Seehofer rechnet mit Unions-Kompromiss zu Europa
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zeigte sich selbstbewusst: «Der Diskussionsprozess hat erst begonnen», betonte sie am Sonntag in der ARD-Sendung «Bericht aus Berlin». Sie fügte an die Adresse der CSU gerichtet hinzu: «Die Regierung muss handlungsfähig bleiben.» Aus den anderen Parteien hagelte es erneut Kritik an der CSU. FDP-Chef Guido Westerwelle warnte die Christsozialen, den EU-Reformvertrag scheitern zu lassen.
CDU und CSU streiten, wie weit die Mitspracherechte von Bundestag und Bundesrat bei europapolitischen Entscheidungen gehen sollen. Nach Seehofers Vorstellungen soll das Parlament der Regierung verbindlich vorschreiben können, mit welcher Linie sie in Brüssel zu verhandeln hat. Auf dem CSU-Parteitag machte Seehofer aber deutlich, dass er auch Ausnahmen von dieser Forderung zulassen will, wie sie bereits in einem Gesetzentwurf der Unionsfraktion von 2004 vorgesehen sind. «Es geht nicht um Blockade.» Es gehe in erster Linie darum, welche Verbindlichkeit Stellungnahmen von Bundestag und Bundesrat haben sollen. «Das wird die Debatte, die kann man mit aller Klugheit und aller Gelassenheit führen.»
Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) sagte auf Anfrage: «Ich bin immer davon ausgegangen, dass CDU und CSU zu einer gemeinsamen Position kommen werden.» Eine gemeinsame Arbeitsgruppe der beiden Unionsparteien zum Thema Europa werde sich am 3. August zum ersten Mal treffen. Nach Kauders Einschätzung wird die Zeit jedoch nicht mehr reichen, die geplanten Klagerechte des Bundesverfassungsgerichts gegenüber Brüssel noch vor der Bundestagswahl zu verabschieden. «Das werden wir in der nächsten Legislatur regeln müssen.» Merkel nannte den Zeitplan «ambitioniert, aber schaffbar».
CSU-Bundestagsspitzenkandidat Peter Ramsauer unterstrich auf dem Parteitag: «Wir brauchen als CSU von niemandem Nachhilfe, was Europa anbelangt.» Der Vorsitzende der CSU-Gruppe im Europäischen Parlament, Markus Ferber, mahnte indes im Fernsehsender Phoenix: «Wir sind nicht eine Anti-Europa-Partei, und die CSU darf auch nicht Anti-Europa- Partei werden.» Der nordrhein-westfälische Integrationsminister Armin Laschet (CDU) warf der CSU vor, nationalen Interessen zu schaden. Es sei eine absurde Vorstellung, die Kanzlerin und die deutschen Minister nur noch mit gebundenen Voten nach Brüssel reisen zu lassen, schrieb das Mitglied des CDU-Bundesvorstands für «Welt am Sonntag».
Scharfe Kritik am CSU-Europa-Kurs äußerte im Deutschlandfunk der FDP-Vorsitzende Westerwelle: Die Vorstellung, dass die Regierung nächtlichen Verhandlungsergebnissen in Brüssel erst nach Genehmigung durch den Bundestag zustimmen dürfe, sei «verrückt, illusionär und völlig unpraktikabel». Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) verglich Seehofer mit dem Chef der Linkspartei, Oskar Lafontaine. «Beide sind gegen die EU, beide geben haltlose Versprechen ab», sagte er dem «Hamburger Abendblatt».