Nun ist es mir doch etwas zu windig geworden. Erst mal mache ich eine Kaffeepause, lasse die große, dunkle Wolke vorüberziehen, die gen Osten wandert,um dann im zweiten Anlauf mein Werk zu vollenden.
Stimmt, ich habe noch gar nicht gesagt, was ich da innerhalb der letzten Stunde in Angriff genommen habe. Ich spreche von meinen Fenstern, die nun, bis auf das letzte im Badezimmer, befreit sind von Staub und Flecken aus der Winterzeit. Jetzt bekomme ich es wenigstens mal wieder mit, wenn die Sonne scheinen sollte und da es so also heller geworden ist in der Wohnung, spare ich zusätzlich noch Strom.
Als ich oben auf der Leiter stand und versuchte, die letzten Streifen auf der Scheibe zu entfernen, unter mir die Menschen vorbeihasteten und die Züge Richtung Süden streben sah, fiel mir auf, daß auch diese kleinen oder auch größeren Wohnungsöffnungen bemerkenswerte Veränderungen durchgemacht haben. Waren sie ganz früher nur Licht-und Luftschächte, entwickelten sie sich bald schon zu Abschottungsmöglichkeiten. Man brauchte sie nur schließen und hatte nicht nur den Lärm und im Winter die Kälte, ausgesperrt, sondern auch der übrigen Menschheit kundgetan, daß man unter sich bleiben möchte. Hinzu kamen dann noch die Gardinen, die auch ein Hineinblicken fast unmöglich machten. In den fünfziger Jahren habe ich sie dann sogar als Kommunikationsobjekt wahrgenommen.
Zumindest in der Sommerzeit öffnete man sie nicht nur zum Lüften, sondern funktionierte sie zu einem Unterhaltungsplatz um. Die Fensterbank mit einem Kissen gepolstert, lagen die Menschen in ihren Fenstern, beobachteten die Umgebung oder unterhielten sich mit den Nachbarn. Zwischendurch wurden die Kinder gerufen - wir veranstalteten immer ganz besonders tolle Dinge, wenn wir sahen, daß Mama im Fenster lag und uns beobachtete - oder mit einem vorbeikommendem Bekannten alles besprochen, was gerade auf der Tagesordnung stand, während drinnen der Milchreis oder andere Dinge auf dem Herd anbrannten.
Mit anderen Worten: Das Fenster war praktisch das erste Fernsehen, hatte nur den Vorteil, daß es keine Werbepausen gab, es sei denn, der Bäcker oder der Milchmann kamen vorbei und erzählten, was sie gerade im Angebot hatten oder der Eismann schwang seine große Glocke.
Wer es heute noch auf diese Art nutzt, wird eher belächelt oder als neugierig abgestempelt. Und, obwohl sich mir so manch schöner Blick anbot, ließ ich das Tuch ein letztes Mal über die Scheibe gleiten und mich vom Duft des Kaffees nach innen locken. Und natürlich von der schwarzen Wolke.
Ja, Fenster. Schlendert man durch die Stadt, sieht man wie Frauen bei einem Blick in die Schaufenster nicht nur die Auslagen dort betrachten, sondern gleichzeitig auch sich und dabei schnell die Haare nach hinten werfen oder mit dem Finger die Lippen nachziehen, wie kleine Kinder sich dort selber erblicken oder eine Dekorateurin von innen, während ihrer Arbeit, den vorbeihuschenden Menschen einen Augenblick zusieht.
Im Wohnhaus nebenan zieht eine Frau schnell die Gardine zu,weil sie sich beobachtet fühlt und die Katze dort auf der Fensterbank sucht vergeblich einen Weg ins Innere. Am offenen Fenster steht ein Mann und raucht, um mit seiner Zigarette nicht die Wohnung verlassen zu müssen. Und da an der Scheibe zum Buchladen versucht ein kleiner Käfer orientierungslos auf der glatten Fläche den oberen Rand zu erreichen.
Vielleicht sollten wir uns zumindest ab und zu doch mal wieder ein Kissen holen und einen Blick aus den Öffnungen unserer Wohnung werfen, oder uns einen Spaziergang ohne Ohrstöpsel und dem Bildschirm in der Hand gönnen, denn das Leben, unser Leben, findet draußen vor unserer Tür statt.