Eintrag #27, 02.02.2023, 17:47 Uhr

Ich, ganz schön frech

Nun bietet sich so ein Lokal ja für viele Dinge an. Man kann dort etwas trinken oder essen, sich unterhalten, feiern, Musik hören. Aber lesen ? Und ich meine jetzt nicht die Speise-oder Getränkekarte. Ja, vielleicht mal eine Zeitung. In der jetzigen Zeit meistens Benachrichtigungen oder was auch immer auf dem Handy gerade erscheint. Jedoch ein Buch? Wer kommt denn auf so eine Idee ?

 

Da sitze ich am Samstag abend mal wieder in dem kleinen Cafe, das kein Cafe ist, sondern ein Lokal, aber den Begriff in seinem Namen trägt, allein an einem Tisch, und vor mir ein Glas Rotwein, das mir der Wirt oder die Bedienung unaufgefordert bringt. Schau mich um, sehe viele nette, fröhliche Menschen um mich herum sich unterhalten. Leise Musik im Hindergrund. Dann hole ich ein Buch heraus und beginne zu lesen. Niemand beobachtet mich direkt. Das bemerke ich, weil ich zwischendurch immer mal wieder einen Blick in die Runde werfe. Aber alle sehen mich, schauen mir zu. Irgendwann kam mal jemand an meinen Tisch und erzählte mir wie er es fände, daß ich mich in einem Lokal an einen Tisch setzen und frech einfach lesen würde. Er sagte wirklich "frech". So versteht man es wohl hier. Eine Runde Jugendlicher hat mir mal einen Schnaps ausgegeben. Warum haben sie nicht gesagt. Vielleicht weil ich alleine war, aber vielleicht auch, weil sie es "frech" fanden. Und frech ist in diesem Fall ja nicht negativ gemeint. Eher im Sinne von "keck". So empfinde ich es jedenfalls.

 

Du fragst sicherlich, warum ich ausgerechnet in einem Lokal lese. Zu Hause ist es doch ruhiger. Aber da sieht mich keiner. Da sieht mich keiner lesen. Und genau darum geht es mir. Den Menschen zu sagen: Lest mal wieder. Und zwar ein richtiges Buch. So eins aus Papier. Mit Buchstaben aus Druckerschwärze. Papier ist nämlich etwas Lebendiges. Aus Bäumen hergestellt. Und die leben doch wirklich. Und da die nicht sprechen können und ihre Geschichten erzählen, verwandeln sie sich in Papier und lassen die Buchstaben sprechen. Deshalb sitze ich in einem Lokal und lasse mir von der Natur wunderschöne Geschichten erzählen. Und aus diesen Geschichten entwickeln sich beim Lesen neue Geschichten bei mir. Hier am Tisch, mitten zwischen all den Menschen bin ich nicht alleine, sondern bin Teilnehmer in vielen Geschichten. Geschriebenen und gerade entstehenden.

 

Lange Zeit sitze ich da jetzt schon. Viele Samstag abende. Und viele Bücher habe ich so schon gelesen. Viele Notizen nebenbei gemacht. Einige Menschen troztdem kennengelernt. Manche Freude gehabt. Gut, auch einige Rotwein getrunken. Und neulich hat mir der Wirt zu verstehen gegbeben, daß ich als Gast willkommen bin. Gehöre wohl inzwischen am Wochenende irgendwie als ein Etwas zu seinem Lokal. Ein Etwas, welches man nicht groß beachtet, aber dort erwartet, weil es dazugehört.

 

Ganz schön frech.

 
 (??) Gemmie
 (??) Campino007
 (??) Madkev
 (??) FrankOPunkt
 (47) AGJ
 (50) Cyberdelicate
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 (66) claridge
 (??) Sonnenwende
 (54) k3552

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