Westerwelle fordert Neuanfang für Sozialstaat

Berlin (dpa) - Der FDP-Vorsitzende Guido Westerwelle lässt in der Debatte um die Hartz-IV-Leistungen nicht locker und sorgt mit scharfen Äußerungen weiter für Wirbel.

Am Wochenende bekräftigte der Vizekanzler seinen Vorwurf, diejenigen, die arbeiten, würden «mehr und mehr zu den Deppen der Nation». Er forderte zugleich einen völligen Neuanfang für den deutschen Sozialstaat: «Der Sozialstaat muss treffsicherer werden.» Aus der Opposition, aber auch aus den Reihen der CDU erntete er weiter Kritik. Führende FDP-Politiker stärkten ihrem Parteichef dagegen den Rücken.

Westerwelle bezeichnete in der «Bild am Sonntag» die Kritik an seinen Aussagen als scheinheilig. «Die mich jetzt am lautesten beschimpfen, haben den Murks bei Hartz IV doch selber produziert. Hartz IV ist schließlich eine Erfindung von Rot-Grün.» Im Deutschlandfunk wiederholte er, es sei eine zynische Debatte, dass sich diejenigen, die arbeiten würden, entschuldigen müssten, dass sie von ihrer Arbeit etwas behalten möchten. Wenn man für diese Haltung kritisiert werde, sei das eine «ziemlich sozialistische Entwicklung in dieser Republik». Die Bundesregierung muss nach dem Karlsruher Urteil die Hartz-IV-Regelsätze neu berechnen.

SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier warf dem Außenminister «unglaublichen Zynismus» vor. Es richte sich selbst, wenn Westerwelle «die halbe Republik des geistigen Sozialismus bezichtigt», sagte er der Deutschen Presse-Agentur dpa. In der «Bild am Sonntag» forderte Steinmeier Kanzlerin Angela Merkel (CDU) auf, wenn sie anderer Meinung als der Vizekanzler sei, «muss sie das jetzt schleunigst persönlich klarstellen». SPD-Chef Sigmar Gabriel bezeichnete Westerwelle als «sozialpolitischen Brandstifter». Die nordrhein- westfälische SPD-Vorsitzende Hannelore Kraft erklärte: «Statt für bessere und leistungsgerechte Bezahlung zu kämpfen, fischt Herr Westerwelle jetzt mit billigen Stammtischparolen im braunen Sumpf, weil ihm die FDP-Wähler in Scharen davonlaufen.

Die Grünen-Vorsitzende Claudia Roth attackierte den FDP-Politiker am Samstag: «Westerwelles kurzer Ausflug in die staatstragenden Sphären der Diplomatie ist beendet. Es tritt wieder auf: der Schreihals.» Grünen-Fraktionschefin Renate Künast nannte Westerwelle in der «Leipziger Volkszeitung» (Montag) einen «Politrowdy». Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) sagte der «Leipziger Volkszeitung» (Samstag): «Die allermeisten Hartz-IV-Empfänger sind ernsthaft und immer wieder bemüht, Arbeit zu finden. Ihre pauschale Beschimpfung ist einfach nicht zu rechtfertigen.»

FDP-Generalsekretär Christian Lindner, die Fraktionsvorsitzende Birgit Homburger und Parteivize Andreas Pinkwart nahmen Westerwelle in Schutz. Pinkwart sagte der «Welt am Sonntag»: «Westerwelles Äußerungen waren ein wichtiges Signal und sie entsprechen dem, was Millionen von Menschen hierzulande denken.» Homburger sagte der Münchener Zeitung «tz» (Samstag): «Manchmal muss man Dinge zuspitzen, damit man in Deutschland Gehör findet.» Ähnlich äußerte sich Lindner in der ARD. Er betonte zudem: «Die Debatte, die Guido Westerwelle eröffnet hat, ist erforderlich, sie ist überfällig.»

Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) machte in der «Bild am Sonntag» deutlich, dass sie Westerwelles Einlassungen für überflüssig hält: «Wir brauchen uns gar nicht in solche Debatten zu verbeißen. Das Bundesverfassungsgericht hat klar gemacht: Das Existenzminimum muss in unserem Sozialstaat gesichert sein, denn es geht um die Würde des Menschen.»

Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) ließ im Kern Nähe zu den Positionen des Vizekanzlers erkennen. «Was wir brauchen, ist eine neue Aufstiegsmentalität, sonst wird die Solidarität der Steuer- und Abgabenzahler zerstört, die das System finanzieren», sagte er der «Bild»-Zeitung (Montag). Der Präsident des Wirtschaftsrates der CDU, Kurt Lauk, erklärte am Sonntag: «Der FDP-Vorsitzende Westerwelle hat sich im Ton massiv vergriffen. Angesichts der dramatischen Entwicklung hat er jedoch in der Sache Recht.»

Westerwelle betonte im Deutschlandfunk, er habe das Urteil des Bundesverfassungsgerichts nicht kritisiert. Er habe im Gegenteil eine eine «sehr positive Haltung dazu, dass vor allen Dingen die Rolle der Kinder in unserer Gesellschaft gestärkt wird». Die Sozialpolitik müsse umfassender diskutiert werden als nur die Frage von Regelsätzen für Hartz-IV-Empfänger. «Für mich ist die beste Sozialpolitik immer noch die Bildungspolitik, und da haben wir in Deutschland mittlerweile geradezu dekadente Erscheinungen.»

Arbeitsmarkt / Soziales / FDP
14.02.2010 · 19:49 Uhr
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