Der Blick auf das Uhrenpaar über dem Eingangsportal der barocken St. Pauls Kathedrale in Maltas ehemaliger Hauptstadt Mdina lässt einem kurz am eigenen Zeitgefühl zweifeln. Und dabei zugleich einer der vielen Geschichten des kleinsten und südlichsten europäischen Staates aufsitzen, dessen heutige Hauptstadt Valletta die diesjährige europäische Kulturhauptstadt 2018 ist. Kultur ist keine Frage der Größe.
Willkommen auf der Insel mit ihren hintersinnigen Bewohnern. Es gibt viele Kirchen hier, die zwei Uhren und zwei Zeiten zeigen. Denn wenn der Teufel nicht weiß, welche Stunde es schlägt, dann kann er die armen Seelen auch nicht zur vorgesehenen Zeit zu sich holen. Eine wahrlich raffinierte Idee!
Für andere findige Täuschungsmanöver bezüglich diverser Steuervermeidungstricks hat der nur rund 430.000 Menschen zählende Inselstaat, dessen Namen vermutlich auf die punische Bezeichnung malet für Zufluchtsort zurückgeht, in den letzten Jahren jedoch deutlich weniger freudige Reaktionen erhalten und liegt wie ein schmutziger Schatten über den sonst so sonnenreich strahlenden Land. Aber es gibt auch gute Gründe, ausgiebig zu feiern. Denn mit Valletta als Kulturhauptstadt Europas wird gezeigt, dass die Inseln so viel mehr als Anlegestellen für teure Jachten, dubiose Schließfächer und anonyme Briefkästen zu bieten hat.
Oh ja, die kleine Insel - eigentlich sind es drei bewohnte - Malta, Gozo und Comino - und vier unbewohnte - Cominotto, Filfla, St. Pauls Island und Fungus Rock, die zusammen die Republik Malta bilden - hat in der Tat einiges zu bieten. Allein schon der Blick auf die lange Besiedlungsgeschichte und die zahlreichen Eroberungsversuche lässt erahnen, welche große Begehrlichkeiten dieses kleine Land von Anbeginn weckte:
Die Phönizier und Karthager waren dort, zudem die Griechen und die Römer, die Araber kamen und auch noch die Normannen. Alle haben sie Spuren hinterlassen. Alle prägten sie die Orte und die Sprache der Inseln, die ab 1530 unter der Herrschaft des souveränen Malteserordens erste Eigenständigkeit erlebten, 1814 jedoch britische Kolonie wurden und erst am 21. September 1964 die heutige Unabhängigkeit erlangten.
Doch die Geschichte reicht noch viel, sehr viel weiter zurück. Zurück in eine Zeit voller Mythen und Rätsel. Wann genau und wie die ersten Menschen nach Malta gelangten, ist hierbei wissenschaftlich so umstritten, wie der strategisch günstig gelegene Inselstaat lange umkämpft war. Irgendwann aber muss es geglückt sein, denn die aus Stein errichteten und in ihn gemeißelten Zeugnisse uralter Kulturen haben beeindruckende Zeichen hinterlassen. So etwa im malerisch auf einem Hochplateau über dem Mittelmeer gelegenen Tempelkomplex Hagar Qim, oder in den Tempeln von Tarxien. Durch ihre formstarken Frauengestalten, die detailnahen Reliefdarstellungen von Tieren und die mit spiralförmigen Motiven und abstrakten Punktmustern geschmückten Altäre und Wände öffen diese Monumente ein faszinierendes Fenster in eine schon damals kunstsinnige Vergangenheit.
Wer in L-Isla, einer der Three Cities, die zur Verteidigung des Grand Harbour gegenüber von Valletta gegründet wurde, an der Spitze der dortigen Bastion den Beobachtungsposten Il Gardjola besucht, hat nicht nur einen berauschenden Blick auf die Hauptstadt und den Hafen, sondern findet zugleich einen Turm der besonderen Art: einen mit Ohren, Augen und einem Kranich. Hören, sehen und aufmerksam die Umgebung wahrnehmen - was einst als Zeichen der Feindabwehr in Stein gemeißelt wurde, kann heute Anregung zum wachen Erkunden diese und aller anderen Orte der Welt sein!