Die Entstehung der Glocke von Schiller
oder
Warum Schillers Glocke keinen Klöppel hat
Am 31. Februar 17 ... saßen Schiller, Goethe und Eckermann
beim Skat. Im Kamin knisterte traurig ein· Buchenscheit, und
eine müde Tranfunzel verbreitete teils Geruch, teils Licht. Aber
Geheimrat Goethe haderte nicht, sondern liebte den trüben
Schein des Trans*.
Die drei Herren saßen also beim Skat und auf weichen Plüschsesseln
- nach dem Motto: Noblesse o'Plüsch. Goethe hatte gerade
Schellen** gereizt, als Schillers Augen plötzlich heller strahlten
als die der Funzel und er anhub, also zu sprechen: »Verzeihen
Sie, Herr · Geheimrat, bei Ihrem Gebot >Schellen< fiel mir eben
etwas Wichtiges ein: Könnten Sie mir mal flugs Ihren Gänsekiel
leihen?« Goethe, der gerade gereizt hatte, war nun selber gereizt:
»Aber, lieber Schiller, wozu brauchen Sie denn gerade jetzt meinen
Gänsekiel?« Schiller: »Weil mir beim Wort >Schellen< der Gedanke
kam, ich könne mal ein Gedicht über die >Glocke< schreiben.
Und um dieses kleine Gedicht zu Papier bringen zu können,
brauche ich Ihren Gänsekiel. Weil ich meinen nämlich nicht bei
mir habe!« Goethe, indem er die Karten auf den Tisch und seine
Stirn in Falten legte, sagte: »Das mit der Glocke ist eine gute Idee!
Wir Klassiker können unsere Werke nicht oft genug an die große
Glocke hängen! Habe ich nicht Recht, Eckermann?« Eckermann,
der für Goethe so etwas Ähnliches war wie Dr. Watson für Sher-
lock Holmes, antwortete: »Jawohl, Herr Geheimrat!« - »Nun
denn«, fuhr Goethe fort, »hier haben Sie meinen Gänsekiel! Wir
paar Dichter müssen zusammenhalten! Und während Sie sich,
Friedrich Schiller, von der Muse küssen lassen, werden ich und
Eckermann Sechsundsechzig spielen!«
Nachdem die beiden ungefähr 2 Stunden lang dem 66 gefrönt
hatten und Goethe alle Spiele gewann, weil Eckermann bei ihm
weder 20 noch 40 noch sonst was zu melden hatte, sprach plötzlich
Goethe, indem er erst den Blick und dann sich selbst erhob:
»Halt, Herr Schiller! Nun muss ich aber schleunigst meinen
Gänsekiel zurückhaben; denn soeben fiel mir ein, dass ich
im 2. Teil meines >Faust< einige Sätze zu stehen habe, die ich sofort
ändern muss, weil sie der Unverständlichkeit entbehren!
Bei einem Dichter meines Formats wirken nur unverständliche
Sätze verständlicherweise selbstverständlich! Notieren Sie diesen
Ausspruch, Eckermann!« - »Jawohl, Herr Geheimrat!« -
»Außerdem«, setzte Goethe den Vortrag fort und sich wieder hin,
»außerdem wird Ihre Glocke zu lang, wenn Sie nicht augenblicklich
mit dem Dichten nachlassen! Denken Sie doch an all die lieben
Schulkinderchen, die Ihre Glocke der mal einst vielleicht werden
auswendig lernen müssen!« - - -
So verdanken wir eigentlich Goethe die Entstehung dieses schillerschen
Werkes - aber auch den erfreulichen Umstand, dass
dieses Gedicht nicht noch länger wurde - aber auch die betrübliche
Tatsache, dass Schiller keine Zeit mehr hatte, das Werden
und die Nutzanwendung des für eine Glocke doch so notwendigen
Klöppels zu schildern!
Vielleicht wusste er damals schon, dass seine Glocke gar keine Gelegenheit
haben würde, jemals mit eherner Zunge zu reden - denn,
wie sagt der Dichter: Friede sei ihr erst Geläute ...
,. Erst kurz vor seinem Ableben verlangte es ihn nach mehr Licht.
,.,. Deutsche Klassiker bedienten sich selbstverständlich deutscher Spielkarten!
Heinz Erhardt