Rede an einen Freund ...

Jadale

Grafikmami
ID: 144788
L
30 Mai 2006
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Rede an einen Freund, anlässlich meines eigenen Dahinscheidens:

Lieber Freund,

weine nicht um mich. Lass lieber den Himmel weinen, oder den Wind. Ich habe ihn doch so gerne.

Manche Menschen sagen, der Tod sei wie´s Schlafen, nur ohne Träumen, ich finde das wenig tröstlich. Ich denke der Tod ist wie Träumen, nur ohne Schlaf. Es ist schwierig sich hier unten zurechtzufinden, so wenig, woran man sich halten kann. Niemand, der einen halten kann. Ich wünschte, ich könnte mir einen großen Tisch erträumen, an dem Du sitzen sollst. Es ist so still hier. Lach doch mal, damit ich dich hören kann. Lauter!

Nein ich höre dich nicht, ich spüre dich nicht. Ich bin wie der Wind, ich berühre deine Haut, aber habe selber keine. Du fühlst den Schauer, aber ich fühle nichts! Deshalb sollst Du für mich noch einmal Farben sehen, damit Du mir berichten kannst, wenn Du kommst! Du sollsr noch mal alle Lieder singen, damit wir später darüber reden können. Tanz, versuch zu fliegen, ich weiß jetzt, dass es möglich ist. Du musst leben! Man lebt viel zu wenigm um zu sterben, denn denk daran: Jeder lebt seinen eigenen Tod.

Meiner war enttäuschend! Kam ohne Pauken und Trompetenm sprach zu mir, regelte die Fakten und ging. Und ich mit ihm. Keine persönlichen Gegenstände, nur die nackte Haut, nur zwei kleine Handkoffer mit den wichtigsten Erinnerungen - müssen jetzt einen Tod lang halten. Ich wünscht, ich hätte welche von meiner Geburt gefunden, aber da war nichts. Stattdessen das Übliche: der erste Kuss, viele Tränen und eine ganze Palette von Abschieden. Dann im zweiten Koffer, ein paar stille Momente. Nur ich und ein lieber Mensch. Auch von Dir habe ich einige Gedanken dabei.

Und so, leicht bepackt, führte mich der Tod an den früh Gestorbenen vorbei, den toten Kindern. Es waren unglaublich viele. Dann führte er mich an anderen, den Ungeborenen vorbei, es waren noch einmal mehr. Und schließlich kamen wir zu den nie Gezeugten, die nicht einmal als Gedanke existieren. Ihre Zahl, lieber Freund, ist so gewaltig, das mir klar wurde: Ihr Lebenden seid nur ein kleiner Kreis, eine kleine elitäre Minderheit. Und noch etwas hat mir der Tod verraten, und ich verrate es Dir: Wir sind die einzigen im Univeriversum, wir sind ganz allein.

Und ich spreche heute zu Dir, damit dir klar wird, wie besonders, einzigartig und zur gleichen Zeit nichtig ihr seid.

Ich beneide Euch, ihr Lebenden, und ihr beneidet mich. Ruhe er sanft, sagt ihr, schreibt es vielleicht auch noch auf meinen Grabstein. Dabei denkt ihr, vielleicht sogar verborgen vor euch selbst: Ich bin müde!

Aber Du hast keine Zeit müde zu sein, denn hier schläft man nie. Hier ist man beschäftigt zu träumen. Aber so schön wie das Leben, sind die Träume nie. Los wach auf!

Hätte man mir noch einen Tag geschenkt, hätte ich den Himmel stahlblau anmalen lassen, in die Ecke hätte ich einen blutroten Sonnenuntergang gesetzt, der Wind, mein geliebter Wind, hätte geblasen. Du um mich herum, ich in deiner Mitte. Am Abend noch würde man überall Blüten sehen können. Ich würde Dich umarmen und küssen. Denn ich wollte nicht alleine gehen. Hätte ich noch einen Tag gehabt, hätte ich dem Tod einen Empfang gegeben, der ihn das Leben fürchten lehrte. Reißen hätte er mich müssen. Alle Rosen dieser Welt.

Noch einmal zum Nordmeer rennen, in die Ferne schauen. Allein, oder doch mit Dir? Eine Filmmusik hätte ich geschrieben, damit ich dem Tod zeigen kann, wie Fanfaren klingen.

Denn jetzt sehe ich Dich vor einem trüben Himmel, und Dein Gesicht ist toter, asl ich es bin. Sieh, ich male den Himmel für dich stahlblau! Und lasse Gewitterwolken ziehen! Sie tragen das gesamte Nordmeer in ihren dicken Bäuchen und dahinter versinkt die Sonne. Alle Riesen dieser Welt lasse ich auf Dich fallen. Schau mich doch einmal wenigstens an! Hörst Du die Fanfaren nicht? Los, ich will dich tanzen sehen, nicht in schwarz, in bunten Farben sollst du tanzen. Und sag doch endlich was, es ist so still, so schrecklich still in meiner Welt.

Dann sage ich es eben. Ich wische die Wolken weg, und auch die Rosenblätter und die Sonne. Die einzige Fanfare, die Du hörst bin ich.

Ich liebe dich! Dazu brauche ich nicht mal mehr Erinnerung. Ich liebe Dich, ich würde dich gern berühren. Es tut mit leid, das ich gegangen bin, es tut mir leid. Du warst das Opfer meiner Angst vor Einsamkeit. Ein Opfer, das man gerne Freund nennt.

Hab Dich an mich gebunden und im Stich gelassen. Nun sitze ich hier im Dunkel und warte auf dich. Ich würde gerne weinen, aber das darf ich nicht. Tränen machen den Menschen erst schön. Sie schmecken wie das Nordmeer.

Aber keine Wolke bringt Dein Wasser in meine Augen. Ich habe es schon vorher gesagt: Es weht kein Wind!

Ich möchte Deine Wolke sein. Die Tränen, werde ich am meisten vermissen, meine und Deine. Die Tränen, und das Lachen danach, und die Tränen danach und das Lachen und die Tränen, bis wir selber nicht mehr auseinander halten konnten. Sieh mir in die Augen, ich will dich schön sehen.

Darum weine jetzt. Nicht UM - sondern FÜR mich.


[Liebe Leser, jeder von uns hat schon mal einen Menschen verloren. Jeder von uns liebt seine Familie, seine Freunde und auch seine Feinde. Und jeder von uns liebt sein Leben. Dieses Schreiben ist ein Versuch, den Tod (oder auch den Traum nach dem Leben) aus Sicht eines Dahingeschiedenen zu erläutern, ich weiß es schwer sich hineinzuversetzen, aber vielleicht hilft es auch dem Ein oder Anderen, über einen lieben verlorenen Menschen hinweg.]
 
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