Einheitsbrei verdrängt Vielfalt

BuddyJesus

Koksnutte
ID: 243390
L
16 Juni 2006
1.749
238
Nabend allerseits,

da ich gerade Zeit und etwas auf dem Herzen hab', mecker ich mal eine Runde rum.

Dass die meisten Menschen keinen besonders weiten Horizont haben, ist natürlich kein Geheimnis. Beschränkt, wie wir sind, grenzen wir uns ein und lehnen Neuerungen ab.

So natürlich auch in der Musik. Immer häufiger fällt mir auf, wie stark sich die meisten Menschen doch auf einige, winzige Teilbereiche der Musik festlegen und durch (fast) nichts dazu zu bewegen sind, ihren Musikgeschmack doch etwas zu erweitern. Das Traurige daran ist für mich, dass diese Art vielen jungen und/oder unbekannten Bands/Musikern die Chance raubt, wirklich große Neuerungen hervorzubringen und zu einer vielfältigen Entwicklung der heutigen Musik beizutragen.

Doch dessen nicht genug, tragen 95% der Medien, leider, zu dieser, in meinen Augen, negativen Entwicklung bei. Hört man sich denn mal zwei/drei Tage, jeweils fünf Stunden lang, einen Radiosender an, so fällt einem auf, dass man, im Idealfall, zwei neue Songs gehört hat. Dabei werden fast jeden Tag etliche neue Lieder herausgebracht, welche eine vernünftige Promotion bei weitem mehr verdient und nötig haben, als Künstler, wie z.B. Timbaland und Nelly Furtado (ja, das Beispiel ist bewusst gewählt und wird gleich noch näher erläutert), die ohnehin schon weltberühmt und steinreich sind.

Natürlich will ich nicht behaupten, alle der neu produzierten Songs seien von hohem musikalisch-künstlerischem Wert, was ohnehin subjektiv ist, doch glaube ich kaum, dass solche "Giganten" der Musikindustrie nicht drei bis vier Wiederholungen im Radio weniger vertragen könnten.

Besonders beschämend finde ich, um das o.g. Beispiel aufzugreifen, das Stars von solchem Rang sich weiterhin zwanghaft profilieren müssen, indem sie Lieder etwas unbekannterer Bands aufgreifen, kaum bis wenig merkliche Veränderungen vornehmen, um dann ein "feat. Timbaland" hinter den Künstlernamen im Musikvideo zu setzen. Im Fall "Apologize" von One Republic übersteigt die Dreistigkeit jedoch alle bisher gekannten Grenzen. Schaut man sich den Clip an, so fällt auf, das dort nicht "One Republic feat. Timbaland", sondern "Timbaland (feat. One Republic)" eingeblendet wird.

Wie kann ein Musiker, mit auch nur einem Funken Anstand und Selbstachtung, seinen Namen VOR dem des eigentlichen Künstlers (der zur allem Überdruss auch noch eingeklammert wird)setzen, dessen, bereits fertig geschriebenes und produziertes, Lied er lediglich "remixt"?

Nun gut, dass neue Songs und Künstler in den Medien eine Seltenheit sind, ist eine Sache. Doch kann man Radiosendern und Musikchannels im TV nicht mal zu Gute halten, dass sie eine große Auswahl des bereits Vorhandenen bieten. Nein! Genau das Gegenteil ist der Fall. Aus dem riesigen Musikrepertoire, das sich im Laufe der Jahre angehäuft hat, werden Zuschauer/-hörer maximal 2% präsentiert, welche dann auch noch todbringend wiederholt werden, bis sogar das schönste Lied zu einem Teil des omnipräsenten Einheitsbreis wird.

Als unweigerliche Folge daraus, kann nur ein winziger Bruchteil der Jugend mit Namen wie z.B. "Pearl Jam", "Soundgarden", "Cream" und "The Doors", von Blueslegenden wie B.B. King oder Stevie Ray Vaughan ganz zu schweigen, etwas anfangen, die jedoch allesamt Meilensteine der Musik- und insbesondere der Rockgeschichte sind.

So schmerzt es mir in der Seele, wenn jemand lautstark bei "Smells like Teen Spirit" mitgrölt, aber mich beim Erwähnen des Namens "Patti Smith" anschaut, wie einen Außerirdischen.

Damit wäre ich vorerst am Ende.

Möglicherweise liege ich mit meiner Einschätzung auch daneben und urteile Unfair. Vielleicht machen einige unter euch ähnliche, oder auch gegenteilige Erfahrungen.

Ich bitte um Rückmeldung.

Gruß
BJ
 
Ich spare mir mal das Zitieren bei dieser ersten Antwort in diesem Thread und gehe auf deine Ausführungen insgesamt ein.

Da ich ja Medienwirtschaft studiere und auch weil ich mich privat dafür interessiere, bin ich mit dem Radiomarkt ganz gut vertraut und beobachte da auch aktuelle Entwicklungen usw.

Es ist völlig richtig was du sagst: Die Musikauswahl bei den allermeisten Radiosendern beschränkt sich auf eine Rotation von 300 bis 500 Titeln. Dafür gibt es mehrere Gründe:

  1. Radio ist mittlerweile zum "Nebenbei-Medium" geworden. Man schaltet also nicht mehr für eine spezielle Sendung ein, so wie es noch in den 70ern oder 80ern war, sondern lässt das Radio im Auto oder beim Frühstück nebenbei laufen. Deswegen gibt es zumindest im Tagesprogramm nur sehr wenige Spezialsendungen. Viele Leute würden abschalten, wenn plötzlich 60 Minuten nur Rockmusik oder 120 Minuten nur Hits aus den 60ern liefen. Und weniger Hörer sind für keinen Sender gut - logisch.
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  2. Die durchschnittliche Hördauer beträgt in Deutschland etwa 15 Minuten. Im Durchschnitt hört also jemand 15 Minuten am Stück Radio, bevor er ab- oder umschaltet. Das ist der Grund dafür, dass bestimmte Titel, die sich gerade in der Hot-Rotation befinden, v. a. bei privaten Radiosendern alle 3 bis 6 Stunden wiederholt werden. Es soll ja schließlich jeder Hörer früher oder später die neue Musik kennenlernen.
Dennoch gibt es auch heute noch, v.a. abends, bei Radiosendern Spezialsendungen, die vielleicht eher deinen Musikgeschmack treffen. Darf ich fragen in welchem Bundesland du wohnst? Denn es macht einen großen Unterschied, ob du Radiohörer in Hamburg oder in Baden-Württemberg bist.
 
Viele Leute würden abschalten, wenn plötzlich 60 Minuten nur Rockmusik oder 120 Minuten nur Hits aus den 60ern liefen. Und weniger Hörer sind für keinen Sender gut - logisch.

Natürlich, das gefiele auch mir nicht, da ich mir ja ein abwechslungsreiches Radioprogramm wünsche. Die Sender versuchen, zumindest ein wenig, eine bestimmte Bandbreite an Musik zu bieten, was ihnen aber, meinem Gehör nach, nicht so richtig gelingen will. Vielleicht liegt das auch daran, dass die gespielte Musik einfach keine Vielfalt an Sounds und Genres präsentiert. Spätestens nach einer Stunde nimmt mein, wählerisches, (Musiker-)Gehör nichts neues mehr wahr, nicht mal dann, wenn ich aktiv zuhöre.

Dennoch gibt es auch heute noch, v.a. abends, bei Radiosendern Spezialsendungen, die vielleicht eher deinen Musikgeschmack treffen. Darf ich fragen in welchem Bundesland du wohnst? Denn es macht einen großen Unterschied, ob du Radiohörer in Hamburg oder in Baden-Württemberg bist.

Es ist nicht so, dass mir die Musik im Radio missfällt, das Problem ist eher, dass ich einen sehr breit gefächerten Musikgeschmack habe und dementsprechend schnell des Hörens müde werde, wenn mir zwei Stunden dieselben Rock/Pop-, HipHop- und R'n'B-Muster ins Ohr geleiert werden.

Ich wohne übrigens in NRW.
 
Die Sender versuchen, zumindest ein wenig, eine bestimmte Bandbreite an Musik zu bieten, was ihnen aber, meinem Gehör nach, nicht so richtig gelingen will.
Und das ist eben genau die Absicht, die ich im letzten Beitrag schon beschrieben hatte. Viele Sender legen besonderen Wert auf gute Durchhörbarkeit. Das heißt, dass das Radio unauffällig im Hintergrund läuft und keine störenden Musiktitel kommen, die den Hörer zum Abschalten bewegen könnten, weil eine Passage z.B. zu rockig ist.

Das ist das ganze Geheimnis dahinter. ;)

Ich wohne übrigens in NRW.
Gerade da wäre man froh, wenn der WDR mal in seinem riesigen Archiv kramen würde. Ich komme auch aus NRW und kenne das Problem. iTunes sei Dank ist meine persönliche Rotation mittlerweile deutlich größer als die der Radiosender. Ab und an wechsle ich aber trotzdem noch zu 1Live oder WDR 2.

Wenn du Abwechslung haben möchtest versuch es mal bei 1Live täglich ab 20 Uhr, oder aber bei WDR 2 ab 21 Uhr werktags, samstags ab 19 Uhr und sonntags ab 20 Uhr. Da bekommst du zumindest deutlich mehr Auswahl als im Tagesprogramm und auch die Musikfarbe ist dann anders.

Ansonsten wird dir über kurz oder lang nichts anderes übrig bleiben als auf Dienste wie zum Beispiel Last.fm zurückzugreifen.
 
Als unweigerliche Folge daraus, kann nur ein winziger Bruchteil der Jugend mit Namen wie z.B. "Pearl Jam", "Soundgarden", "Cream" und "The Doors", von Blueslegenden wie B.B. King oder Stevie Ray Vaughan ganz zu schweigen, etwas anfangen, die jedoch allesamt Meilensteine der Musik- und insbesondere der Rockgeschichte sind.

Faszinierend, Pearl Jam und Cream in einem Satz zu hören *G*

Nein, ernsthaft: es lässt sich doch nicht verhindern, dass man den einen kennt, vom anderen aber nie etwas gehört hat. Das ist in allen Bereichen der Kunst so. Der eine kennt J.K. Rowling, aber hat nie was von Tieck gehört. Der eine kennt Warhol, Friedrich ist ihm aber ein Fremdwort. Und der eine kennt Cream (oh yeah! Tales Of Brave Ulysses in der Playlist gerade *aufdreh*), aber hat nie etwas von Haydn gehört. Das beschleunigt sich momentan durch die enorme Kurzlebigkeit der "Acts" und durch das Produktionstempo, welches rasant zunimmt, ist aber letztlich ein ganz natürliches Phänomen und zwar für den "Kenner" ärgerlich aber nicht zu ändern...