Staat muss Ex-Sicherungsverwahrte entschädigen

Karlsruhe (dpa) - Vier verurteilte Vergewaltiger haben nach einem Urteil des Landgerichts Karlsruhe Anspruch auf Schmerzensgeld für ihre zu lange Sicherungsverwahrung. Die Richter sprachen den 55 bis 65 Jahre alten Klägern am Dienstag insgesamt 240 000 Euro Entschädigung zu.

Zahlen soll das Land Baden-Württemberg, das das Urteil anfechten will. Für Entschädigungen könnte auch der Bund in die Pflicht genommen werden.

Das Urteil in erster Instanz könnte die Richtung für Dutzende ähnlicher Fälle auch in anderen Bundesländern weisen. Genaue Zahlen dazu fehlen nach Angaben aus dem baden-württembergischen Justizministerium aber. Schätzungen zufolge könnte es bundesweit zwischen 80 und 100 vergleichbare Fälle geben.

«Wir werden in Berufung gehen», kündigte der Rechtsvertreter des Landes, Thomas Hannemann, unmittelbar nach dem Richterspruch an. Das Land wolle ein Grundsatzurteil und werde dafür bis zum Bundesgerichtshof (BGH) gehen. Bis zur endgültigen Klärung bekommen die verurteilten Gewalt- und Sexualstraftäter das Geld nicht ausgezahlt. Die Kläger hatten insgesamt etwa 400 000 Euro gefordert.

Die vier ehemals Sicherungsverwahrten sollen jeweils 49 000 Euro, 53 000 Euro, 65 000 Euro und 73 000 Euro erhalten. Für die Bemessung der Summe hatte sich Richter Eberhard Lang an den Maßstäben des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) orientiert. Dieser hatte die rückwirkende Sicherungsverwahrung Ende 2009 für rechtswidrig erklärt und Schadensersatz in Höhe von rund 500 Euro pro Monat für angemessen erachtet.

Die Kläger hatten wegen Vergewaltigung und in einem Fall zudem wegen versuchten Mordes lange Haftstrafen verbüßt und danach die maximale zehnjährige Sicherungsverwahrung abgesessen. Kurz bevor diese ablief, hatte ein Gesetz 1998 in Deutschland die unbefristete Sicherungsverwahrung ermöglicht. Statt entlassen zu werden, blieben die Männer weitere acht bis zwölf Jahre in Haft. Diese rückwirkende Sicherungsverwahrung erklärte der EGMR für rechtswidrig. Das Bundesverfassungsgericht folgte dem kurz darauf und revidierte damit seine frühere Auffassung.

Das Land Baden-Württemberg trifft nach Ansicht des Landgerichts aber keine Schuld. Dem Land und der Justiz könne kein Vorwurf gemacht werden, betonte Richter Lang in der Urteilsbegründung. «Wir hätten gar nicht anders handeln können», erklärte auch Oberstaatsanwalt Gremmelmaier. Die nachträgliche Verlängerung der Sicherungsverwahrung sei damals geltendes Recht gewesen, was zunächst auch das Bundesverfassungsgericht abgesegnet hatte. Da das Land geltendes Bundesrecht vollstreckte, könnte auch der Bund für den Schadensersatz mit zuständig sein.

Schmerzensgeld gebe es nicht für «Vergewaltigung, Mord und Totschlag», betonte der Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) nach dem Urteil. «Es darf jetzt in der Öffentlichkeit nicht der Eindruck entstehen, dass man rauben, morden und vergewaltigen kann und am Ende dann noch eine Haftentschädigung steht», sagte BDK-Chef André Schulz.

Bislang hat in Baden-Württemberg laut Gremmelmaier neben den vier Klägern ein weiterer Ex-Sicherungsverwahrter Ansprüche angemeldet. Eine Klage habe dieser aber bislang nicht eingereicht. Kläger-Anwalt Ekkehard Kiesswetter sprach von zwei weiteren Mandanten, einer davon aus Nordrhein-Westfalen, für die er in absehbarer Zeit klagen werde. Auch in Berlin wird mit Klagen gerechnet.

Mit dem Verfahren war erstmals in Deutschland die Frage geprüft worden, ob und wie viel Schadenersatz Straftätern zusteht, die nach ihrer verbüßten Haftstrafe zu lange in Sicherungsverwahrung waren. Bis zu einer Grundsatzentscheidung durch den BGH werden nach Einschätzung der Anwälte bis zu drei Jahre ins Land gehen.

Prozesse / Kriminalität
24.04.2012 · 16:34 Uhr
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