Eintrag #28, 03.03.2023, 17:40 Uhr

Marionetten

Da sitze ich nun neben meiner Schreibtischlampe, die zwar einen kleinen Dachschaden hat - oben aus dem Schirm ist ein winziges Stück herausgebrochen - aber sonst ihren Anforderungen voll genügt. An der Lampe vorbei, nicht durch das Loch,  kann ich durch das Fenster das Geschehen draußen vor der Disco beobachten. Da ab 23 Uhr Einlaß ist, trudeln nach und nach die Jugendlichen dort ein. Die meisten kommen in Gruppen aus der Stadt, wo sie sich in diversen Lokalen auf die Nacht vorbereitet haben.

 

Und während auf einer Bank unter einem größeren Baum, schon ein Pärchen kuschelt, steht nebenan ein Mädchen, dessen Alter durch die Dunkelheit nicht abzuschätzen ist und tanzt mit ihrem Handy, so als wolle sie den beiden Jungen vor ihr klarmachen, daß sie diese eigentlich gar nicht benötige. Jedenfalls nicht zum tanzen. Bei einer anderen kleinen, gemischten Gruppe herrscht lautstarkes Gelächter. Würden sie sich von hier sehen, wüßten sie, worüber sie lachen.

Hinter den Bahnschienen zwischen Kiosk und Imbiß zwei Jungen, die intensiv in etwas hineinbeißen, wahrscheinlich Döner oder dergleichen. Eine vorbeiziehende Mädchengruppe, alle mit Blick auf ihr Handy, scheinen sie zu ignorieren. Die Speise in ihren Händen ist erst mal wichtiger. Außerdem kostet sie keine Eintrittskarte oder irgendein Getränk. "Angebot" steht auf dem Schild am Imbiß: 3 Euro. Und das muß für das leibliche Wohl genügen. Schließlich will man sich ja auch noch etwas für das weitere Leben aufsparen.

 

Aber überlassen wir die Jugend des 21sten Jahrhunderts ihrem Vergnügen. Ein knappes Jahrhundert früher beschäftigten sie sich in diesen Altersgruppen noch mit ganz anderen Dingen. Vor-in und nach dem Krieg natürlich zwangsläufig. Neulich war ich bei einer Lesung des Autors Thomas Hettche, der aus seinem Buch "Herzfaden" gelesen hat. Da geht es hauptsächlich um die Entstehungsgeschichte der "Augsburger Puppenkiste", aber auf anderen Ebenen auch um die gesellschftlichen, politischen Verhältnisse und besonders um die Frage, wie Kinder und Jugendliche damals groß geworden sind.

 

Und während Hatü oder Hannelore, die Tochter des Erfinders der Puppenkiste, Holzpuppen für das Theater schnitzte, um diese in ihrer Phantasie und auf der Bühne später zum Leben zu erwecken, versucht man heute das im Internet Vorgeführte im Leben nachzuspielen. Irgendwie alles gleich, nur auf andere Art und Weise und in einer Freiheit, die man damals noch nicht kannte.

Und so hängen sie heute in ihrer Freiheit als Marionetten an den Fäden der Smartphones.

 

Die Puppenkiste lebt.

 
 (??) Gemmie
 (??) Campino007
 (??) Madkev
 (??) FrankOPunkt
 (48) AGJ
 (51) Cyberdelicate
 (57) DirkS
 (66) claridge
 (??) Sonnenwende
 (54) k3552

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