Was nun, Frau Nahles? Die GroKo muss schwer einstecken

Berlin (dpa) - Andrea Nahles ist es inzwischen gewohnt, auch in der bittersten Stunde aufmunternde Worte zu finden. «Ich sage: Kopf hoch in Richtung SPD - denn wir nehmen diese Herausforderung an», sagt die SPD-Chefin eine Dreiviertelstunde nach dem Schließen der Wahllokale in der Parteizentrale.

Die wenigen, meist jungen SPD-Anhänger im Willy-Brandt-Haus hatten den Absturz ihrer Partei auf Platz drei hinter den Grünen bei der Europawahl und die Niederlage in Bremen fast schon routiniert deprimiert hingenommen.

Die SPD ist am Boden - kann die Koalition sich nun halten? Droht ein Aus für das vierte Kabinett von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) nur gut 14 Monate nach seinem Start?

Im Konrad-Adenauer-Haus, der CDU-Zentrale, herrscht ganz offensichtlich große Sorge, dass die SPD angesichts dramatischer Verluste ihr Heil in der Opposition suchen könnte. CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer und der angereiste CSU-Vorsitzende Markus Söder beschwören geradezu die Einheit und Stabilität von Schwarz-Rot - vor allem zum Wohl des Landes. Söder appelliert in Richtung SPD, «in gesamteuropäischer Verantwortung zu handeln und nicht nur die eigenen Parteibefindlichkeit» zu beachten. Deutschland müsse jetzt handlungsfähig bleiben.

Nahles gibt dagegen emotionslos Durchhalteparolen aus: Auch wenn das Ergebnis schmerzlich sei - selbstbewusst müsse man in die Zukunft sehen. Bis Ende 2019 würden die wichtigsten Schritte beim SPD-Erneuerungsprozess abgeschlossen sein. «Das Schlimmste, was uns passieren könnte, wäre, diesen Weg auf halber Strecke abzubrechen.» Wichtig sei es, «dass wir auch in der Koalition weiter für eine sozial gerechte Regierungspolitik sorgen». Kurz darauf gibt es aus der SPD erste öffentliche Forderungen an Nahles, Konsequenzen zu ziehen.

Als ersten Grund für das SPD-Wahldebakel sehen Nahles und SPD-Spitzenkandidatin Katarina Barley die eigene Schwäche beim Thema Klima. Großer Gewinner des Abends sind die Grünen, gerade auch mit diesem Thema. In Europa können sie ihr Ergebnis fast verdoppeln. In Bremen sind sie das Zünglein an der Waage - sie können Rot-Rot-Grün oder auch Jamaika ermöglichen. «Was für ein Abend!», jubelt Parteichefin Annalena Baerbock auf der Grünen-Party. Ein «saustarkes Ergebnis» habe man eingefahren.

Schwarz-Rot im Bund hat dagegen die Quittung für seinen Dauerstreit und verpasste Themen bekommen, allen voran beim Grünen-Markenkern Klimaschutz. Die Klimadebatte hatte mit den Fridays-for-Future-Demos und zuletzt den Youtuber-Aktionen weiter an Fahrt gewonnen. Doch Schwarz-Rot scheint das Thema auf die lange Bank zu schieben - ein Konzept soll erst bis Ende des Jahres vorliegen. Ob sich Union und SPD soviel Zeit lassen können angesichts der Stimmung - und angesichts der drei Ost-Landtagswahlen im Herbst?

Kramp-Karrenbauer übt an diesem Abend zwar deutliche Selbstkritik - teilt aber auch ordentlich in Richtung Regierung und damit ihrer Fördererin, Kanzlerin Merkel aus. Mit einem Europa-Ergebnis von unter 30 Prozent werde die CDU ihrem Anspruch als Volkspartei nicht gerecht, sagt AKK. In der Regierungsarbeit habe man «bei weitem nicht die Dynamik entwickelt» und nicht die überzeugenden Antworten gegeben, die die Bürger erwarteten. Merkel, die zu diesem Zeitpunkt wohl wie immer im Kanzleramt sitzt, erwähnt sie mit keinem Wort.

«Auch wir haben bei dieser Wahlkampagne Fehler gemacht», räumt AKK selbstkritisch ein. Es sei nicht gelungen, mit europäischen Fragen durchzudringen. Vielmehr sei es um Klimaschutz und die Frage gegangen, wie Regeln aus der analogen in die digitale Welt wirken. Doch auch hier habe die CDU noch nicht überzeugende Antworten gegeben. Das Kommunikationsdesaster, das die Partei nach dem Anti-CDU-Video von Youtuber Rezo in der vergangenen Woche hinter sich hat, erwähnt Kramp-Karrenbauer nur indirekt.

CSU-Chef Söder hat tiefe Sorgenfalten im Gesicht, als er sagt, die Europazahlen seien «kein gutes Zeugnis für die GroKo». Ihr Ansehen sei bei den Deutschen gesunken. «Und deswegen muss sich jeder überlegen, wie er jetzt darauf reagiert», sagt er wohl in Richtung SPD. Zu glauben, dass deren Grundkonzept mit Steuererhöhungen und Geldverteilen Wähler begeistern könne, «hat nicht mal nach links funktioniert». Nun müssten alle überlegen, wie man einer stabilen Regierung neuen Schwung geben könne. «Endlose Selbstbespiegelungsprozesse führen auf keinen Fall zum Ergebnis.»

Größte Herausforderung ist für den CSU-Chef die Auseinandersetzung mit den Grünen. Die Union müsse daran arbeiten, «wieder jünger, cooler, offener zu werden», sagt er. Bei Themen und Kommunikation müsse man so agieren, «dass wir nicht von gestern wirken, sondern den Anspruch haben, wieder an morgen zu denken» - das dürfte in Richtung CDU und AKK, die neben ihm steht, gegangen sein. Genauso wie die kleine Spitze, dass die CSU nach zwei Wahlen mit Verlusten immerhin eine positive Trendumkehr erreicht und sogar ein EU-Mandat hinzugewonnen habe. Anders als die CDU, dürfte er im Stillen denken.

In der SPD häufen sich indessen die Krisenszenarien. Nahles trägt die Verantwortung für den Wahlkampf - sie ist in ihrer Doppelfunktion als Fraktions- und Parteivorsitzende angeschlagen. Zwar drängt sich für den ungeliebten Posten an der Parteispitze kaum schnell Ersatz auf. Aber für den Fraktionsposten werden mehrere Namen gehandelt, von Arbeitsminister Hubertus Heil bis zum Ex-Kanzlerkandidaten Martin Schulz. Doch stehen tatsächlich unmittelbar Eruptionen bevor, die am Ende auch die Statik der Koalition ins Wanken bringen könnten?

Die SPD hat noch mehr zu verlieren, bei den drei Landtagswahlen nach der Sommerpause vor allem die Macht in Brandenburg. Viele in der Partei erwarten, dass Nahles bis zum Herbst durchhält und auch die Koalition weiter hält. Regulär wird in der Fraktion im September neu gewählt. Im Dezember wird dann auf einem Parteitag die SPD-Spitze neu bestimmt - und Bilanz zur Koalition gezogen werden.

Wahlen / EU / Parlament / #EP2019 / CDU / CSU / SPD / Grüne / Deutschland / Bremen / Europa
26.05.2019 · 22:16 Uhr
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