Weg für Rettungsschirm ist frei

Karlsruhe/Berlin/Amsterdam (dpa) - Europa atmet auf: Der Weg für den Euro-Rettungsschirm ESM ist frei. Das Bundesverfassungsgericht genehmigte am Mittwoch den Beitritt Deutschlands zum dauerhaften «Europäischen Stabilitätsmechanismus», zog aber rote Linien ein.

So muss verbindlich festgelegt werden, dass der deutsche Anteil am Rettungsschirm auf 190 Milliarden Euro begrenzt bleibt - sofern der Bundestag keine andere Entscheidung trifft.

In aller Welt wurde das Urteil mit großer Erleichterung aufgenommen. «Das ist ein guter Tag für Deutschland, und das ist ein guter Tag für Europa», sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Der Dax schoss auf den höchsten Stand seit Juli 2011. Die Entscheidung galt als schicksalhaft, denn ohne Deutschland mit seinem 27-Prozent-Anteil hätte der Rettungsschirm nicht aufgespannt werden können. Dann hätte dem Euro nach Ansicht vieler Experten das Aus gedroht.

Deutschland kann dem ESM nun beitreten, muss aber erstmals auf Geheiß der Verfassungsrichter einen völkerrechtlichen Vertrag unter Vorbehalt ratifizieren. Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) geht trotzdem davon aus, dass der Rettungsschirm in wenigen Wochen einsatzbereit ist. Denkbar ist, dass die Bundesregierung den Vorbehalt zusammen mit der Ratifizierungsurkunde hinterlegt. Nach der Wiener Vertragsrechtskonvention gilt ein Vorbehalt in der Regel als genehmigt, wenn die anderen Vertragsstaaten nicht widersprechen.

Der Vorsitzende der Eurogruppe, Jean-Claude Juncker, drückt aufs Tempo. Nach seinen Vorstellungen soll der ESM schon im Oktober in Kraft treten. Juncker plant, den Gouverneursrat des ESM am Rande eines Treffens der Eurogruppe am 8. Oktober einzuberufen. Bundespräsident Joachim Gauck will so bald wie möglich über die Unterzeichnung der Gesetze entscheiden. Eigentlich sollte der ESM schon am 1. Juli in Kraft treten, zahlreiche Kläger hatten die Ratifizierung aber mit Eilanträgen in Karlsruhe verzögert.

Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle betonte, über die «Zweckmäßigkeit und Sinnhaftigkeit» des von Bundestag und Bundesrat mit großer Mehrheit verabschiedeten Rettungspakets habe das Gericht nicht zu entscheiden. Dazu seien in erster Linie diejenigen berufen, «die direkt vom Volk gewählt sind».

Das Bundesverfassungsgericht forderte die Regierung aber auf, in mehreren Punkten für Klarheit zu sorgen. So dürfe die Haftungssumme von 190 Milliarden - wenn überhaupt - nur mit Zustimmung des Bundestags erhöht werden. Zudem müssten Bundestag und Bundesrat immer ausreichend über die ESM-Aktivitäten informiert werden.

Auch der von Merkel durchgesetzte Fiskalpakt kann nun ratifiziert werden. Damit werden in fast allen Staaten Europas Schuldenbremsen verankert. Sie sind Voraussetzung für Hilfen aus dem Rettungsschirm. Dieser überbrückt mit Hilfskrediten zeitlich befristet finanzielle Notlagen klammer Eurostaaten. Sie sollen die Zeit nutzen, um Reformen durchzusetzen und ihre Haushalte zu sanieren.

Die Berliner Politik begrüßte die Entscheidung weitgehend. Auch international herrschte große Genugtuung.

Den Eilantrag des CSU-Politikers Peter Gauweiler, den Rettungsschirm so lange zu stoppen, bis die Europäische Zentralbank ihren Beschluss über den Ankauf von Staatsanleihen rückgängig gemacht habe, lehnte das Gericht ab. Es behielt sich allerdings vor, im Hauptsacheverfahren zu prüfen, ob die EZB ihre Kompetenzen überschritten habe.

In der aktuellen Entscheidung betonen die Richter, dass sie den Kauf von Staatsanleihen am Sekundärmarkt durch die Europäische Zentralbank für unzulässig halten, wenn dadurch Mitgliedsstaaten unabhängig von den Kapitalmärkten finanziert werden sollen. Das Hauptsacheverfahren könnte bereits im Oktober anberaumt werden. Spekuliert wurde darüber, ob Karlsruhe dann seine Bedenken dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vorlegen könnte.

Mit Inkrafttreten des ESM wäre auch der Weg für das Anleihekaufprogramm der EZB frei. Sie will unter Umständen Staatsanleihen von Krisenländern aufkaufen; Voraussetzung dafür ist, dass diese einen Hilfsantrag beim Rettungsschirm stellen.

Spanien erwägt bereits einen Antrag auf stützende Anleihenkäufe und könnte damit als erstes Euroland vom neuen Kaufprogramm der EZB profitieren. Entschieden sei aber noch nichts, sagte Ministerpräsident Mariano Rajoy im Parlament in Madrid: «Ich weiß nicht, ob es notwendig ist, dass Spanien darum bitten muss.»

Der Europäische Stabilitätsmechanismus ESM soll den im Mai 2010 gespannten ersten «Rettungsschirm» EFSF ablösen und langfristig zur Stabilisierung des Euro-Raums beitragen. Der ESM soll Krisenländer mit Notkrediten von bis zu 500 Milliarden Euro unterstützen. Zum ESM-Kapital von 700 Milliarden Euro steuert Deutschland 21,7 Milliarden Bareinlagen und 168,3 Milliarden Garantien bei. Im Extremfall kann der Bundeshaushalt also mit 190 Milliarden Euro belastet werden.

Unterdessen liegen bei den Wahlen in Niederlanden die Rechtsliberalen von Ministerpräsident Mark Rutte und die Sozialdemokraten gleichauf, wie die erste Prognose am Mittwochabend ergab. Der Rechtspopulist Geert Wilders muss starke Verluste verbuchen. Rutte gilt in der Euro-Schuldenkrise als zuverlässiger Partner von Bundeskanzlerin Merkel.

Neuigkeiten gab es auch zur geplanten europäischen Bankenunion: Die EU-Kommission geht mit ihren Plänen auf Konfrontationskurs zur Bundesregierung. Trotz massiver Kritik aus Berlin präsentierte Brüssel am Mittwoch Pläne, wonach die neue mächtige Bankenaufsicht durch die EZB schon im Januar 2013 ihre Arbeit aufnehmen soll. Von Anfang 2014 an sollen dann alle 6000 Geldhäuser in den 17 Euro-Ländern - auch die deutschen Sparkassen und Volksbanken - der europäischen Kontrolle unterliegen.

EU / Finanzen / Urteile / Deutschland
12.09.2012 · 21:22 Uhr
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