Wie hoch ist die Crash-Gefahr derzeit, Dirk Müller?

von Benjamin Summa

Herr Müller, nach über zehn Jahren Hausse an den wichtigsten Börsen der Welt muss die Frage erlaubt sein, wie lange das noch gut gehen kann.
Dirk Müller: Die Börsen führen seit geraumer Zeit ein Eigenleben, sie lösen sich von allen früher bekannten Rahmenbedingungen weitestgehend ab. Die vielen Risiken, die in den vergangenen Jahren eher noch zunahmen, spielen kaum noch eine Rolle. Besonders gesund ist das nicht, denn die Märkte sollten mit der Realwirtschaft korrespondieren. In diesem Casino ist alles möglich: Die Begeisterung für Aktien ist noch immer sehr hoch. Die Chancen liegen darin, dass das Casino einfach weiterläuft. Und das große Risiko besteht darin, dass sich die Finanzmärkte irgendwann wieder auf die realen Märkte beziehen müssen; dann ist mit einer sehr schmerzhaften Korrektur zu rechnen.

Die Sorge vor einer rasanten Verbreitung des Coronavirus hat dem deutschen Aktienmarkt nach einem starken Jahresauftakt zu Beginn der Woche die erste stärkere Korrektur beschert. Welche Bedeutung messen Sie dem Virus für die Entwicklung an den Finanzmärkten bei?
Es gab ja 2002/2003 das SARS-Virus; dieses verringerte das chinesische Wirtschaftswachstum erheblich. Diese Angst gibt es jetzt auch wieder. Entweder die Chinesen übertreiben brutal, wenn Millionen Menschen unter Quarantäne gestellt werden. Oder die Europäer unterschätzen die Gefahr. Fest steht, dass das Coronavirus so ziemlich alle Eigenschaften hat, die ein Pandemie-Virus haben muss. Namhafte Institute und selbst eine Szenario-Analyse des Bundestages haben seit Jahren vor einem solchen Virus gewarnt, das sehr viele Todesfälle zur Folge haben könnte. Die aktuelle Entwicklung führt uns nun vor Augen, in welchem Maße die Welt und auch die Weltwirtschaft mittlerweile vernetzt sind. An den Märkten gibt es eine Korrektur, aber als heftig würde ich diese Reaktion noch nicht bezeichnen. Früher wäre bei solch einer Nachrichtenlage die Crashgefahr stark gestiegen. Aber wie gesagt: Heutzutage sind die Finanzmärkte stark von der Realwirtschaft abgekoppelt.

Die USA und China haben ein erstes Abkommen im Handelsstreit unterzeichnet und die Gefahr eines ungeregelten Brexits ist stark gesunken. Wie bewerten Sie die politischen Risiken derzeit?
Das Brexit-Thema hat mich persönlich nie interessiert, ihm wurde meines Erachtens von Beginn an eine zu große Bedeutung für die Märkte beigemessen. Aber der Handelsstreit zwischen Amerika und China wird total unterschätzt. Es war abzusehen, dass Präsident Trump die Lage erst eskaliert, um dann vor der US-Wahl einen Übergangsdeal zu machen. Er braucht diesen Burgfrieden, um Ruhe an der Wirtschaftsfront und an den Börsen zu haben. Nach einer möglichen Wiederwahl sieht die Welt dann jedoch komplett anders aus. Ich gehe davon aus, dass er danach mit großer Kraft gegen China vorgehen wird - große wirtschaftliche Verwerfungen wären die Folge. Aber wie gesagt: Auch dann könnte es sein, dass die Börsen sich völlig unbeeindruckt zeigten von einer globalen Eintrübung der Wirtschaft. Von weiter steigenden Kursen bis hin zu heftigen Rückschlägen, die über 20 Prozent hinausgehen können, ist in nächster Zeit alles möglich.

Wie beurteilen Sie die Aussichten für die Wirtschaft in den USA und in Europa?
Sehr unterschiedlich. Die Amerikaner sind wirtschaftlich extrem gut vorbereitet. Trump hat seit 2016 alles dafür getan, um die eigene Wirtschaft auf den Konflikt mit China vorzubereiten. Er hat die Auslandsgelder repatriiert, Hunderte von Milliarden Dollar sind so zurück in die USA gekommen. Zudem hat er die Steuersätze für amerikanische Konzerne dramatisch gesenkt, Konzerne wie Apple haben sich seitdem vollgesaugt mit Gewinnen. Einem Rekordquartal folgt das nächste. Den chinesischen Markt beurteile ich viel pessimistischer, das kann man auch am Aktienmarkt ablesen: Während die US-Finanzmärkte von einem Hoch zum nächsten gelaufen sind, ist der chinesische Aktienmarkt seit Jahren unter Druck - von 2015 bis heute ging es 40 Prozent nach unten. Auch Europa sehe ich in viel schwierigerem Fahrwasser, wir sind viel schlechter auf den Handelskrieg zwischen den USA und China vorbereitet.

Bundesweit belasten immer mehr Banken Privatkunden mit Negativzinsen. Wie wird das aus Ihrer Sicht das Anlageverhalten der Menschen hierzulande verändern?
Die deutschen Privatsparer haben in den vergangenen Jahrzenten häufig negative Realzinsen hingenommen - der Zinssatz lag also unter der Inflationsrate. Ich denke, dass sie sich auch noch an diese zusätzliche Belastung durch negative Nominalzinsen gewöhnen werden. Das Gros der Anleger wird wohl nicht in risikoreichere Anlageklassen umschichten. Auf dem derzeitig hohen Niveau der Aktienmärkte wäre es auch kein seriöser Rat an die Anleger, große Vermögensanteile auf einen Schlag in die Aktienmärkte umzuschichten. Was kann man aber tun? Den so genannten Cost-Average-Effekt nutzen und monatlich in Aktien sparen. Dann bekommt man über die Jahre einen guten Mischkurs.

Der Goldpreis erreichte in den vergangenen Wochen neue Rekordstände in mehr als 100 Währungen - darunter auch in Euro. Wie bewerten Sie das gelbe Edelmetall?
Gold ist für mich persönlich ein sehr wichtiger Baustein im Portfolio. Es mag immer mal im Wert schwanken, aber eine Unze wird nie wertlos. Gold ist die Ur-Währung, in der man zu einem gewissen Prozentsatz investiert sein sollte. Auch hier gilt es, immer dann, wenn es der Geldbeutel zulässt, etwas nachzukaufen, um den Cost-Average-Effekt zu nutzen.

Disclaimer: Der Autor, Benjamin Summa, ist freier Mitarbeiter bei finanzen.net. Er interviewt regelmäßig Finanzexperten zu aktuellen Themen.


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Aktie im Fokus
[finanzen.net] · 04.02.2020 · 18:20 Uhr
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