Selenskyj wirbt vor Ramstein-Treffen für mehr Waffen
Kiew (dpa) - Vor dem Spitzentreffen der Ukraine-Kontaktgruppe in Ramstein hat Präsident Wolodymyr Selenskyj die Verbündeten des Landes dringend zu deutlich mehr Waffenlieferungen aufgerufen. Es seien für die kommenden Herbstmonate genügend Lieferungen für die Front, Ausrüstung für die Brigaden und Langstreckenwaffen nötig, um Russland zu stoppen und in Richtung eines Friedens zu zwingen, sagte Selenskyj in seiner in Kiew verbreiteten Videobotschaft. In Ramstein wolle er die Partner an diesem Samstag überzeugen von der «dringenden Notwendigkeit einer erheblichen Verstärkung unserer Fähigkeiten und Positionen», betonte er.
«Wir laden unsere Partner ein, zu definieren, wie sie sich das Ende dieses Krieges, den Platz der Ukraine in der globalen Sicherheitsarchitektur und die gemeinsamen Schritte vorstellen, die diesen Krieg zu einem Ende führen können», sagte Selenskyj. Erstmals kommen in Ramstein die Staats- und Regierungschefs der Ukraine-Unterstützerländer zusammen, darunter auch US-Präsident Joe Biden, der Ende dieser Woche Deutschland besucht. In der Vergangenheit trafen sich auf dem US-Luftwaffenstützpunkt in Rheinland-Pfalz in erster Linie die Verteidigungsminister der Länder.
Bei der Zusammenkunft solle es auch um Investitionen in die ukrainische Waffenproduktion gehen, sagte Selenskyj. Es gehe vor allem um die Produktion von Drohnen und Systemen der elektronischen Kriegsführung. Der Staatschef hatte immer wieder erklärt, die Ukraine zu einem der größten Waffenproduzenten der Welt machen zu wollen.
Selenskyj will «Siegesplan» präsentieren
Selenskyj kündigte außerdem an, bei dem Treffen jenen Ländern, die die Ukraine stärken und einen Frieden näher bringen können, seinen «Siegesplan» zu präsentieren. Bisher ist der seit Monaten immer wieder von Selenskyj beworbene Plan öffentlich nicht bekannt. Klar ist aber, dass das Land etwa die Erlaubnis zum Einsatz von Langstreckenwaffen gegen russisches Staatsgebiet und die Einladung zu einer Nato-Mitgliedschaft vom Westen erwartet.
Der Leiter von Selenskyjs Büro, Andrij Jermak, sprach nach Angaben des Präsidentenamtes mit dem früheren Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen erneut über einen Beitritt zu dem westlichen Militärbündnis. «Die wichtigsten Prioritäten für die Ukraine sind nach wie vor ein klarer und verständlicher Ansatz für die Einladung zum Nato-Beitritt mit definierten Zeitrahmen und Beitrittsbedingungen sowie die Aufhebung aller Beschränkungen für konventionelle Waffentypen, insbesondere für den Einsatz von Langstreckenwaffen für Angriffe tief im russischen Gebiet», sagte Jermak demnach. Rasmussen werde ebenfalls in Ramstein erwartet.
Nach Darstellung Selenskyjs hielt sich zudem ein Team der ukrainischen Führung in den USA auf, um in Washington die militärischen und militärisch politischen Details des «Siegesplans» zu erörtern. Selenskyj selbst hatte sein Vorhaben bei einem US-Besuch im September mit Präsident Biden besprochen.
Die Ukraine wehrt sich seit mehr als zweieinhalb Jahren mit westlicher Hilfe gegen den russischen Angriffskrieg. Die ukrainische Führung hatte zuletzt immer wieder erklärt, dass es Ziel in dem Verteidigungskampf sein müsse, Russland militärisch zu zerstören, damit es nie wieder ein anderes Land angreifen könne. Die Atommacht warnt vor existenzbedrohenden Angriffen auf ihr Staatsgebiet.
Odessa meldet Toten nach Raketenbeschuss
Die ukrainische Hafenstadt Odessa am Schwarzen Meer wurde indes erneut mit russischen ballistischen Raketen angegriffen. Eine Rakete sei in einem zivilen Schiff eingeschlagen, ein 60 Jahre alter Ukrainer sei dabei getötet worden, teilte der Militärgouverneur des südukrainischen Gebietes Odessa, Oleh Kiper, im sozialen Netzwerk Telegram mit. Fünf Ausländer seien verletzt worden.
Das Schiff sei unter der Flagge des pazifischen Inselstaates Palau gefahren. Ziel der russischen Angriffe war den Behörden zufolge erneut die Hafeninfrastruktur. Der getötete Ukrainer habe sich für eine Privatfirma um die Fracht des Schiffes gekümmert, sagte Kiper. Zur Fracht selbst und zur Identität der verletzten Ausländer gab es zunächst keine Details.
Der ukrainische Außenminister Andrij Sibyha beklagte, dass Russland innerhalb von zwei Tagen zwei Frachtschiffe beschädigt habe. Erst am Sonntag sei ein mit Mais beladenes Schiff mit Ziel Italien beschossen worden. «Das ist eine absichtliche terroristische Taktik», meinte er im Nachrichtennetzwerk X. Bereits im September habe Russland Schiffe beschossen.
Während die Ukraine betont, dass es sich um zivile Schiffe handele, spricht das russische Verteidigungsministerium von einem Beschuss militärischer Ziele. Russland behauptet, dass die zivilen Schiffe verdeckt Waffen für den Krieg in der Ukraine transportierten. Beweise dafür gibt es nicht.
Harris: Keine Gespräche mit Putin ohne Ukraine-Beteiligung
Derweil betonte die demokratische US-Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris, Kremlchef Wladimir Putin im Falle eines Wahlsiegs nicht ohne Vertreter aus Kiew treffen zu wollen. Auf die Frage, ob sie mit Putin zusammenkommen würde, um eine Lösung für den Krieg in der Ukraine auszuhandeln, sagte sie in der TV-Sendung «60 Minutes»: «Nicht bilateral, ohne die Ukraine. Nein, die Ukraine muss ein Mitspracherecht bei der Zukunft der Ukraine haben.»
Ausweichend antwortete die US-Vize auf die Frage nach einer Nato-Mitgliedschaft der Ukraine. «Das sind alles Fragen, mit denen wir uns befassen werden, falls und wenn es so weit ist», sagte die 59-Jährige mit Blick auf das Sicherheitsbündnis. «Im Moment unterstützen wir die Fähigkeit der Ukraine, sich gegen die unprovozierte Aggression Russlands zu verteidigen.»
Die USA sind unter Präsident Biden der wichtigste Unterstützer der Ukraine im Abwehrkampf gegen Russlands Angriffskrieg. Ex-Präsident Donald Trump hat für den Fall einer Wiederwahl signalisiert, die Unterstützung für Kiew dramatisch zurückzufahren oder ganz einzustellen. Außerdem behauptet er wiederholt, er könnte den Krieg innerhalb von 24 Stunden beenden.