Barnaby: Die Pfote der Gerechtigkeit
Barnaby war, rein optisch betrachtet, eine Kartoffel mit Fell.
Er war ein Meerschweinchen von stattlicher Rundheit, mit dreifarbigem Fell (weiß, karamell und schokbraun) und zwei schwarzen Knopfaugen, die meistens nur eines ausdrückten: den dringenden Wunsch nach Gurke. Seine Besitzerin, die achtjährige Leni, liebte ihn abgöttisch, hielt ihn aber für das faulste Wesen auf diesem Planeten.
„Tschüss, Barnaby! Schlaf gut!“, rief Leni und rannte zur Schule. Die Haustür fiel ins Schloss.
Im Wohnzimmer wurde es still. Barnaby öffnete ein Auge. Er wackelte mit der Nase. Die Luft war rein.
Langsam erhob sich die „Fellkartoffel“. Er streckte sich, und plötzlich wirkte er gar nicht mehr faul. Mit einer geschmeidigen Bewegung, die man einem Nagetier seiner Statur niemals zugetraut hätte, drückte er mit der Pfote gegen einen lockeren Riegel seines Käfigs. Klick. Die Tür schwang auf.
Barnaby war nicht einfach nur ein Haustier. Er war Captain Quiek, der flauschige Rächer, der Beschützer des Wohnzimmers und Wächter über den heiligen Vorratsschrank.
Er huschte unter das Sofa und zog eine kleine Kiste hervor. Darin lag seine Ausrüstung: Ein Umhang, gefertigt aus einer alten Socke von Leni, und eine Schutzbrille, die eigentlich von einer Action-Figur stammte.
Kaum hatte er den Umhang angelegt, erklang ein bedrohliches Surren aus der Küche. Barnabys Ohren zuckten. Er kannte dieses Geräusch. Es war sein Erzfeind.
Der Saug-O-Mat 3000.
Der neue Saugroboter der Familie hatte ein fehlerhaftes KI-Update erhalten. Anstatt Staub zu saugen, hatte er begonnen, strategisch wichtige Objekte zu stehlen: Lenis Hausaufgaben, den einen Socken, der immer verschwand, und – was das Schlimmste war – heruntergefallene Erbsen, die rechtmäßig Barnaby gehörten.
Der schwarze Roboter rollte surrend um die Ecke. Seine LED-Leuchten blinkten bedrohlich rot. Er steuerte direkt auf den Couchtisch zu, auf dem Leni ihre geliebten Buntstifte liegen gelassen hatte.
„Nicht unter meiner Aufsicht“, quiekte Barnaby entschlossen (was für menschliche Ohren nur wie ein leises Wiiiep-wiiiep klang, aber für den Roboter eine Kriegserklärung war).
Captain Quiek nahm Anlauf. Mit der Geschwindigkeit eines geölten Blitzes raste er über das Parkett. Er nutzte eine umgefallene Zeitschrift als Rampe und sprang!
Der Saug-O-Mat drehte seine Bürsten hoch. VROOOOM!
Barnaby landete präzise auf dem Rücken des metallenen Ungeheuers. Der Roboter bockte und drehte sich wild im Kreis, versuchte, den Helden abzuschütteln. Aber Barnaby krallte sich mit seinen Super-Pfoten fest. Er wusste, er hatte nur wenig Zeit.
Der Roboter steuerte auf die Wand zu, um Barnaby abzustreifen. Doch Barnaby hatte einen Plan. Er griff in seine Rückentasche (eigentlich seine Backentasche) und holte seine Geheimwaffe hervor: Ein Stück extrem klebrigen, getrockneten Apfel.
Mit chirurgischer Präzision klebte er den Apfel direkt über den Laser-Sensor des Roboters.
Der Saug-O-Mat 3000 bremste abrupt. „Fehler. Hindernis erkannt. Route wird neu berechnet“, tönte eine blecherne Stimme. Der Roboter drehte sich verwirrt im Kreis, fuhr drei Meter rückwärts und schaltete sich schließlich in den Standby-Modus, besiegt von der Klebrigkeit des Apfels.
Barnaby atmete schwer durch seine kleinen Nasenlöcher. Er sprang elegant vom Roboter, schob die Buntstifte mit der Nase sicher zurück in die Mitte des Tisches und patrouillierte noch einmal durch den Raum. Alles war sicher.
Er flitzte zurück zu seinem Käfig, verstaute den Socken-Umhang und die Brille wieder unter dem Sofa, schloss die Käfigtür von innen und ließ sich schwer ins Streu fallen.
Zehn Minuten später kam Leni wieder nach Hause, weil sie ihre Sportschuhe vergessen hatte. „Oh, Barnaby“, seufzte sie und streichelte ihm über den Kopf. „Du hast dich ja keinen Millimeter bewegt. Du bist so ein Faulpelz.“
Barnaby gähnte herzhaft und blinzelte sie an. Wenn du wüsstest, dachte er. Wenn du nur wüsstest.
Dann drehte er sich um und träumte von seinem nächsten Abenteuer – und einer sehr großen Gurke.
