2016-05-01 Walpurgisnacht

Vor vielen 100 Jahren hauste mitten in einem dichten, dunklen Wald eine Hexe. Die Leute gingen ihr aus dem Weg; denn wer es mit der Alten verdarb, der hatte nichts zu lachen. Einmal, an einem warmen Frühlingstag, kam ein Jägerbursche in die Nähe der Hütte. Er schlich vorsichtig heran und spähte neugierig durch den Gartenzaun: Auf einer Bank vor dem Häuschen kauerte die alte Hexe und war fest eingeschlafen. Neben ihr aber saß das schönste Mädchen, das der Jäger je gesehen hatte, und drehte eine Spindel. Das Mädchen war zu Tode erschrocken, als es den Fremden erblickte und machte ihm Zeichen, schnell zu fliehen. Aber der Jäger wollte nicht ohne das Mädchen gehen, das er sogleich sehr lieb gewonnen hatte. Dieses schüttelte aber nur den Kopf und flüsterte ihm zu, in der Walpurgisnacht wiederzukommen.

Endlich war die Hexennacht vom 30. April zum 1. Mai angebrochen, und der Jägerbursche ging voller Erwartung abermals in den Wald hinaus. Als die Mitternacht gekommen war, erhob sich ein ohrenbetäubended Heulen und Sausen in der Luft. Von allen Seiten her kamen Hexen auf Ofenhaken und Besenstielen durch den Himmel geritten. Und schon fuhr auch die Waldhexe mit lautem Getöse aus ihrem Schornstein. Dreimal ritt sie mit dem Besen um das Hausdah herum, dann jagte sie mit den anderen im Hui zum Hexentanz auf den großen Blocksberg davon.

Während der Jäger noch wie betäubt am gleichen Fleck stand, öffnete sich die Tür des Häuschens und das Mädchen lief heraus. Er schloß es in seine Arme und dann eilten die beiden durch den nächtlichen Wald davon. Als sie zu einem Dorf kamen, nahmen sie einen Wagen und Pferde und fuhren damit in ein fernes, glückliches Land.

Beim Morgengrauen kam die Hexe zurück und entdeckte, daß ihr Haus leer war. Da wurde sie von wildem Zorn gepackt. Sie wütete und tobte so lange, bis sie plötzlich mit einem lauten Knall zerplatzte. Da öffnete sich der Erdboden und verschluckte das Hexenhäuschen und alles was dazu gehörte. Von jenem Tag an gab es keine Hexe mehr in der Gegend und die Leute konnten fortan ungehindert ihrer Arbeit im Walde nachgehen.