Eintrag #16, 14.05.2012, 22:00 Uhr

Metamorphosen

Metamorphosen

 

„Die größte Entscheidung deines Lebens liegt darin, dass du dein Leben ändern kannst, indem du deine Geisteshaltung veränderst.“  Albert Schweitzer.

 

... und ich sah, dass es sich schleichend verändert hatte und durchsichtige Finger schon eine ganze zeitlang nach uns gegriffen haben. Schließlich wurde es zu dem, was es heute war, eine zähe, scheinbar undurchdringliche Masse aus regelmäßig überstandenem Alltag in dem jeder Moment Individualität so selten war wie eine Oase in der Wüste. Und ebenso einsam.

Als ich sie früher lachen sah, dachte ich, dass es wie ein Prisma sei, in dem sich Energien wie Sonnenstrahlen brechen und alles in einen grellen Tanz von Farben taucht. Wenn sie jetzt lacht, denke ich an Krokodilstränen und das feixende Lachen einer Hyäne. Veränderungen.

„Wie geht es dir?“

„Gut.“ Floskeln und sich wiederholende Muster. Absolute Berechenbarkeit wird zum Primat eines sogenannten geregelten Lebens. Geregelt bis ins kleinste Detail. Wer steht morgens als erstes auf? Wer kocht Kaffe, wer den Toast? Welche Wange wird beim Abschied reflexartig und unbewusst geküsst?

Regelmäßigkeit. In Zeiten unsicherer Arbeitsplätze, sinkender Renten und Hartz IV verkommt Liebe zu einem Heilsbringer in Form eines Rettungsankers, der wie ein Ehering aussieht. Lieber zusammen untergehen.

„Wie geht es dir?“

„Geht so.“

Irritation. Was sie gerade denkt bleibt absolut im Verborgenen, denn kein Wort entspricht von diesem Zeitpunkt an den gewohnten Mustern. Anarchie in geregelter Kommunikation zwischen zwei sich den Papieren nach Liebenden.

„Wie geht es dir?“

„Ich kann dich nicht mehr ertragen.“

Näher an der Realität als in jeder Endlosschleife zuvor. Befreiung durch Niederreißung der Trägheit und Entlassung aus verhasster Pflicht. Sie sieht mich an und runzelt dabei die Stirn. Jede kleine Falte wird dabei exponentiell vertieft und in diesem Moment sieht sie aus wie ihre Mutter und mir wird klar, dass auch das eine Regelmäßigkeit ist, die mir längst hätte auffallen müssen.

„Wie bitte?“

Typisch. Leugnung der Realität ist eine der ersten Stufen auf dem Weg zur Akzeptanz des Todes. Hab ich bei Wikipedia gelesen. „Die fünf Stufen auf dem Weg zur Akzeptanz des Todes.“

„Glaubst du etwa, du hättest keine Fehler? Du bist manchmal so ein blödes Arschloch.“

Ich lächle sie an. Wir sind schon auf der zweiten Stufe angekommen. Zorn. Zorn als Antwort auf Anarchie in der Beziehung, ihre Kreativität scheint tatsächlich und gerade in Krisensituationen begrenzt zu sein.

Sie atmet ein, sie atmet aus. „Verdammt. Was ist los mit dir? Wenn du irgendein Problem hast, sollten wir darüber reden, anstatt uns zu streiten.“

Dritte Stufe: Verhandeln.

„Ich kann dich einfach nicht mehr ertragen. Es gibt nichts neues mehr zwischen uns. Alles ist ein eintöniger Einheitsbrei aus Unselbständigkeit und idiotischen Wiederholungen. Da gibt es nichts zu verhandeln.“

Sie sieht mich an. Gekränkt bis ins Mark. Jede Beleidigung und Nichtwürdigung ihres Menschseins wird von ihr aufgesogen und gespeichert wie ein Schwamm. Totales Erinnern, auch wenn’s wehtut. Sie dreht sich um. Es wäre ein herzzerreißendes Schluchzen, wenn die Laute etwas in mir zum zerreißen bringen würden. Aber ich bin zu frei, um verletzt zu werden von etwas, das in meiner Gegenwart definitiv zur Vergangenheit gehört.

Und wir nähern uns mit der Depression, der vierten und somit vorletzten Stufe unserer Reise.

Sie erhebt sich bebend und sieht mich mit einem Schleier aus Verständnis an. Ihr Spiel ist beendet, sie kennt ihren Part und weiß, dass es auf jeden Fall darauf hinauslaufen wird. Der Regisseur, auch wenn er nicht existent zu sein scheint, hat immer Recht.

„Weißt du schon, wo du wohnen wirst?“

„Nein. Ich suche noch nach einer Bleibe. Ich werde solange hier wohnen, wenn du nichts dagegen hast.“

„Es ist unsere Wohnung. Aber falls es dir nichts ausmacht, könntest du im Wohnzimmer schlafen.“

Natürlich werde ich im Wohnzimmer schlafen. Ich habe die Anarchie hineingebracht. Ich habe unsere Beziehung mit dem Chaos getötet. Warum sollte ich nicht auf der Couch schlafen?

Ich denke an die letzte Stufe, die Akzeptanz und freunde mich damit an, die Nacht auf dem unbequemen Sofa zu verbringen. Aber Genugtuung ist ein sanftes Ruhekissen.

 
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