Steigende Sozialbeiträge: So hart trifft die Abgabenlast Arbeitnehmer und Arbeitgeber
Sozialabgaben im Höhenflug
Bereits im Januar 2024 wird die Belastung durch Sozialabgaben für Arbeitnehmer und Arbeitgeber deutlich spürbar sein. Ein zusätzlicher Prozentpunkt bei den Sozialversicherungen treibt die Abgabenquote auf 42 Prozent des Bruttolohns – ein Niveau, das zuletzt zu Zeiten der Hartz-Reformen Anfang der 2000er Jahre erreicht wurde.
Für Beschäftigte mit einem monatlichen Bruttoeinkommen von 4.000 Euro bedeutet dies im Jahr eine Mehrbelastung von etwa 240 Euro. Doch dieser Anstieg ist nur der Anfang eines Trends, der sich fortsetzen könnte: Laut einer Projektion des Iges-Instituts könnten die Sozialabgaben bis 2035 auf 48,6 Prozent anwachsen.
Diese Entwicklung alarmiert Experten. Der Druck auf das deutsche Sozialsystem wächst nicht nur durch den demografischen Wandel, sondern auch durch strukturelle Defizite in den Sozialversicherungen. Steigende Kosten in der Kranken- und Pflegeversicherung sowie die Rente für die wachsende Zahl der Ruheständler stellen das System vor enorme Herausforderungen.
Die steigenden Abgaben gefährden langfristig nicht nur die Kaufkraft, sondern auch die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen.
Kranken- und Pflegeversicherung
Die gesetzliche Krankenversicherung steht schon heute unter enormem Druck. Allein 2025 wird ein Anstieg der Beiträge um bis zu 0,8 Prozentpunkte erwartet. Angesichts steigender Gesundheitskosten und einer alternden Bevölkerung könnten die Abgaben bis 2035 auf 19,3 Prozent ansteigen – eine enorme Belastung, die Arbeitgeber und Arbeitnehmer gleichermaßen trifft.
Jonas Schreyögg, Gesundheitsökonom an der Universität Hamburg, sieht die steigenden Kosten als Konsequenz früherer Entscheidungen, die sich jetzt rächen. „Viele der Reformen, die zu höheren Vergütungen im Pflegebereich führten, waren nötig, doch man hat versäumt, strukturelle Anpassungen vorzunehmen, um die Kosten nachhaltig zu senken“, erklärt Schreyögg.
Gesundheitsminister Karl Lauterbach versucht, mit einer umfassenden Krankenhausreform gegenzusteuern, die langfristig zu Einsparungen führen soll. Doch Fachleute halten diese Maßnahmen nicht für ausreichend. Schreyögg fordert dringend eine bessere Patientensteuerung, um unnötige Krankenhausaufenthalte zu vermeiden und Kosten zu reduzieren.
„Wer bei uns in die Notfallversorgung kommt, wird zu 46 Prozent stationär aufgenommen – das ist ein weltweit einmalig hoher Wert“, kritisiert er.
Eine verpflichtende integrierte Leitstelle, die Patienten gezielt zuweist, könnte hier helfen. Doch die notwendige Reform geht selbst dem Bundesgesundheitsminister zu langsam.
Auch in der Pflegeversicherung erwarten Experten schon 2025 einen deutlichen Anstieg der Beiträge um 0,2 bis 0,3 Prozentpunkte, um den steigenden Bedarf zu decken.
Höhere Gehälter für Pflegekräfte und die zunehmende Zahl pflegebedürftiger Menschen belasten das System zunehmend. Jochen Pimpertz vom arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft warnt, dass das System in seiner jetzigen Form zunehmend ungerecht wird:
„Pflegekosten sollten nur für jene entlastet werden, die die hohen Kosten aus eigener Kraft nicht tragen können. Andernfalls profitieren oft die Erben auf Kosten der Beitragszahler.“
Rentensystem am Wendepunkt
Das Rentensystem steht vor einer gewaltigen Herausforderung. Bis 2035 wird ein Anstieg des Rentenbeitragssatzes auf 22,3 Prozent erwartet – ein erheblicher Zuwachs gegenüber dem heutigen Stand von 18,6 Prozent.
Grund dafür ist die sogenannte Babyboomer-Welle: Immer mehr geburtenstarke Jahrgänge verlassen den Arbeitsmarkt und beziehen Rente, während gleichzeitig schwache Jahrgänge nachrücken, die die Last dieser Renten tragen müssen.
Ursprünglich war vorgesehen, dass sich Arbeitgeber, Arbeitnehmer und Rentner die Belastungen durch höhere Beiträge, ein sinkendes Rentenniveau und eine schrittweise Anhebung des Rentenalters teilen würden.
Doch die geplante Festschreibung des Rentenniveaus auf 48 Prozent, wie sie Arbeitsminister Hubertus Heil anstrebt, könnte die Beiträge weiter erhöhen und die jüngeren Generationen erheblich belasten. Kritiker wie Pimpertz sehen in diesem Ansatz eine „einseitige Belastung der Jüngeren, die den demografischen Wandel ausbaden müssen“.
Die Politik hat es in den vergangenen Jahren versäumt, nachhaltige Maßnahmen zur Stabilisierung des Rentensystems zu treffen – und die Kosten dieser Versäumnisse könnten in den kommenden Jahren drastisch steigen.
Arbeitslosenversicherung: Keine Entspannung in Sicht
Die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung sollen bis 2035 auf drei Prozent ansteigen. Obwohl dies im Vergleich zu anderen Sozialversicherungen ein moderater Zuwachs ist, stellt die langfristige Entwicklung auch hier eine Belastung dar.
Im Vergleich zu den 1990er Jahren, als die Arbeitslosenversicherung noch bei 6,5 Prozent lag, erscheinen die heutigen Werte niedrig – doch im Kontext der Gesamtabgaben könnten selbst kleine Anstiege große Auswirkungen auf die Nettolöhne haben.
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Interessanterweise sieht der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) die Lage gelassener. Die DGB-Vorsitzende Yasmin Fahimi betonte kürzlich, dass die Sozialausgaben in Deutschland im internationalen Vergleich gar nicht so hoch seien.
Doch für Pimpertz und andere Experten ist die Akzeptanz des Solidaritätsprinzips gefährdet: „Steigen die Abgaben weiter, werden immer mehr Jüngere das System infrage stellen – und eventuell sogar ins Ausland abwandern oder verstärkt auf Selbstständigkeit setzen, um den Sozialbeiträgen zu entgehen“, erklärt Pimpertz.
Wirtschaftliche Folgen: Droht eine Abwärtsspirale?
Die steigenden Sozialabgaben könnten weitreichende wirtschaftliche Folgen haben. Bereits heute belasten hohe Arbeitskosten die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen auf dem internationalen Markt. Pimpertz sieht eine besorgniserregende Entwicklung:
„Wenn sich die Arbeitskosten weiter erhöhen, wird es für deutsche Unternehmen zunehmend schwer, auf dem Weltmarkt wettbewerbsfähig zu bleiben.“
Die hohe Steuer- und Abgabenlast gefährdet langfristig die Standortattraktivität Deutschlands und könnte zu Arbeitsplatzverlusten und einer wirtschaftlichen Abwärtsspirale führen.
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Reformbedarf drängender denn je
Angesichts dieser alarmierenden Prognosen fordern Experten umfassende Reformen des Sozialversicherungssystems. Insbesondere in der Renten- und Krankenversicherung müsse die Politik endlich langfristige Lösungen finden, um die drohende Beitragslast in den Griff zu bekommen.
Der Verweis auf steigende Gesundheitskosten und den demografischen Wandel allein reiche nicht mehr aus, betont Schreyögg. „Die Politik ist gefragt, die Sozialversicherungen zukunftssicher zu gestalten, ohne dabei die Jüngeren unverhältnismäßig zu belasten.“