Jetzt ist sie endlich wieder vorbei, die Weih - nacht - zeit. Man kann am Abend wieder einen Spaziergang durch die Stadt in Angriff nehmen, ohne all den Klimmbim, ohne Glühweinberauschte. Es herrscht wieder Stille, im Sinne von Ruhe, Gelassenheit. Schlendern und schauen.
Wer denkt da noch an die Gefahren, die auf den Märkten der letzten Jahre lauerten ? Nur ein paar Hindernisse, quergestellte Autos und dergleichen erinnerten einen beim Kommen und Gehen kurz daran. Aber diese Hindernisse sind inzwischen Teil jedes Marktes. Schlendern wir an ihnen vorbei, denn dahinter sind wir sicher und können unserer Feierlaune freien Lauf lassen. Doch eigentlich sind es nicht die Hinternisse oder die Wachposten die uns schützen, sondern die Toten, denn ohne sie würde es diese Hindernisse gar nicht geben. Ja, es ist wie im Krieg. Ohne die Toten würde es danach auch keinen Frieden geben. Überhaupt haben wir alles den Toten zu verdanken. Unser ganzes Leben würde es ohne sie nicht geben. Jedes Hindernis vor den Weihnachtsmärkten ist also ein Mahnmal. Dahinter können wir nur sicher feiern, weil andere vor uns gestorben sind.
Und so müßte auf den Märkten eigentlich eher Totenstille, Friedhofsruhe herrschen. Aber die Menschheit braucht den Rausch. Den Alkoholrausch um die Ruhe zu vergessen. Schließlich ist sie, die Menschheit, ja durch den Urknall aufgeweckt worden. Und dieses Geräusch begleitet sie ihr Leben lang. Auch auf ihren Spaziergängen durch die Weih - nacht. Heilig -abend. Weg von diesen Zeiten der Ruhe und Stille. Die Abende und Nächte müssen gefeiert werden. Trinken wir zum Dank noch einen Glühwein auf die Toten.
Dann können wir gelassen heimwärts schlendern. An den Mahnmalen vorbei. Unseren Rausch ausschlafen, bis zum nächsten Knall.
"Die neuesten Forschungen über den Urknall belegen klar, daß die Welt eine Sturzgeburt ist." Gregor Brand, *1957, deutscher Schriftsteller, Lyriker und Verleger