Übernahmen im Ausverkauf – Wie Unternehmen die Pleitewelle für Schnäppchen nutzen
Wenn die Konkurrenz schwächelt, ist das für manche die Gelegenheit, zuzuschlagen. So sieht es zumindest Michael Wiggen, Chef von Wiggentech. Sein Unternehmen, ein Hersteller von Drehteilen und Verbindungselementen, hat im Juli 2024 den Weltmarktführer Umeta übernommen – ein Unternehmen, das wegen Nachfragerückgangs Ende 2023 Insolvenz angemeldet hatte.
Für Wiggen ein strategisch cleverer Schachzug.
„Ein solches Portfolio kann man sich selbst nur mit viel Zeit und Aufwand aufbauen, oder man übernimmt, wenn die Chance kommt,“ erklärt er nüchtern.
Diese Chance kommt immer häufiger. Die Zahl der Insolvenzen in Deutschland ist im ersten Halbjahr 2024 um 41 Prozent gestiegen – höher als erwartet. Besonders betroffen sind Autozulieferer, Maschinenbauer und Immobilienfirmen. Doch während einige in den Abgrund stürzen, rücken andere nach – und das oft zu Sonderpreisen.
Insolvente Firmen zum Schnäppchenpreis
„Bei Übernahmen insolventer Unternehmen ist ein Preisabschlag von 20 bis 25 Prozent keine Seltenheit“, sagt Christian Säuberlich von der Beratung FTI-Andersch.
Der Insolvenzverwalter drängt meist auf eine schnelle Abwicklung, und das schafft Verhandlungsspielraum. Es ist eine klassische Win-win-Situation: Der Übernehmer erhält günstig neues Know-how, Kunden und Technologien, während das übernommene Unternehmen weiterleben kann.
Für Firmen wie Wiggentech geht es nicht nur um den Preis, sondern auch um strategische Vorteile. „Der Zukauf schwächerer Wettbewerber bietet uns die Möglichkeit, schneller zu wachsen,“ sagt Wiggen. „Das ist Wachstum, das man aus eigener Kraft kaum so schnell erreichen würde.“
Restrukturierung statt Stillstand
Aber nicht alle setzen auf Zukäufe. Viele Unternehmen konzentrieren sich darauf, sich selbst zu schützen. Pia-Automation, ein Maschinenbauer mit 1800 Beschäftigten, befindet sich seit 2022 in einem tiefgreifenden Restrukturierungsprozess. Ziel ist es, weniger abhängig von der schwächelnden Autoindustrie zu werden und neue Märkte zu erschließen.
„Wir mussten uns neu aufstellen, um zukunftsfähig zu bleiben“, sagt Geschäftsführer Thomas Ernst.
Dass die Zahl der Insolvenzen steigt, ist für Ernst ein Warnsignal: „Die verstärkten Pleiten zeigen, dass es uns genauso treffen könnte.“ Deshalb haben er und sein Team frühzeitig gehandelt.
Zentralisierung von Verwaltung und Vertrieb, breitere Kundenbasis, Expansion nach Nordamerika und Asien – alles Schritte, um nicht selbst in den Abwärtsstrudel zu geraten.
Insgesamt sind laut einer Umfrage 32 Prozent der Industriebetriebe in der Restrukturierung, weitere 15 Prozent planen diesen Schritt. Der Anpassungsdruck ist hoch, denn die Firmen wollen nicht nur effizienter werden, sondern auch ihre Wettbewerbsfähigkeit sichern.
Kosten runter, Vorsicht hoch
Während Wiggentech expandiert und Pia-Automation sich neu aufstellt, ist Frank Hornung von der Edelmann Group vor allem vorsichtiger geworden.
Der Verpackungshersteller hat einen kleineren Kunden durch Insolvenz verloren – das war ein Warnschuss. Hornung prüft nun genauer, wie es um seine Zulieferer steht, und sucht nach Alternativen. „Wir müssen sicherstellen, dass wir nicht von weiteren Insolvenzen überrascht werden“, sagt er.
Hornung ist mit seiner Vorsicht nicht allein: 70 Prozent der befragten Firmen beobachten ihre Zulieferer mittlerweile intensiver, fast 60 Prozent setzen auf neue Märkte und Kunden, um weniger abhängig zu sein.
Gleichzeitig stehen Kostensenkungen auf der Tagesordnung: Liquiditätsmanagement, Einsparungen bei nicht notwendigen Ausgaben und das Aufstocken finanzieller Reserven sind Maßnahmen, um auf der sicheren Seite zu bleiben.
Keine Massenentlassungen trotz Krise
Erstaunlich ist, dass trotz der Insolvenzwelle nur wenige Unternehmen Personal abbauen wollen. Angesichts des Fachkräftemangels halten selbst Firmen, die in Schwierigkeiten geraten sind, an ihren Beschäftigten fest. „Wir können es uns nicht leisten, Mitarbeiter zu verlieren“, erklärt ein Unternehmensleiter, der anonym bleiben möchte.
„Fachkräfte zurückzugewinnen, wäre fast unmöglich.“
Tatsächlich nennen 81 Prozent der Unternehmen den Mangel an qualifiziertem Personal als größtes Problem. Entlassungen sind also keine Option – selbst wenn das Geld knapp wird.
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