend Jahren kam Petrus zum letzten Mal. Da stand der reiche Mann immer noch in der Bodenkammer an der Wand auf den Fußspitzen und schaute unverwandt in den Himmel hinein und war so ins Sehen versunken, daß er gar nicht merkte, als Petrus eintrat. Endlich legte ihm aber Petrus die Hand auf die Schulter, daß er sich umdrehte, und sagte: "Komm mit, du hast nun lange genug gestanden! Deine Sünden sind dir vergeben; ich soll dich in den Himmel holen. – Nicht wahr, du hättest es viel bequemer haben können, wenn du nur gewollt hättest?"
 
Der Schneider und die Sintflut
(Deutschland / Schwaben)
Als vor langer Zeit die große Flut über die Welt hereinbrach und alles, was auf Erden lebte, jämmerlich hätte umkommen müssen, nahm sich Gott aus Mitleid seiner Geschöpfe an und bedachte, wie er wenigstens ein kleines Häuflein vor dem Tode des Ertrinkens retten könnte.
Er ließ einen kunstreichen Zimmermann zu sich rufen und sprach: »Baue ein großes Schiff, teile es klug in viele Stockwerke und Räume und bringe darin von allen Tieren der Erde, der Luft und des Wassers je ein Paar unter. Auch einem jungen und fleißigen Bauernpaar gib Herberge in der Arche, und nimm auch dazu von jedem Handwerk einen Meister und eine rechtschaffene Meisterin. Nur keinen Schneider! Hörst du? ja keinen Schneider! Diese Besserwisser und Siebenmalklugen, die den ganzen Tag auf ihrem Tisch hocken, meckern und tüfteln und spintisieren und selbst mir, dem Herrgott, ins Handwerk pfuschen, die will ich allesamt im Meer ersaufen lassen! Hast du mich verstanden?« »Glaub's wohl, Herr!« antwortete der Zimmermann und ging alsbald an die Arbeit. Nach kurzer Zeit war die Arche fertig. Pferd und Kuh, Ziege und Schwein, Katze und Hund, Hase, Fuchs und Reh, Vögel und Schmetterlinge, Bienen, Hummeln, Mücken und Käfer, Frösche, Kröten und Fische waren in den großen Kasten eingezogen. Auch Bauer, Wagner, Schreiner, Maurer, Schlosser und Schmied, Müller, Bäcker und Schuhmacher waren samt Weib und Handwerkszeug in den vielen Kammern und Stuben untergekommen. Ohne dass es aber der Zimmermann merkte, hatte, sich in dem Gewusel und Gedränge auch ein fadendünner Schneider eingeschlichen und unterm Bett der Frau Zimmermeisterin versteckt. Da saß er nun Tag und Nacht hungrig und durstig in der dunklen Ecke und durfte kaum schnaufen und sich regen, wenn er nicht entdeckt und ohne Erbarmen ins tiefe Wasser geworfen werden wollte. Darüber wurde er immer ärgerlicher, sann auf Rache und heckte in sieben Tagen einen böswilligen Streich aus: Er fing Flöhe, Wanzen, Bienen, Hummeln und Wespen, zwickte einen Haufen Stecknadeln ab und setzte sie ihnen als spitze Stacheln ins Hinterteil ein. Voller Schadenfreude ließ er sie hüpfen und davonfliegen, kicherte tückisch vor sich hin und sagte: »So, nun könnt ihr ans Werk gehen! jetzt wird's bald was zu jucken und zu zucken geben in dieser langweiligen Kiste!« Und wahrhaftig, über eine kleine Welle ging es an allen Ecken und Enden des Schiffes zu, als ob der leibhaftige Teufel losgelassen wäre. Der erste Floh stach die Frau des Zimmermanns so gewaltig in den Schenkel, dass sie ein Wehgeschrei ausstieß, als ob sie am Messer steckte. Der zweite zwickte den Meister selbst in die Wade, und die Wespen und Bienen quälten die Tiere, dass sie wie toll umherrannten und sich nicht zu helfen wussten. In der Nacht aber ließen die Wanzen keinen Menschen zur Ruhe kommen. »Wer hat diesen Viechern die Nadeln eingesetzt?« riefen Müllerin und Bäckersfrau. »Das kann niemand anders gewesen sein als ein Schneider!« meinte der Schuhmacher. »Ist ja gar keiner da!« brummte der Zimmermann. »Einen Schneider durfte ich ja auf des Herrgotts ausdrücklichen Befehl gar nicht hereinlassen!« »Eben drum! Dann hat sich halt einer eingeschlichen, durchs Schlüsselloch wahrscheinlich!« sagte lachend der Bauer. Also durchsuchten sie miteinander das ganze Schiff und fanden den Schneider endlich unterm Bett der Frau Zimmermeisterin, wo er sich in der dunkelsten Ecke hinter einem Spinngewebe verborgen hatte. »Hinaus mit ihm! Hinaus mit ihm!« riefen alle, die schon von den Flöhen und Wanzen gezwickt oder von den Wespen und Bienen gestochen worden waren. Und dann warfen sie den Sünder Hals über Kopf ins Wasser. 0 weh, wie der arme Schneider schrie und zappelte und schnappte! Er hätte elendiglich ersaufen müssen, wenn nicht zu seinem Glück eine langbeinige Wasserspinne gerade in der Nähe gewesen wäre. »Du kommst wie gerufen!« sagte das Schneiderlein, schwang sich flink auf ihren Rücken und ritt nun auf ihr so lange auf dem Meer herum, bis die große Flut sich verlaufen hatte und die Erde wieder trocken geworden war. Wäre der arme Schneider damals nicht gerettet worden, so müssten wir noch heutigen Tags ohne Kleider umhergehen.
 
Die dankbare Maus
(Deutschland)
Wo heute die große Stadt Dortmund liegt und die Hämmer der Arbeit dröhnen, war vor Zeiten weiter und wilder Wald. Einst musste ein Kaufmann durch ihn hindurch. Er war ein armer Tropf, hatte zudem auf seiner Reise noch schlechte Geschäfte gemacht und saß da, müde des Weges und bekümmert über seine Not, auf einem Stein, dachte der Seinen daheim, die auf seine Rückkehr und auf das mitgebrachte Geld warteten, um Brot zu kaufen. Er wagte kaum, den eigenen Hunger, der ihn überfiel, zu stillen, zog dann aber doch das letzte Stückchen trockenen Brotes heraus und verzehrte es. Da kam ein Mäuslein vorbei, sah zu ihm auf, als erwarte es ein Bröcklein von ihm. Den Mann dauerte das Tier, dem es hier im weiten, wilden Walde wohl noch schlechter erging als ihm. Er brach ein Stücklein ab, warf es hin und sagte: "Lass es dir schmecken, Graupelzchen!" Dann stand er auf, um sich an der Quelle zu laben, die dort unter dem Gebüsch hervorsprudelte. Da aber lief das Mäuslein hin und her, brachte aus einem Loche ein Goldstück, dann ein zweites und noch eins und legte jedes seinem Wohltäter vor die Füße. Der wusste vor Verwunderung nicht, was er denken sollte. Das Tierlein aber kroch in das Erdloch hinein, verschwand aber nicht darin, sondern saß dort und blickte ihn an, als wolle es ihn einladen, näher zu kommen und hier zu suchen. Der Mann tat endlich so und fand in der Erde einen Schatz vergraben, der aller seiner Not mit einem Schlage ein Ende machte.
 
Der Hampelmann
(Deutschland / Manfred Kyber)
Es war ein Hampelmann. Er war rot und aus Papier. Sonst nichts. Bloß so zum Spaß. Auf dem Rücken hatte er eine Schnur und wenn man dran zog, hampelte er mit Armen und Beinen. Es sah sehr komisch aus und alle, die an ihm zogen, lachten. Der Hampelmann lachte nicht, denn es ermüdete ihn, den ganzen Tag Arme und Beine zu bewegen, wenn andere an ihm zupften. Das ist kein leichter Beruf. Aber er ist sehr verbreitet. Der Hampelmann war auch traurig, dass er nur aus Papier war, sonst aus nichts, und eigentlich überhaupt nur so gemacht war - bloß so zum Spaß. Dazu störte ihn die rote Farbe. Rot ist so auffallend und passt gar nicht, wenn man immer hampeln muss. Rosa hätte es sein müssen, dachte er, das würde besser passen. Denn er gehörte einem kleinen Mädchen, das ein rosa Kleid trug. Der Hampelmann liebte das Mädchen und hätte es gerne geheiratet. Es war so sehr freundlich. Aber es ging nicht. Er war ja aus Papier und das kleine Mädchen konnte es nicht mal merken, wie es geliebt wurde, denn die Liebe eines Hampelmanns saß wie jede richtige Liebe im Herzen und sein Herz war im Papier, grad auf der Stelle, wo die Leute immer an der Schnur zogen. Darum tat es auch besonders weh. Nur das kleine Mädchen konnte dran herumziehen. Das schadete nichts. "Es ist ein roter Teufel", sagte der Bruder des kleinen Mädchens. Das Mädchen verzog den Mund. "Das ist er gar nicht", sagte es, "es ist ein ganz richtige Hampelmann und ein sehr feiner. Ich liebe ihn sehr." Der Hampelmann wäre vor Freude rot geworden, aber er war ja so schon rot. Da erübrigt sich das. "Der kann nichts wie hampeln. Wenn er ein Bein verliert, schenke es mir" ,sagte der Junge. "Er verliert keine Beine!" ,sagte das Mädchen empört. "Man könnte ihm eins ausreißen", schlug der Knabe mit höflicher Bosheit vor. "Dann hab ich das Bein und er stirbt vielleicht und wird ein richtiger Teufel in der Hölle. Die Hölle ist auch rot. Ich weiß das." Das kleine Mädchen fasste den Hampelmann fester. "Wenn du dem Hampelmann ein Bein ausreißt, kommst du selbst in die Hölle, pass mal auf", sagte es. "Oder wenn du nicht in die Hölle kommst, verstecke ich deinen Federkasten und sage dir nicht, wo er ist. Ätsch!" - "Er wird ein Teufel, ein Teufel, ein Teufel!!" ,schrie der Junge vergnügt und tanzte auf einem einzigen Bein - gleichsam symbolisch. Es war grausig. Dem Hampelmann schlug das Herz im Papier, so dass es an der Schnur zog - und die Arme und Beine hampelten vor Entsetzen. "Du bist hässlich" ,sagte das kleine Mädchen, "wenn der Hampelmann einmal stirbt, wird er ein Engel und kein Teufel. Alle werden Engel. Bloß die nicht, die anderen die Beine herausreißen. Die werden Teufel, da hast du's!" Das war ein furchtbares Argument, gegen das nicht aufzukommen war. Man musste auf die Zukunft hoffen und ihr alle weiteren schauerlichen Pläne vertrauensvoll überlassen. "Du wirst schon sehen" ,höhnte der Junge, "du meinst wohl, jeder der kaputt geht, wird ein Engel? Quatsch!" Das kleine Mädchen brachte den Hampelmann in den Puppenschrank. Da war er vorläufig am sichersten. Denn den Puppenschrank durfte der Bruder nicht anrühren. Sonst bekam er Prügel. Es war eine Art Asylrecht und aus der Notwendigkeit entstanden - wie wenige Gesetze. Im Schrank waren viele Puppen. "Vertragt euch" ,sagte das kleine Mädchen, "und tretet ihm nicht auf die Beine. Sie sind so lang." Die Puppen rückten höflich zusammen und machten den langen Beinen Platz. Aber es war kaum nötig. Der Hampelmann hatte sie schon bescheiden zusammengefaltet. Er war dankbar für das Asyl, dass ihm geboten wurde. Die Puppen waren auch so freundlich und erkundigten sich nach Einzelheiten seiner ermüdenden Tätigkeit. Nur eine besonders vornehme Puppe, die ganz in Seide angezogen war, rümpfte die bemalte Porzellannase und sagte: "Es ist wirklich unpassend, Leute, die bloß aus Papier sind, hier zu uns zu setzen. Ich habe gerade an den Puppen genug, die nur in Wolle oder Musselin gekleidet sind und nicht aus dem allerersten Laden stammen." Die anderen Puppen schwiegen bedrückt. Der Nussknacker war leider beruflich im Speisezimmer beschäftigt. Sonst hätte er der vornehmen Puppe auf den Bauch getreten. Das tat er in solchen Fällen immer und sagte ihr dazu, dass sie nur einen hohlen Porzellankopf habe. Der Nussknacker war ein Philosoph und er nannte das seine Methode. Nicht alle Methoden der Philosophen sind gut. Aber diese ist bei vornehmen Puppen wirklich die allerbeste. Doch der Nussknacker war nicht da und so setzte niemand der vornehmen Puppe den hohlen Porzellankopf zurecht. Dem armen Hampelmann wurde ganz schwach. Er hatte sich so über das Asyl gefreut und war so dankbar gewesen. Abe er war zu feinfühlig und darum konnte er nicht bleiben. Leute, an denen zu viel gezupft worden ist und die viel gehampelt haben, werden sehr feinfühlig in allen Dingen - mehr als gut tut. So wurde er sehr traurig und beschloss, zu dem kleinen Mädchen zu gehen, das er liebte, und um Hilfe zu bitten. Er schob die langen Beine nach vorn und hastete an die Schranktür. Die kleinen Puppen halfen bedrückt und bedauernd sie zu öffnen und der Hampelmann hüpfte hinaus. Die langen Beine schlugen klatschend auf. Das kleine Mädchen war nicht da. Aber der Junge hörte die Beine klatschen und kam triumphierend angelaufen. Er dachte: Es lohnt nicht, wenn ich ihm ein Bein ausreiße, man nimmt es mir wieder weg. Da nahm er den Hampelmann und warf ihn in den Kamin. Der Kamin brannte, denn es war Winter und draußen fielen die Flocken. Das Feuer im Kamin freute sich sehr. Es macht keine Unterschiede und man kann ihm das nicht übel nehmen. Es beleckte den Hampelmann mit lauter roten Zungen und das vertrug er nicht. Denn er war ja nur aus Papier gemacht - bloß so zum Spaß. Er krümmte ein paar Male die langen Arme und Beine, mit denen er so viel gehampelt hatte. Dann zerfiel er zu Asche und mit ihm die Schnur, an er ihn alle Leute immer so viel gezupft hatten. Das war noch das Beste dabei. Das kleine Mädchen kam dazu gelaufen. Es brachte den Nussknacker in den Puppenschrank zurück. Aber für den armen Hampelmann war es zu spät. "Ich habe deinen Hampelmann in den Kamin geschmissen", schrie der Junge, "er ist aber doch kein Engel geworden, trotzdem er ganz futsch ist. Bäh!" Das kleine Mädchen weinte bitterlich. Der Junge bekam Prügel und der Nussknacker trat der vornehmen Puppe in den Bauch, als er hörte, was geschehen war. So schwebte zwar über dem Trauerfall die Stimmung ausgleichender Gerechtigkeit der höheren Mächte, aber die Tränen des kleinen Mädchens waren doch bitter genug, denn es war der erste Hampelmann, der ihm zu Asche geworden war. Draußen war es Winter und die Flocken fielen auf die Erde. "Ich werde den Hampelmann immer im Herzen behalten", sagte das kleine Mädchen. "Dann ist er nicht futsch und nicht gestorben. Denn ich sterbe ja nicht. Bloß die alten Leute sterben. Ich will aber nicht alt werden. Man darf dann wohl alles durcheinander essen, was man will, aber man stirbt später. Ich finde, es hat keinen Witz." Das dachte das kleine Mädchen natürlich bloß so. Es wird auch groß werden und alles durcheinander essen und dann sterben. Nur das, was es im Herzen hatte, wird nicht sterben und darum wird auch der Hampelmann leben bleiben, was eine große Beruhigung ist. Denn wer einmal im Herzen eines Menschenkindes war, der bleibt ewig leben und es ist auch ganz gleich, dass er nur ein armer Hampelmann war, der sein Leben lang gehampelt hat, wenn andere ihn an der Schnur zogen, und der überhaupt nur aus Papier gemacht war - bloß so zum Spaß...
 
Die Postkutsche
(Deutschland / Manfred Kyber)
Der Bär Tobias Muffelfell saß behaglich vor seiner Höhle und drehte die Daumen seiner Tatzen umeinander. Dazwischen aß er Knusperchen, die ihm seine Frau gebacken hatte und durch seine Seele zogen liebliche Bilder des Winterschlafes. Jeder, der den Winterschlaf kennt und liebt, wird Tobias Muffelfell das nachfühlen können. Seine Kinder spielten Fußball mit einem Kürbis, während Frau Muffelfell in der Höhle Knusperchen backte, wie sie es stets zu tun pflegte. Sie hatte sich eine große weiße Schürze umgebunden und trug eine Haube auf dem Kopf, denn es ist sehr unangenehm, wenn der Küchendampf sich einem so stark ins Fell setzt. Niemand konnte so schön Knusperchen backen wie Frau Muffelfell und es war eine Freude, ihr zuzusehen, wenn sie den Teig mit den Tatzen knetete und allerlei hübsche Muster mit ihren Krallen hinein drückte. Als Frau Muffelfell fertig war, wischte sie sich die Tatzen mit der Schürze ab und trat vor die Höhle hinaus. "Tobias" ,sagte sie, "der Honig ist alle. Du musst den neuen Honig bringen. Sonst kann ich keine Knusperchen mehr backen." Tobias Muffelfell verzog höchst unangenehm berührt die Schnauze und brummte ungnädig. "Es gibt keinen Honig mehr in der ganzen Nachbarschaft", sagte er, "wie soll ich welchen beschaffen?" "Du bist ein Mann, Tobias", sagte seine Frau, "mache eine Erfindung." Tobias Muffelfell stützte den Kopf in die Tatzen und dachte nach. Es dauerte sehr lange. "Jetzt weiß ich, was ich machen werde" ,sagte er endlich und ging zu seiner Frau in die Küche, "ich werde eine Postkutsche bauen und die Leute von einem Ende des Waldes zum anderen fahren. Dafür müssen sie mir Honig geben. Ist das nun eine Erfindung?" - "Ich weiß gar nicht, was eine Erfindung ist" ,sagte Frau Muffelfell. "Aber du sagtest doch, dass ich eine Erfindung machen soll?", sagte Tobias Muffelfell erstaunt. "Du bist ein Mann, Tobias", sagte Frau Muffelfell, "ich dachte, du wirst schon wissen, was eine Erfindung ist." - "Dann ist es bestimmt eine Erfindung" ,sagte Tobias Muffelfell und baute gleich eine Postkutsche aus einem hohlen Baumstamm und vier Rädern. Das Innere polsterte er sorgsam mit Heu und Moos aus, so dass es wirklich sehr hübsch und bequem aussah. Dann malte er große Anzeigen über sein neues Unternehmen auf Birkenrinde und klebte sie mit Harz an die Bäume in der ganzen Nachbarschaft. Am Tage der ersten Abfahrt hatten sich auch wirklich Fahrgäste eingefunden. Es waren ein Fuchs, eine Ente, ein Frosch, eine Fliege und ein Pfifferling. Tobias Muffelfell musterte die Gesellschaft misstrauisch. "Habt ihr auch Honig?", fragte er. "Wenn ihr keinen Honig habt, fahre ich euch nicht in der Postkutsche." Alle versicherten, sie würden bestimmt Honig beschaffen, sie hätten ihn nur eben nicht bei sich, denn das ganze Unternehmen sei ihnen zu überraschend gekommen. Tobias Muffelfell gab sich zufrieden. Er ließ die Fahrgäste einsteigen und wollte abfahren. "Tobias", sagte Frau Muffelfell, "das sind fast alles Leute, die einander verspeisen. Wenn sie sich unterwegs aufessen, dann kriegst du keinen Honig mehr." - "Das ist wahr", sagte Tobias Muffelfell. "Also dies ist eine Postkutsche und hier darf keiner den anderen fressen!", brüllte er unhöflich in den Wagen hinein. Dann spannte er sich vor und die Fahrt ging los. Die Fahrgäste begannen sich über den Zweck ihrer Reise zu unterhalten. Der Fuchs fuhr zur Jagd zu seinem Vetter, dem Wolf. Die Ente reiste in einen anderen Teich, um sich einmal gehörig über ihre ganze Verwandtschaft aussprechen zu können. Der Frosch reiste in Regierungsangelegenheiten. Er hatte ein Krönchen auf dem Kopf und war von kaltem und königlichem Geblüt. Die Fliege fuhr nur aus Leichtsinn mit und der Pfifferling überhaupt ohne den allergeringsten Grund. Leute, die aufeinander Appetit haben, dürfen nicht zusammen in einer Postkutsche fahren. Der Fuchs war der erste, der das einsah. Er bekam einen solchen Appetit auf die Ente, dass ihm das Wasser im Munde zusammenlief. Er hatte in der Eile überhaupt schon schwach gefrühstückt. "Ich kann es nicht mehr aushalten" sagte er und sprang von der Postkutsche ab - nur aus Appetit. Es dauerte nicht lange, da sprang auch die Ente ab. Sie konnte den Frosch nicht mehr ansehen. Lieber wollte sie den Weg zu Fuß weiter watscheln, als neben jemand zu sitzen, der ihrer Meinung nach in ihren Magen, aber nicht in eine Postkutsche gehörte. Nach einer Weile wurde dem Frosch, der an sich schon grün war, grün vor Augen. Sein Mund erweiterte sich unangenehm beim Anblick der Fliege und er sprang ab - auch aus Appetit. Der Bär Tobias Muffelfell hatte nichts von alledem bemerkt. Es war ihm wohl so vorgekommen, als wäre die Postkutsche leichter geworden, aber er dachte, das käme von der Übung beim Ziehen. Jetzt hielt er an. "Erste Haltestelle!" ,schrie er und guckte in die Postkutsche hinein. Die Fliege flog davon und in der Postkutsche saß einzig und allein nur noch der Pfifferling. "Die anderen sind alle ausgestiegen", erklärte er, "weil einer auf den anderen Appetit hatte und es nicht mehr aushalten konnte. Die Fliege ist davongeflogen, weil sie leichtsinnig ist. Nur ich bin sitzen geblieben, um das neue Unternehmen zu stützen." "Wer sind Sie denn überhaupt?", schrie Tobias Muffelfell. "Ich bin Pilz von Beruf", sagte der Pfifferling freundlich. "Können Sie denn überhaupt bezahlen?", fragte Tobias Muffelfell. "Nein, das kann ich nicht", sagte der Pfifferling, "ich bin ja eigentlich auch ganz ohne jeden Grund mitgefahren." "So", sagte Tobias Muffelfell, "das ist eine unerhörte Unverschämtheit von einem so knirpsigen Kerl mit einem so piepsigen Stimmchen. Dafür kippe ich Sie hier einfach aus und Sie können sehen, wie Sie auf Ihren kurzen Beinen allein wieder zurück wackeln." - "Das tut nichts", sagte der Pfifferling, "ich bin Pilz von Beruf und bleibe ruhig hier sitzen. Ich warte den ersten warmen Regen ab und dann kriege ich Kinder. Alles Übrige ist mir einerlei." Da zerschlug Tobias Muffelfell seine Postkutsche und ging sehr erbost nach Hause. Seine Bärenkinder kamen ihm schon von Weitem entgegen gelaufen: "Papa", riefen sie heulend, "wir können nicht mehr Fußball spielen. Wir haben keinen Fußball mehr." - "Warum habt ihr keinen Fußball mehr?" ,fragte Tobias Muffelfell böse. "Wir haben ihn aufgegessen, Papa" ,sagten die Kleinen. Da gab Tobias Muffelfell jedem seiner Bärenkinder eine Tatzenohrfeige. "Tobias" ,sagte Frau Muffelfell, "du siehst aus, als wären die Motten in deinen Pelz gekommen. Ich denke mir, du solltest doch lieber keine Erfindung mehr machen."
Ein Bär kann ruhig Erfindungen machen. Man muss bloß nicht alles durcheinander in einer Postkutsche fahren wollen - sonst bleibt am Ende nichts weiter übrig als nur ein Pfifferling!
 
Der Tod und das kleine Mädchen
(Deutschland / Manfred Kyber)
Es war einmal ein kleines Mädchen, das war immer sehr einsam. Es sei ein sonderbares Kind, sagten die Großen und es sei dumm und es vertrage keinen Lärm, sagten die Kleinen - und darum spielte niemand mit ihm. Ihr werdet nun gewiss denken, dass das sehr langweilig und sehr traurig für das kleine Mädchen war. Ein bisschen traurig war es manchmal schon, aber langweilig war es gar nicht, denn das kleine Mädchen langweilte sich niemals. Es kamen immer so viele Gedanken zu ihm zu Besuch und diese Gedanken sah es auch alle und sprach mit ihnen, als ob sie leibhaftig vor ihm stünden. Es war eine Sprache ohne Worte und diese Sprache kennen alle, zu denen die Gedanken zum Besuch kommen. Die Gedanken, die zu dem kleinen Mädchen kamen, waren alle sehr verschieden und sie waren auch ganz verschieden angezogen, wenn man das von einem Gedanken überhaupt sagen kann. Es waren traurige Darunter in grauen Kleidern, frohe in rosenfarbenen mit goldenen Sternen darauf, rote und lustige, die Fratzen machten, und blaue, die von Märchenländern erzählten und deren Augen immer irgendwo hinaus in eine weite Ferne sahen. Es muss sehr still um einen herum sein, wenn so viele Gedanken zu einem zum Besuch kommen. Darum ging das kleine Mädchen am liebsten ganz allein auf den Dorffriedhof und setzte sich zwischen alle die Gräber unter den hohen Bäumen. Das kleine Mädchen kannte alle die Gräber mit Namen und es war wirklich merkwürdig zu beobachten, welche Gedanken an den verschiedenen Gräbern zum Besuch kamen und an welchen Gräbern die Gedanken fort blieben. Es war, als ob es ihnen da nicht recht gefiele. Lehrreich und unterhaltend war es auch, was die Gedanken an dem einen oder anderen Grabe sagten, wenn sie zum Besuch kamen. Was sie sagten, war nicht immer schmeichelhaft für die Toten in den Gräbern. Aber das kleine Mädchen konnte daraus sehen, an welchen Gräbern man am besten sitzen und sich mit seinen Gedanken unterhalten konnte. Als nun das kleine Mädchen wieder einmal auf dem Friedhof saß und sich von seinen bunten Gedanken besuchen ließ, da kam eine Gestalt im schwarzen Gewande durch alle die Grabhügel geschritten und ging gerade auf das kleine Mädchen zu. "Bist du auch ein Gedanke?" ,fragte das kleine Mädchen. "Aber du bist so sehr viel größer als die Gedanken, die mich sonst besuchen, und du bist so schön, wie keiner von meinen vielen Gedanken es jemals war." Die schöne Gestalt im schwarzen Gewand setzte sich neben das kleine Mädchen. "Du fragst ein bisschen viel auf einmal. Ich bin wohl ein Gedanke - und doch wieder auch etwas mehr. Es ist für mich gar nicht so leicht, dir das zu erklären. Sonst täte ich es gewiss gerne." - "Bemühe dich nicht meinetwegen", sagte das kleine Mädchen, "ich brauche dich gar nicht zu verstehen. Es ist auch sehr schön, dich bloß anzusehen. Aber ich möchte gerne wissen, wie du heißt. Meine Gedanken sagen mir immer alle, wie sie heißen, und das ist sehr lustig." "Ich bin der Tod", sagte die schöne Gestalt und sah das kleine Mädchen sehr freundlich an. Man musste Vertrauen zum Tod haben, wenn man ihm in die Augen sah, denn es waren schöne und gute Augen, die der Tod hatte. Solche Augen hatte das kleine Mädchen noch nicht gesehen. Das kleine Mädchen erschrak auch gar nicht. Es war nur sehr erstaunt und überrascht und fast freute es sich, dass es so ruhig neben dem Tod sitzen konnte. "Weißt du", sagte es, "es ist so komisch, dass alle Menschen Angst haben, wenn sie von dir sprechen, wo du so nett bist. Ich möchte gerne mit dir spielen. Es spielt sonst niemand mit mir." Da spielte der Tod mit dem kleinen Mädchen - wie zwei Kinder miteinander spielen, mitten unter den Gräbern auf dem Friedhof. "Wir wollen Himmel und Erde bauen" ,sagte das kleine Mädchen, "hoffentlich verstehst du es auch. Wir machen den Himmel aus den hellen Kieseln und die Erde aus den dunklen. Du musst aber fleißig Steine suchen." Der Tod suchte kleine Steine zusammen und er gab sich viele Mühe, um das kleine Mädchen zufriedenzustellen. "Jetzt haben wir genug", sagte das kleine Mädchen. "Ich finde, dass du sehr schön spielen kannst. Willst du nun den Himmel bauen und ich die Erde oder umgekehrt? Mir ist es einerlei. Du kannst dir aussuchen, was dir mehr Spaß macht. Ich erlaube es dir." - "Ich danke dir sehr", sagte der Tod, "aber siehst du, ich bin kein Kind mehr und verstehe nicht mehr so zu bauen, wie man das als Kind versteht. Du bist ja noch ein Kind und ich denke, du baust dir deinen Himmel und deine Erde selber. Aber ich will dir bei beidem helfen." "Das ist nett von dir" ,sagte das kleine Mädchen und baute sich seinen Himmel und seine Erde aus den bunten Kieselsteinen. Der Tod sah zu und half dem kleinen Mädchen dabei. "Jetzt pass auf", sagte das kleine Mädchen, "hier ist der Himmel und drin wohnt der liebe Gott und hier ist die Erde und da wohne ich. Nun musst du auch noch eine Wohnung haben. Aber ich weiß ja noch gar nicht, wo du wohnst?" "Ich wohne zwischen Himmel und Erde", sagte der Tod, "denn ich muss ja die Menschenseelen von der Erde zum Himmel führen." - "Richtig", sagte das kleine Mädchen, "dann kriegst du eine Wohnung aus hellen und dunklen Steinen zusammen. Es soll eine feine Wohnung werden, du wirst schon sehen." Der Tod freute sich und sah zu, wie das kleine Mädchen ihm seine Wohnung baute. "Höre mal", sagte das kleine Mädchen, "du hast doch eben gesagt, dass du die Menschenseelen von der Erde zum Himmel führst. Erzähle mir mal ein bisschen davon, wie du das machst - und warum müssen wir überhaupt sterben? Kann man denn nicht einfach in den Himmel 'rüberlaufen?" Als das kleine Mädchen das fragte, läuteten die Glocken Feierabend. "Hörst du die Glocken läuten?", fragte der Tod. "Siehst du, mit den Menschenseelen ist das ganz ähnlich wie mit den Glocken. Jede Menschenseele ist eine Glocke und du hörst sie läuten, wenn du ordentlich aufpasst, in frohen und in traurigen Stunden. Bei manchen läutet sie nur noch ganz schwach und das ist dann wirklich sehr schlimm. Wenn ich nun zu einem Menschen komme, dann läutet seine Glockenseele Feierabend - und ich hänge die Glocke dann in den Himmel. Dort läutet sie weiter." "Läuten sie denn da alle durcheinander?", fragte das kleine Mädchen. "Das muss gar nicht schön klingen, denn jede läutet doch sicher ganz anders. Es ist gewiss nicht angenehm für den lieben Gott, sich das immer anhören zu müssen." - "Das ist schon wahr" ,sagte der Tod, "aber siehst du, die Glockenseelen kommen so oft auf die Erde zurück und werden so lange umgegossen, bis sie alle ihr eigenes richtiges Geläute haben und alle zusammenklingen. So lange aber muss ich die Menschen von der Erde zum Himmel tragen." "Das tut mir sehr leid für dich", sagte das kleine Mädchen, "es ist gewiss eine sehr mühsame Arbeit. Aber pass nur auf, es wird schon mal besser werden und dann hast du gar nichts mehr zu tun und wir beide spielen immer so nett zusammen wie heute." Der Tod nickte und seine Augen sahen in eine sehr, sehr weite Ferne. "Deine Wohnung ist jetzt fertig", sagte das kleine Mädchen, "ist sie nicht sehr hübsch geworden?" - "Sie ist sehr hübsch", sagte der Tod, "ich danke dir auch. Abe es ist spät und du musst jetzt nach Hause gehen. Es war schön, mit dir zu spielen." Und der Tod reichte dem kleinen Mädchen die Hand. "Guten Abend", sagte das kleine Mädchen und knickste, "kommst du nicht auch einmal mich besuchen? Ich bin so viel allein." - "Ja", sagte der Tod freundlich, "ich werde dich sehr bald besuchen, weil du so allein bist." Bald darauf wurde das kleine Mädchen sehr krank und die Leute meinten alle, dass es wohl sterben müsse. Die Leute waren traurig, denn es erschien ihnen immer traurig, wenn einer starb - und besonders wenn es ein Kind war, das das Leben noch vor sich hatte, wie sie sagten. Aber es war ja ein sonderbares Kind, das die Großen nicht verstanden und mit dem die Kleinen nicht spielen mochten. Am Ende war es so auch besser. Als die Glocken Feierabend läuteten, da trat der Tod zu dem kleinen Mädchen ins Zimmer. "Das ist nett von dir, dass du mich besuchen kommst", sagte das kleine Mädchen. "Es ist Feierabend" ,sagte der Tod und setzte sich zu dem kleinen Mädchen aufs Bett. "Ach ja", sagte das kleine Mädchen, "davon hast du mir damals so schön erzählt, als wir zusammen Himmel und Erde bauten. Dann kommst du gewiss, um meine Glockenseele zu holen. Hoffentlich klingt sie aber auch hübsch, so dass sich der liebe Gott nicht ärgert." "Sie sehnen sich im Himmel nach einer reinen Glocke", sagte der Tod, "darum haben sie mich gebeten, zu dir zu kommen." - "Muss ich dann sterben?", fragte das kleine Mädchen. "Das brauchst du gar nicht so zu nennen", sagte der Tod. "Siehst du, es ist ganz einfach: An deiner Tür stehen zwei Engel und die führen dich dann zum lieben Gott in den Himmel." - "Ich kann aber die Engel nicht sehen", sagte das kleine Mädchen. "Ich werde ich mal auf den Arm nehmen", sagte der Tod, "dann wirst du die Engel gleich sehen." Da nahm der Tod das kleine Mädchen auf die Arme - und als er es auf die Arme genommen hatte, da sah es zwei strahlende Engel in weißen Kleidern mit schimmernden Flügeln und die Engel führten es zum lieben Gott in den Himmel. Die Glockenseele des kleinen Mädchens aber läutete und es war lange her, dass eine so reine Glocke oben ihren Feierabend geläutet hatte. Im Himmel war es sehr schön und da war das kleine Mädchen kein sonderbares Kind mehr, denn die großen Engel verstanden es und die kleinen Engel spielten mit ihm. Auch der liebe Gott war zufrieden und freute sich, dass er eine so reine Glocke bekommen hatte. Das kleine Mädchen fand es nur sehr traurig, dass der Tod unten auf der Erde bleiben musste. Es sah ihn auf dem Friedhof stehen, wenn es mal herunterguckte und dann nickte es ihm zu. "Kannst du hören, wenn ich von oben 'runterrufe?" ,fragte das kleine Mädchen. "Ja", sagte der Tod, "du brauchst auch nicht so laut zu rufen, denn für mich sind Himmel und Erde so nahe beieinander, wie wir sie einmal zusammen aus Kieselsteinen gebaut haben." - "Das freut mich" ,sagte das kleine Mädchen, "es ist bloß sehr schade, dass ich nicht mehr mit dir spielen kann. Jetzt spielt niemand mehr mit dir. Sei bloß nicht zu traurig darüber. Hörst du?" "Es war schön, dass du mit mir gespielt hast", sagte der Tod, "und wenn ich einmal traurig werde, dann höre ich oben deine Glockenseele läuten und freue mich darüber, dass einmal ein Kind mit mir gespielt hat." - "Ja, tue das", sagte das kleine Mädchen, "und ich will dir auch etwas Wunderhübsches sagen, was mir die großen Engel erzählt haben. Die großen Engel sagen, dass einmal eine Zeit kommen wird, wo alle Glockenseelen zusammenklingen und alle Menschen mit dem Tod wie die Kinder spielen werden."
 
Der Drachentöter
(Schwaben / Franz Georg Brustgi)
Es war einmal ein König, der hatte drei Söhne. Als sie erwachsen waren, ließ er ihnen kostbare Gewänder anfertigen, gab jedem einen schön verzierten Gürteldolch und ein gutes Schwert in die Hand und sprach: "Nun reist hinaus in die Welt, seht euch überall wohl um und versucht euer Glück!" Dazu waren die drei Brüder gleich bereit, nahmen Abschied von ihrem alten Vater und zogen zum Tor hinaus. Als sie ein gutes Stück gewandert waren, kamen sie zu einer großen Tanne; da beschlossen sie, sich zu trennen. "Wir wollen unsere Dolche in diese Tanne stecken", sagte der älteste. "Kommt einer von uns zu irgendeiner Zeit wieder einmal hier vorbei, so mag er an ihnen erkennen, ob wir noch am Leben oder ob wir gestorben sind, und dies wird das Zeichen sein: wessen Dolch einen Rostfleck zeigt, der ist tot und wird die Heimat seiner Väter nie mehr wiedersehen." - Sie stießen also die blanken Klingen tief in den Baum; dann ging der eine zur Rechten, der andere zur Linken, der jüngste aber zog geradeaus und kam bald in einen großen, finsteren Wald. Wie er nun so allein zwischen den dunklen Tannen dahinging, kam ihm mit einem Mal ein Bär entgegen. Ohne langes Besinnen griff er nach seinem Schwert und wollte ihm auf den Pelz rücken. Der Bär aber rief: "Töte mich nicht, es wird dein Glück sein!" trottete freundlich und zutraulich heran und begleitete den Königssohn durch den Wald. Als er wieder eine Strecke gewandert war, kam plötzlich ein großer, wilder Wolf daher gesprungen. "Im nächsten Augenblick schon schwang der Prinz sein Schwert, stellte sich ihm in den Weg und wollte ihn erschlagen. Der Wolf aber rief: "Töte mich nicht, es wird dein Glück sein!" - Da ließ er auch ihn am Leben, und nun zog der Wolf mit dem Bären hinter ihm her. Es dauerte nicht lange, da stand, wie aus der Erde gewachsen, ein mächtiger Löwe vor ihm und fletschte die Zähne. Dem Königssohn fuhr geschwind der Schreck in die Glieder; dann aber zog er blitzschnell sein Schwert, um es ihm in den Rachen zu stoßen. Weil aber der Löwe sagte: "Töte mich nicht, es wird dein Glück sein!", schenkte er auch ihm das Leben. Nun zog auch der Löwe mit dem Wolf und dem Bären hinter ihm her, und alle drei Tiere wichen nicht mehr von ihm. Lange Zeit wanderte der Prinz mit seinen Begleitern durch den Wald, ohne einem Menschen zu begegnen. Endlich sah er in der Ferne eine Stadt. Da schritt er munter voran und zog bald darauf mit seinen Tieren durch das Tor ein. Doch seltsam: Alle Häuser waren mit schwarzem Flor behangen, und die Menschen gingen stumm und traurig durch die Straßen. Da fragte der Prinz, was denn der Stadt widerfahren sei. "Ach !" erzählten ihm da die Leute, "auf dem Berg dort, wo die Kapelle steht, haust ein siebenköpfiger Drache. Dem muß man jeden Tag ein unschuldiges Mädchen zum Fressen bringen sonst ist vor ihm niemand seines Lebens sicher. Nun aber soll ihm morgen die einzige Tochter des Königs ausgeliefert werden, und darum ist die Stadt in so tiefer Trauer." - "Das verstehe ich wohl", meinte der Prinz, "aber - ist denn gar keine Rettung möglich?" -"Ja, das fragen wir auch, lieber Herr", sagten sie. "Der König hat wohl schon lange im ganzen Lande bekanntmachen lassen, daß er dem Drachentöter die schöne Prinzessin zur Frau geben wolle; doch bis heute hat sich keiner gefunden, der den Kampf mit dem Ungeheuer wagen will." - Der Prinz hörte sich alles genau an und dachte: "Wenn d u den Drachen erlegen und die schöne Königstochter gewinnen könntest! Vielleicht würden die drei Tiere dir helfen?" Und er nahm sich vor, den Kampf gegen den Drachen zu versuchen. Am anderen Morgen, als die Sonne aufging, gürtete er sich sein Schwert um und stieg auf den Drachenberg, von seinen treuen Tieren begleitet. Als er zu der Kapelle kam, ging die Prinzessin gerade hinein, um zu beten. Sie war so jung und schön, daß er wie gebannt stehenblieb und ihr nachschaute. Da wurde er plötzlich durch ein fürchterliches Brüllen und Fauchen aufgeschreckt, und aus der Felsschlucht hervor stürzte der siebenköpfige Drache ungestüm auf ihn ein. Der Bär, der Wolf und der Löwe warfen sich wütend auf das Untier und jeder riß und biß ihm zwei Köpfe ab. Der siebente Kopf aber, der schrecklichste und gefährlichste von allen, fiel unter dem scharfen, Schwert des Prinzen in den Sand. Lang ausgestreckt lag der tote Drache in seinem Blute. Da trat die Prinzessin aus der Kapelle, ihrem Retter zu danken. Sie nahm die goldene Kette, die sie bisher selber, getragen, zerteilte sie und legte jedem der Tiere ein Stück davon um den Hals. Zu dem Prinzen aber sagte sie: "Ich danke dir von Herzen, du tapferer Mann! Du hast mich vom Tode errettet, und dafür will ich dir für mein ganzes Leben als deine liebe und treue Frau gehören! Nun aber komm mit zu meinem Vater. "Es kann noch nicht sein, liebe Prinzessin", sagte er; "ich muß mich zuerst noch eine Weile in der Welt umsehen. Heute übers Jahr aber komme ich wieder und dann wollen wir Hochzeit halten!" Darauf schnitt er aus den sieben Drachenköpfen die Zungen heraus, wickelte sie in ein seidenes Tuch und steckte sie in die Tasche. Dann nahm er Abschied von seiner Braut und zog mit seinen getreuen Tieren auf gut Glück in die weite Welt hinaus. Als der Prinz ihren Blicken in der Ferne entschwunden war, stieg die Prinzessin in die Kutsche, die am Fuße des Berges wartete, um sich nach Hause fahren zu lassen. Der Kutscher fuhr aber erst ab, nachdem er die sieben Drachenköpfe zu sich auf den Wagen geladen hatte. Und wie sie unterwegs durch einen dunkeln Wald kamen, hielt er plötzlich die Pferde an und sagte zu der Prinzessin: "So, nun sind wir allein und keiner ist da, der dir helfen könnte! Sage zum König, i c h hätte den Drachen getötet! Versprich es mir, oder du mußt auf der Stelle sterben!" Was konnte da die Prinzessin anderes tun, als zustimmen, wenn ihr das Leben lieb war? Als sie im Schloß ankamen, wies der Kutscher dem König die sieben Drachenköpfe vor, verlangte die Prinzessin zur Frau und wollte, daß die Hochzeit gleich am anderen Tage stattfinden sollte. Der König, der sein Wort halten wollte, war damit einig; die Prinzessin aber brachte es unter allerlei Vorwänden fertig, daß die Hochzeit immer wieder aufgeschoben wurde. Ein ganzes Jahr lang trieb sie es so; dann aber mußte sie dem Drängen des Kutschers doch nachgeben. Sie tat es auch scheinbar willig, weil sie hoffte, daß der rechte Bräutigam sich nun bald einfinden werde, so wie er es ihr versprochen hatte. Und richtig, als das Jahr bald um war, hatte der Prinz sich genug in der Welt umgesehen und die Heimreise angetreten. Als gerade noch ein einziger Tag an dem Jahr fehlte, kam er in der Stadt an und war erstaunt darüber, wie lustig und lebendig es überall zuging. Er kehrte in einem Wirtshaus ein, fragte den Wirt, ob er hier übernachten könne und fügte so beiläufig hinzu: "Was geht denn hier vor? Vor einem Jahr war die Stadt mit Trauerflor behangen und die Leute gingen stumm und traurig umher; heute dagegen sehe ich überall fröhliche Gesichter und die Stadt ist wie zu einem Fest geschmückt!" -"lhr habt's erraten", antwortete der Wirt und erzählte ihm, daß morgen die Königstochter Hochzeit halte mit dem Kutscher, der sie vor einem Jahr aus den Klauen des Drachen errettet habe. "Soso", sagte der Prinz, trank sein Glas leer und begab sich in seine Schlafkammer hinauf. Am anderen Tag, während droben im Schloß das Hochzeitsmahl im Gange war, saß der Prinz, als Jäger gekleidet, mit dem Wirt in der Schankstube. Sie sprachen von der schönen Prinzessin und dem Drachentöter und dem prachtvollen Fest, und dabei sagte der Prinz: "Herr Wirt, holt mir doch auch einen Krug von, dem Wein, den die Braut im Schlosse trinkt!" - "Das kann ich nicht, Herr!" antwortete der Wirt. "Dann muß ich halt meinen Wolf hinschicken!" meinte der Prinz; rief den Wolf zu sich und sagte: "Geh zu der Prinzessin ins Schloß und sage, dein Herr lasse um einen Krug von dem Wein bitten den sie selbst trinke!" Es dauerte nicht lange, und der Wolf kam mit dem Krug angesprungen. Da konnte der Wirt sich nicht genug wundern", saß nur da und sah den Fremden an und schüttelte den Kopf. "So, jetzt will ich auch von dem Braten haben, den die Braut ißt!" sprach der Prinz und schickte den Bären aufs Schloß, und der brachte wahrhaftig nach einer Weile ein Stück vom allerbesten Braten. "Nun fehlt bloß noch ein Stück von dem Brot, das die Prinzessin ißt!" sagte der Prinz, und schickte den Löwen hin. Der kam nach kurzer Zeit mit einem großen Stück Brot im Maul angetrottet. Die Prinzessin aber, die an der Hochzeitstafel saß, hatte die Tiere erkannt und wußte wohl, wer ihr Herr war. Darum gab sie ihnen auch alles, was sie forderten, von Herzen gerne. Der König hatte die sonderbaren Besucher mit Staunen beobachtet, nahm endlich seine Tochter beiseite und sprach: "Nun sage mir doch einmal, meine liebe Tochter: Was hast du eigentlich mit diesen wilden Tieren im Sinn?" Da erzählte die Prinzessin ihrem Vater alles, so wie es sich zugetragen hatte, und gestand ihm zuletzt, daß der wahre Drachentöter nun da sei und daß sie den und keinen anderen heiraten werde. Der König schickte sogleich einen Boten in das Wirtshaus und ließ den Herrn, dem die drei wilden Tiere gehörten, zur Tafel laden. Als die Hochzeitsgäste nun alle genug gegessen und getrunken hatten und noch eine Weile so recht vergnügt beisammen saßen, sagte der König: "Wir wollen uns zur Unterhaltung ein wenig erzählen. Und wer wird mehr erzählen können als der Drachentöter und unser lieber Gast, der Jäger, der heute erst von einer weiten Reise zurückkehrte? Beginne also, Freund Drachentöter!" Da ließ der falsche Drachentöter die sieben Drachenköpfe auf den Tisch legen und berichtete mit vielen aufgeblähten Worten, wie er sie damals im Kampf dem Untier abgeschlagen habe. Und alle, die von dem bösen Betrug nichts wußten und den Kutscher für den Drachentöter hielten, bewunderten ihn und spendeten ihm Lob über Lob. Der König aber verzog keine Miene und sagte nur: "Nun denn, Herr Jäger, erzählt Ihr einmal von Euren Abenteuern!" Der erhob sich, verbeugte sich höflich und gestand zum ersten, daß er kein Jäger, sondern ein Prinz sei. Dann schilderte er getreulich, auf welch eigentümliche Weise er zu den treuen Tieren gekommen sei und wie sie geholfen hätten, einen siebenköpfigen Drachen zu überwinden und eine Königstochter vom sicheren Tode zu erretten. "Und welch ein Zufall", sagte er, "gerade heute vor einem Jahr und nahe bei dieser Stadt hat sich all das zugetragen. Auch die Drachenköpfe hier kommen mir so bekannt vor, als ob ich sie schon einmal gesehen hätte. Nur, will mir scheinen, haben sie keine Zunge im Maul, was doch sonst gewiß bei allen Tieren der Fall ist." Da erhob sich der König und rief: "Diener! Öffnet die Drachenmäuler!" Und richtig, - in keinem von allen sieben war eine Zunge zu entdecken. "Wo sind die Zungen, Kutscher?!" stellte der König den falschen Mann zur Rede. "Da müßt Ihr nicht den da, sondern, mich fragen, Herr König", entgegnete der Prinz. "Hier sind sie!" - und dabei wickelte er die sieben Zungen aus dem seidenen Tuch. Und siehe, sie paßten genau auf die abgeschnittenen Enden in den Rachen der Drachenköpfe. "Und nun, edle Prinzessin", wandte sich der Prinz an die Königstochter, "kennt Ihr vielleicht die goldene Kette am Hals meiner Tiere?" - "O gewiß!" sagte sie, "die kenne ich gut! Ich selbst habe sie ja deinen Tieren umgehängt, weil sie dir so treu und tapfer im Kampf gegen den Drachen beigestanden haben." Nun wußte der König gewiß, daß der Prinz der wahre Drachentöter, der Kutscher aber ein arglistiger Betrüger war. In der gleichen Stunde noch wurde der Falsche dem Henker übergeben. Der Prinz und die Prinzessin aber hielten Hochzeit und lebten nach des alten Königs Tod noch lange Jahre in Glück und Freude als König und Königin. Was aus den beiden Brüdern des Königs geworden ist? Niemand weiß, ob sie heimgekehrt sind oder heute noch in der Welt umherwandern. Wenn ich aber an die große Tanne komme, will ich doch nachsehen, ob sie noch am Leben sind oder ob die blanken Klingen Rostflecke bekommen haben.
 
Der betrogene Teufel
(Schwaben / Franz Georg Brustgi)
Es war einmal ein junger Bursche, Berthold hieß er; dem waren Vater und Mutter gestorben und hatten ihm nichts hinterlassen, weder Geld noch Gut, und so stand er eines Tages arm und allein und ohne einen Freund auf der Welt. Jemand hätte er zwar schon gehabt, das war Gertrud, eine reiche Bauerntochter, die er heimlich liebte und die auch ihn gern hatte, denn er war ein sauberer und starker Bursche. Weil er aber so gar nichts hatte als seinen kärglichen Lohn und mit knapper Not ein ordentliches Werktags- und Sonntagsgewand, wollte es der Bauer nicht leiden, daß seine Tochter den armen Taglöhner heirate. Darüber war Berthold sehr traurig, saß oft an einem einsamen Platz im Walde und sann und sann und mußte immer nur das eine denken: "Ja, wenn ich reich wäre, dann würde ich die schöne und reiche Gertrud ganz gewiß zur ~rau bekommen. Wie aber soll aus mir armem Kerl ein wohlhabender Mann werden? Das wird im Leben nicht so weit kommen, und was tu ich also eigentlich auf dieser ungerechten Welt. Am besten wär's, ich würde einschlafen und nicht mehr aufwachen." Wie er nun wieder einmal so in düsteren Gedanken dasaß, stand plötzlich ein großer, fremder Jäger vor ihm - das war aber niemand als der Teufel - und sagte: "Ei, nur keinen solch trübseligen Gedanken nachspinnen, Bursche! Was drückt dich denn? Wo fehlt's?" - "Am Geld fehlt es mir. Reich sollt' ich sein!" antwortete Berthold bitter. "Wenn es weiter nichts ist", sprach der Teufel, "dazu kann ich dir leicht verhelfen. Du brauchst mir nur deine Seele dafür verschreiben." - "Die sollst du nach meinem Tod gerne haben; ich fange ja dann doch nichts mehr mit ihr an", sagte Berthold; "aber j e t z t will ich mich freuen mit ihr, wenn ich reich bin und das Mädchen, das ich schon lange gerne möchte, zur Frau bekommen habe." So ging also der arme Berthold in seiner Not den Pakt mit dem Teufel ein, bekam gleich einen Stumpen Gold ausgehändigt und war vom Tage an der reichste Mann im Lande. Es dauerte auch gar nicht lange, da gab ihm der Bauer seine Tochter und ließ die Hochzeit zurichten. Als aber die Feier gerade am schönsten war und das junge Brautpaar bei Flöten- und Geigenspiel den ersten Tanz miteinander tanzte, da ging plötzlich die Tür auf und der Teufel trat herein, um den versprochenen Lohn abzuholen. "Du siehst doch, ich halte gerade Hochzeit; da kann ich dir doch meine Seele nicht geben. Jetzt will ich erst recht anfangen zu leben! Komm in fünfzig Jahren wieder vorbei und frage nach", sagte Berthold und wollte wieder in den Saal zurück und zum Tanz gehen. So ließ sich aber der Teufel nicht abfertigen und bedachte, wie er sich heute noch des Burschen Seele mit List verschaffen könnte. "Höre!" sagte er drum zu Berthold, "ich will dich fortan ungeschoren lassen und auf deine ärmliche Menschenseele verzichten, wenn du mich mit irgendeiner Arbeit einen ganzen Tag lang beschäftigen kannst." - "Das müßte eine Kunst sein, dir für einen Tag Arbeit zu verschaffen", dachte der Bursche und war mit diesem Vorschlag gleich einverstanden. Er führte den Teufel vor das Dorf hinaus auf einen großen, abgemähten Fruchtacker und sagte: "So, diesen Acker sollst du umhacken!" Dazu brauchte ein einzelner Mann sonst drei volle Tage; der Teufel aber war schon nach einer Viertelstunde damit fertig und forderte weitere Arbeit. Da nahm Berthold ein Simri Kleesamen, säte den auf dem Felde aus und sagte: "Lies den Samen wieder in das Simrimaß zurück! Es darf aber kein Körnlein liegenbleiben!" Doch auch das war dem Teufel eine Kleinigkeit; er war in einer halben Stunde fix und fertig und verlangte neue Arbeit. Nun wurde aber dem Berthold allmählich doch höllenangst, und er kam jedesmal bleicher und aufgeregter in den Saal zurück. Die Braut merkte, daß da etwas nicht stimmte und fragte ängstlich und besorgt ihren Mann: "Warum bist du denn so blaß? Was hast du denn, daß du immer aus- und eingehst?" Da gestand er seiner Frau alles und klagte ihr die Not und Gefahr, in der er schwebte. Als sie ihn angehört hatte, fing sie aber nicht etwa zu weinen und zu jammern an, sondern lachte und sprach: "Oh, hättest du mir das doch gleich zu Anfang gesagt! Ich kann dir helfen, mein lieber Berthold!" Dabei zupfte sie sich eins ihrer kurzen, krausen Haare aus, gab es ihm und sagte: So, nun bring das dem Teufel und verlange von ihm, daß er es gerade machen solle." - "Was habe ich doch für eine kluge Frau!" sagte Berthold, gab seiner Braut einen Kuß und eilte so schnell er konnte auf den Hof hinaus. Als der Teufel das Haar nur sah, schnitt er schon ein Gesicht wie neun Tage Regenwetter, zupfte und zog und bog voll Wut an dem Härchen herum und legte es zuletzt sogar auf den Amboß, um es mit dem schweren Schmiedehammer gradzuklopfen. Doch es war alles umsonst; er konnte diese Arbeit an einem Tage nicht zustande bringen. Das Haar blieb kraus, und der Teufel war um seinen Lohn betrogen. Voller Freude kehrte Berthold zu seiner Braut zurück, tanzte und feierte mit ihr bis in den frühen Morgen hinein und lebte nun mit seiner Frau in Glück und Wohlstand bis an sein Ende.