Eintrag #399, 06.02.2018, 20:24 Uhr

2018-01-31 Über den Anstand von Axel Hacke

In welcher Welt wollen wir leben?

 

Anstand: Das ist für viele ein verstaubter Begriff, den sie in ihrer Kindheit zu oft gehört haben: "Benimm dich anständig! Setz dich anständig hin!" Man denkt an das Spießige einer Eltern-Generation, die so oft um keinen Preis auffallen wollte und deshalb über vieles nicht nachdachte, sondern nur an erstarrten Regeln klebte. Und Knigge fällt einem ein, Benimm, Marnieren - Dinge, an denen, weiß Gott, nichts falsch sein muss. Aber ist das wirklich alles?

Jeder empfindet es doch - auf der anderen Seite - als große Lob, wenn man über jemanden sagt, er sei "ein anständiger Kerl".

 

Und nimmt man das Buch des alten Knigge wieder zur Hand, entdeckt man, dass es den wunderbaren Titel "Über den Umgang mit Menschen" trägt und sich keineswegs mit der formvollendeten Handhabung von Messer und Gabel befasst. Das kam erst später, als andere das Werk des toten Barons immer wieder umschrieben. Knigge selbst ging es um mehr, um Menschenbildung, Moral, Weltklugheit und die Pflichten, die wir, wie er schrieb, "allen Arte von Menschen schuldig sind". Das Buch handelt davon, wie der Mensch im Zusammenleben mit anderen sein sollte.

 

Dieser Begriff von Anstand erscheint mir sehr aktuell. Denn beobachten wir nicht genau hier, im Umgang der Menschen miteinander, eine Verkommenheit, geradezu Verrohung?

 

Man muss nur einen Blick in die Kommentarspalten bei Facebook werfen, die Kaskaden an Beschimpfungen, Bedrohungen. Und hat nicht jeder von uns aus dem Alltag etwas in dieser Hinsicht zu berichten, von plötzlich aufbrandender Aggressivität?

 

Man muss nur Polizeibeamte, Rettungssanitäter oder Bahnschaffner befragen, um zu begreifen, was sich in unserer Gesellschaft verändert.

 

Das ist ncht alles: Wir haben noch kein Wort verloren über jene Kaste von Managern, die sich am Untergang ihrer Firmen bereichert, während andere das Risiko tragen. Und von den Konzernen war auch nicht die Rede, die jedes legale Schlupfloch nutzen, um keine Steuern zahlen zu müssen, während sie für den Vertrieb ihrer Produkte die von uns bezahlten Straßen nutzen.

 

Wir leben in Zeiten, in denen das ICH im Vordergrund steht. Vom WIR ist oft keine Rede mehr. Das ist etwas Schleichendes, an das man sich unversehens gewöhnt - und genau darin liegt die Gefahr. Es werden Dinge salonfähig, die nicht salonfähig sein sollten. Dem kann man mit Gesetzen schwer begegnen. Es geht viel mehr um eine gesellschaftliche Übereinkunft darüber, dass man nicht alles, was legal ist, auch tut.

 

Wenn wir das Wort Anstand richtig verstehen, sprechen wir von einem Sinn für Gerechtigkeit, einem grundsätzlichen Gefühl der Solidarität mit anderen, von Fairness, also dem Gedanken, dass man sich an die Regeln auch dann hält, wenn mal gerade keiner guckt, von Ehrlichkeit, auch sich selbst gegenüber. Und von Rücksicht, Wohlwollen, Freundlichkeit, Neugier  und Respekt vor allen Menschen, den man von sich selbst verlangen sollte und auch von anderen erwarten kann.

 

Damit müssen wir uns beschäftigen, wenn wir eine zivilisierte Gesellschaft bleiben wollen. eine solche Gesellschaft gibt es nicht ohne Anstand, der eine Angelegenheit jedes Einzelnen ist - und gerade darum eine Sache von uns allen.

 

 

 
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