Türkische Sorgenfälle: «Welt»-Journalist in Polizeigewahrsam

Istanbul (dpa) - Als Bundeskanzlerin Angela Merkel kürzlich in Ankara mit Präsident Erdogan zusammenkam, gehörte zu den Themen die Pressefreiheit in der Türkei. Bei ihrem Statement nach dem Gespräch ging Merkel auf die Lage der deutschen Journalisten in dem Land ein - und erwähnte «verschiedene Fälle, wo wir uns auch durchaus Sorgen machen».

Sorgen dürfte der Bundesregierung besonders der Fall des «Welt»-Korrespondenten Deniz Yücel bereiten, der in Polizeigewahrsam genommen wurde - als erster deutscher Journalist seit Verhängung des Ausnahmezustands in der Türkei.

Yücel - der die deutsche und die türkische Staatsangehörigkeit besitzt - stellte sich bereits am Dienstag der Polizei in Istanbul, wie seine Redaktion am Freitag mitteilte. Danach sei die Wohnung des 43-Jährigen von Sicherheitskräften durchsucht worden. Yücels Anwälten wurde nach Angaben der «Welt» gesagt, dass gegen den Korrespondenten wegen Mitgliedschaft in einer Terrororganisation, wegen Terrorpropaganda und wegen Datenmissbrauchs ermittelt werde.

Zahlreiche Journalisten in der Türkei sitzen wegen angeblicher Terrorunterstützung im Gefängnis. Bei näherem Hinsehen scheinen die Anschuldigungen oft absurd: So sind deswegen alleine zehn Mitarbeiter der regierunskritischen Zeitung «Cumhuriyet» in U-Haft. Auch der Investigativjournalist Ahmet Sik wurde eingesperrt, er gehört zu den schärfsten Kritikern der Gülen-Bewegung, die Erdogan für den Putschversuch im Juli 2015 verantwortlich macht. Nun wird Sik Terrorpropaganda vorgeworfen - unter anderem für die Gülen-Bewegung.

Yücel hatte zwei Artikel über gehackte Mails geschrieben, die vom Konto von Energieminister Berat Albayrak stammen sollen - der zugleich Erdogans Schwiegersohn ist. Gehackt haben will das Mailkonto eine Gruppe namens Redhack, die in der Türkei als Terrororganisation gilt. Yücels Artikel befassten sich nicht mit Albayraks Privatleben, sondern mit Politik.

Und der Journalist hatte sich nicht selber Zugang zu den Mails verschafft: Im ersten Artikel im Oktober zitierte er regierungskritische türkische Medien, die darüber schrieben. Im zweiten Bericht vom Dezember berief er sich auf Wikileaks. Die Organisation hatte die gesammelten Mails zuvor online gestellt.

Wie ernst seine Lage ist, dürfte Yücel bereits an Weihnachten geahnt haben, als sein Namen in der regierungsnahen Zeitung «Sabah» stand. Dort wurde Yücel benannt als einer jener Verdächtigen, die bei einer Razzia gegen Redhack in Istanbul festgenommen werden sollten. Regierungsnahe Medien erinnern in der Türkei nicht selten an amtliche Mitteilungsorgane. So erfuhr im Dezember etwa der deutsch-türkische Abgeordnete Ziya Pir von der pro-kurdischen HDP aus der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu, dass die Staatsanwaltschaft wegen Terrorvorwürfen bis zu 23 Jahre Haft für ihn fordert.

«Sabah» berichtet am 25. Dezember, Yücel sei der Festnahme entgangen, weil er im Ausland sei. Das Blatt war zumindest in diesem Punkt schlecht informiert. Yücel hielt sich danach bedeckt. Er verschwand aus den sozialen Medien und veröffentlichte keine Artikel mehr. Drei Verdächtige wurden nach der Razzia in Untersuchungshaft genommen. Um Redhack drehte es sich dabei nur noch am Rande: Den Verdächtigen wird Mitgliedschaft in verschiedenen anderen Terrorgruppen vorgeworfen.

Das Komitee zum Schutz von Journalisten (CPJ) zählte im vergangenen Dezember mehr als 80 Reporter, die in der Türkei im Zusammenhang mit ihrer Arbeit im Gefängnis sitzen - mehr als CPJ jemals zuvor in einem Land verzeichnet hat. Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu von der Mitte-Links-Partei CHP warf der Regierung vor wenigen Tagen vor, die Zahl der inhaftierten Journalisten übersteige inzwischen die unter der Militärdiktatur nach dem Putsch von 1980.

Die Regierung betont dagegen, solche Festnahmen hätten nichts mit der Pressefreiheit zu tun. Außenminister Mevlüt Cavusoglu sagte vergangene Woche in Madrid nach einem Bericht der Zeitung «El Mundo»: «Es gibt in der Türkei nicht einen einzigen Journalisten, der in Haft sitzt, weil er informiert oder die Regierung kritisiert hat.»

«Welt»-Chefredakteur Ulf Poschardt vertraut nun mit Blick auf Yücel darauf, «dass ein faires Verfahren seine Unschuld ergeben wird». Ob faire Verfahren in der Türkei noch garantiert sind, daran haben Juristen wie die Menschenrechtsanwältin Ayse Acinikli allerdings Zweifel. Es sei «sehr schwierig», derzeit in der Türkei von einem Rechtsstaat zu sprechen, sagte Acinikli im vergangenen Monat.

Auch gegen ausländische Journalisten hat sich die Gangart in der Türkei verschärft, sie stehen aber immer noch unter viel weniger Druck als ihre einheimischen Kollegen. Für die türkischen Behörden ist Yücel allerdings kein Ausländer, sondern Türke: Sein deutscher Pass fällt aus Sicht der Regierung in Berlin, nicht aber aus Sicht der Regierung in Ankara ins Gewicht.

Im Ausnahmezustand kann Yücel nun bis zu 14 Tage in Polizeigewahrsam gehalten werden. Dann muss ein Richter entscheiden, ob der Journalist bis zum Beginn eines Prozesses in Untersuchungshaft genommen wird. Poschardt appellierte an die türkischen Behörden, keine U-Haft zu verhängen. «Deniz Yücel hat seine Bereitschaft gezeigt, an einem rechtsstaatlichen Verfahren mitzuwirken», sagte der «Welt»-Chefredakteur. Poschardt erinnerte dabei an die Pressefreiheit - «wie sie in der türkischen Verfassung festgeschrieben ist».

Medien / Konflikte / Türkei / Deutschland
17.02.2017 · 18:45 Uhr
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