Da stand ich nun unentschlossen mit der Frage an mich vor der Tür, ob ich es noch wagen könne einen kleinen Rundgang zu machen. Der Blick nach oben zeigte mir eine schwarze Wolke, die sich langsam aber unaufhaltsam näherte. Irgendwie kam sie mir bekannt vor, aber Wolken sehen sich oft ähnlich. Außerdem, so erklärte ich mir sogleich, begegnet einem dieselbe Wolke nie zweimal im Leben. Schwarze Wolken, weiße Wolken, unzählige sind schon über mir hinweggezogen. Die einen freundlich, andere, indem sie ihre Ansammlung von ganz kleinen Wassertröpfchen über mir abgeladen haben. Und wieviel unterschiedliche Wolken es gibt: Schäfchenwolken, Schleierwolken, Haufenwolken, Gewitterwolken, Regenwolken. Und jede dieser Wolken ist wieder verschieden. Also fast so wie bei den Menschen.
Weder die Anzahl der Wolken, noch die Anzahl der Menschen denen ich begegnet bin, ist mir bekannt. Und von vielen Menschen glaube ich, sie schon einmal gesehen zu haben. Ähnlich wie bei den Wolken. Wievielen Menschen begegnen wir eigentlich täglich ? Wieviele laufen an einem vorbei, neben einem her, wieviele sehen wir durchs Fenster, beobachten wir vielleicht ? Nein, ich habe sie nie gezählt, kann es und will es auch nicht. Aber neulich auf einer Bank überlegte ich mir zumindest, was einzelne Personen, die gerade an mir vorbeigehen, wohl jetzt vorhaben, wohin ihr Weg führt, ja, was sie in diesem Moment denken, eventuell auch über mich hier auf der Bank.Was wäre, wenn ich jetzt aufstehen und in einen dieser Menschen hineinschlüpfen könnte, nur für einen Tag ? Aber mit all seinen Gedanken, seinem Handeln, eben für einen Tag er sein können. Und doch in meinem Bewußtsein bleiben, morgen wieder ich sein. Und hier an der Bank würde ich mir selber begegnen. Mit den Gedanken von jenem Mann, der soeben da vorne links in die schmale Gasse eingebogen ist.
Auf dem Rückweg: Gerade hatte ich die Straßenseite gewechselt, weil drüben, zumindest lückenhaft, die Sonne schien, als ich vor mir eine Frau mit einem Hund sah, die irgendetwas in ihr Auto verstaute. Beim langsamen Näherkommen bemerkte ich, daß es der Hund war, den sie versuchte, ins Innere zu befördern. Doch bevor sie einstieg, lächelte sie mich an und sagte: Eben wollte ich sie begrüßen, weil ich sie für jemand anderen gehalten habe. Grüßen sie ruhig, antwortete ich und wünschte ihr noch einen schönen Tag. Doch beim Weitergehen überlegte ich, ob ich nicht doch die andere Person sei, die die Frau grüßen wollte. Vielleicht war ich -in diesem Moment zumindest- gar nicht ich, sondern das Nichtich. Vielleicht der junge Mann, der vor mir in jene schmale Gasse eingebogen war. Mit wem hatte die Frau mich verwechselt ? Was hatte ich gemeinsam mit diesem Menschen ?
So viele unterschiedliche Menschen. Und doch haben sie alle etwas gemeinsam. Wie die Wolken über uns.