Nein, Weihnachten hat für mich persönlich von der religiösen Seite her keine Bedeutung mehr, aber als Augenblick der Ruhe, des Innehaltens, des Nachdenkens, des Einfach-Nur-Ich-Seins könnten diese Feiertage vielleicht ein neues Sein erlangen. Oder bin ich jetzt ganz einfach nur nostalgisch? Kommen hier Gefühle in Kontakt mit der Wirklichkeit? Gefühle und Vernunft. Das ist ja kein Gegensatz, denn ohne Vernunft wären die Gefühle doch gleichsam blind und die Vernunft ohne Gefühle etwas Lebensfernes.
Der atheistische Sartre hat in seiner deutschen Gefangenschaft ein Weihnachtsstück geschrieben, in dessen Mittelpunkt ein Widerstandskämpfer steht, der später ums Leben kommt, weil er der flüchtenden "Weihnachtsfamilie" bei der Flucht hilft. Es könnte im Jetzt nicht passender sein. Vernunft und Gefühle, beides benötigen wir heute mehr denn je.
Was ich meine, wir sollten diese Augenblicke nutzen, um uns dem eigenen Sein in Freiheit, aber auch in Ehrlichkeit wieder zu nähern, um die eigene Wahrheit mal wieder zu betrachten.
Eigentlich wollte ich heute einen Spaziergang durch die Natur machen und mir dabei vorstellen, ich liefe durch ein Bild, aber der Regen, der jeden Nachmittag neu zu uns hereinzieht, wie es im Wetterbericht immer so schön heißt, hat mich davon abgehalten. Ich wollte mich von ihm nicht durch die Gegend schieben lassen. Ach ja, wie sagte doch vorhin einer dieser Meteorologen: "In der kommenden Nacht sinken die Temperaturen auf drei bis fünf Grad. Das liegt an der kalten Luft." Das ist doch mal eine Erkenntnis, über die sich lohnt nachzudenken. Wie können wir diese kalte Luft stoppen, damit sie die Temperaturen nicht weiter nach unten treibt. Aber noch eine ganz andere Frage stellt sich mir in diesem Moment: Welchen Beruf hätte dieser Meteorologe besser ergreifen sollen ?
Überhaupt, jetzt kommen sie wieder alle zum Vorschein, die Menschen des Jahres, in den unzähligen Jahresrückblicken. Die politisch und gesellschaftlich Gestorbenen und die wirklich Toten. Und die Helden dieser Welt, die meistens bis heute nicht wissen, was sie warum richtig gemacht haben. Vor allen Dingen hat man immer das Gefühl, daß hier ein Zeitraum abgeschlossen ist, ein Rucksack, in den man zwölf Monate Sachen gepackt hat, die einem gerade vor die Füße gefallen sind, noch einmal durchgesehen wird, um dann im überfüllten Keller gelagert zu werden. Und nun beginnt eine neue Reise und man kann wieder von vorne seiner Sammelleidenschaft frönen.
Aber so funktioniert Leben nicht.Leider nicht. Da gibt es keine abgeschlossenen Zeiträume, kein gestern, kein heute, kein morgen. Da fließt alles ineinander über und fließt immer weiter. Ich kann das Leben nicht alle zwölf Monate zurück auf Null stellen. Und Helden gibt es milliardenfach, denn jeder Mensch ist der Held seines eigenen Lebens.
Da habe ich doch neulich einen kleinen Jungen gesehen, der zwar ängstlich, aber dann doch kräftig zupackend und mit einem Ruck an sich reißend aus der Hand eines Weihnachtsmannes, der vor dem Kaufhof stand, einen Luftballon entgegengenommen hat. Das war heldenhaft!
Ganz nebenbei, seit wann verteilen Weihnachtsmänner Luftballons ? Wobei dieser wohl selber noch gerne damit gespielt hätte, denn vom Aussehen her brauchte er von der Mutter noch eine Entschuldigung für die Schule, weil er für den Job den Unterricht hat ausfallen lassen. Also maximal war es ein Student im ersten Semester. Ich kenne diese Bartträger noch als alte, weise Männer mit Vernunft und Gefühl, die einen alten Schlitten hinter sich herzogen und sich nicht von Heliumballons der Galleria Kaufhof in die Arme junger Mütter treiben ließen. Aber genau das ist es, wir lassen uns viel zu sehr treiben von allen möglichen Dingen,von der Technik, von den Medien, von der allgemeinen Meinung, von der heutigen Zeit. Was ist das eigentlich "die heutige Zeit"? Sie, die Zeit, hat sich eigentlich nicht verändert, nur wir haben uns verändert und machen nun die Zeit dafür verantwortlich.
Weihnachten hatte auch vor fünfzig und mehr Jahren nicht nur einen religiösen Hintergrund, asondern auch einen anderen gesellschaftlichen. Man nutzte diese Tage, zumindest in der Mehrheit der Gesellschaft, für Augenblicke der Ruhe, des Nachdenkens, der Besinnung auf sich selbst. Für eine Pause in den Alltagsproblemen. Die gingen zwar auch damals unverändert weiter, aber man hatte die Chance, neu durchzustarten. Vielleicht doch einen neuen Rucksack zu packen, der zwar nicht leer war, aber in dem wieder Platz geschaffen wurde.