Eintrag #23, 28.10.2017, 19:31 Uhr

Liebeserleben

In jedem Leben geschieht es noch einmal, dass es sich müht, wiederzubeginnen wie mit Neugeburt: mit Recht nennt das vielzitierte Wort die Pubertät eine zweite Geburt. Nach etlichen Jahren bereits geleisteter Anpassung an das uns umgebende Daseinsgeschehen, an dessen Ordnungen und Urteilsweisen, die unser kleines Hirn ohne weiteres überwältigten, springt, mit herannahender Körperreife, auf einmal eine Urwüchsigkeit in uns so vehement dawider an, als habe sich nun erst die Welt zu formen, in die das Kind herniederkam, – unbelehrt, unbelehrbar im Ansturm seiner Wunschvoraussetzungen.

Auch dem nüchternsten Erleben ersteht irgendwo diese Verzauberung: das Gefühl, als erstehe die Welt als eine ganz andere, neue, und als sei, was dem widerspricht, ein unfassliches Missverständnis gewesen. Weil wir aber bei dieser tollkühnen Behauptung nicht beharren dürfen und weil wir der Welt, wie sie ist, dann doch unterliegen, so umspinnt sich uns später alle solche »Romantik« mit Schleiern wehmütigen Rückblicks – wie auf mondbeglänzten Waldsee oder geisterhaft winkende Ruine.

 

(Lou Andreas Salomé 1861-1937, russisch-deutsche Erzählerin, aus: Lebensrückblick)

 
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