Schutzwall gegen Schuldenkrise

Brüssel/Berlin (dpa) - Ein radikaler Schuldenschnitt für Griechenland und ein gigantisches Hilfspaket für Krisenländer sollen den Euro vor dem Scheitern bewahren.

Die 17 Staats- und Regierungschefs der Euroländer beschlossen in der Nacht zum Donnerstag in Brüssel den 50-prozentigen Schuldenerlass Anfang 2012 zugunsten Athens. Wegen der unsicheren Lage anderer Sorgenkinder wie Italien wird zudem die Schlagkraft des Rettungsfonds EFSF auf eine Billion Euro vervielfacht.

Politiker reagierten überwiegend erleichtert auf den Gipfel-Durchbruch in der Nacht. Die Märkte zeigten sich beeindruckt und reagierten weltweit mit kräftigen Kursgewinnen. Bankaktien erlebten ein Kursfeuerwerk.

Der Schutzwall gegen die gefährliche Krise umfasst auch ein neues 100-Milliarden-Euro-Paket für Griechenland. Dazu kommen die Rekapitalisierung von Banken und ein Sparprogramm in Italien. Details zu den Beschlüssen müssen in den kommenden Wochen von den EU-Finanzministern ausgearbeitet werden.

Private Gläubiger wie Banken und Versicherer verzichten nun auf die Hälfte ihrer Forderungen gegenüber Griechenland. Bislang sollten es nur 21 Prozent sein. Anfang 2012 werden dafür alte gegen neue griechische Anleihen getauscht. Einen weiteren Schuldenerlass etwa für Länder wie Portugal oder Irland schloss der Gipfel aus.

Führende Banken des Kontinents müssen sich wegen des Schuldenschnitts und strengerer Kapitalanforderungen vom Sommer 2012 an laut Europäischer Bankenaufsicht (EBA) gut 106 Milliarden Euro besorgen. Das meiste Geld benötigen Banken aus Griechenland und Spanien. Deutsche Banken brauchen frisches Kernkapital von rund 5,2 Milliarden Euro. Damit die systemrelevanten Banken besser gegen Krisen gewappnet sind, müssen sie ihre harte Kernkapitalquote bis zum 30. Juni 2012 auf neun Prozent anheben.

Trotzdem verzichten die Banken auf neue Staatshilfe. So brachte die Commerzbank den Verkauf von Finanz-Anlagen oder Geschäftsfeldern ins Spiel. Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann zeigte sich «sehr zufrieden» über die Beschlüsse.

Die Euro-Staaten sichern den Schuldenschnitt mit Garantien in Höhe von 30 Milliarden Euro ab. Die Verschuldung Griechenlands soll bis 2020 auf gerade noch tragfähige 120 Prozent der Wirtschaftsleistung gesenkt werden. Für 2012 werden 170 Prozent vorhergesagt. Nach den Regeln der Währungsunion sind nur 60 Prozent erlaubt. Das neue 100- Milliarden-Programm ersetzt die 109-Milliarden-Hilfszusage vom Juli.

Italien versprach, seine hohe Staatsverschuldung zu vermindern. EU-Gipfelchef Herman Van Rompuy sagte, das Rentenalter solle bis 2026 auf 67 angehoben werden. Bis 2014 soll der Schuldenstand auf 113 Prozent der Wirtschaftsleistung sinken. Brüssel fürchtet, dass Italien von der Schuldenkrise «angesteckt» werden könnte.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte nach zehnstündigen Beratungen in Brüssel: «Wir haben heute Nacht gezeigt, dass wir die richtigen Schlüsse aus der Krise ziehen.» Es gebe nicht den einen Paukenschlag - aber «ein wichtiges Paket auf dem Weg zu mehr Stabilität und zu einer Stabilitätsunion».

Der griechische Premierminister Giorgos Papandreou sagte: «Ich glaube, wir können sagen, dass für Griechenland eine neue Ära begonnen hat.» Frankreichs Staatschef Nicolas Sarkozy nannte die Beschlüsse historisch.

Die Euro-Gipfelrunde hatte mit Vertretern der Banken hart um deren Forderungsverzicht verhandelt. Die Regierungen hätten «ein einziges Angebot» als «letztes Wort» vorgelegt, sagte Merkel, die zusammen mit Sarkozy die Verhandlungen in teils kleiner Runde führte.

Die Vermehrung der EFSF-Mittel auf bis zu eine Billion Euro funktioniert mit einem sogenannten Hebel. Derzeit kann der Fonds 440 Milliarden Euro Kredite vergeben. Nun übernimmt der EFSF wie eine Teilkaskoversicherung einen Teil des Risikos eines Zahlungsausfalls für Schuldtitel gefährdeter Euro-Staaten.

Allerdings erhöht dies auch das Verlustrisiko. Bundesbankpräsident Jens Weidmann sieht die neuen Instrumente deshalb nach eigenen Worten «mit Sorge». Der Garantierahmen Deutschlands von 211 Milliarden Euro soll unverändert bleiben.

Zudem soll ein neuer Sondertopf geschaffen werden, an dem sich der Internationale Währungsfonds IWF beteiligt. Dieser Fonds investiert in Anleihen, die der EFSF teils absichert. Auch Staatsfonds aus China könnten mitmachen. Bis November wollen Vertreter der Euro-Gruppe und der EFSF mit privaten und öffentlichen Geldgebern weltweit das Interesse an zusätzlichen Staatsanleihen aus Euro-Ländern ausloten.

Nach dem Gipfel war die Erleichterung an den Börsen gewaltig. Die Aktien von Banken schossen in die Höhe - vor allem die Titel französischer, deutscher und selbst amerikanischer Institute. Der Dax stieg in der Spitze um fast 5,5 Prozent auf 6346 Punkte; so hoch war das Börsenbarometer seit Anfang August nicht mehr. Der Index für die europäischen Börsenschwergewichte, der Euro Stoxx 50, kletterte ebenfalls um mehr als fünf Prozent. Der Euro sprang erstmals seit Anfang September wieder über die Marke von 1,41 Dollar.

Nach den Worten des französischen Finanzministers François Baroin rettete das Krisentreffen den Euro vor dem Scheitern. Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) mahnte nun Änderungen der EU-Verträge an, um eine Stabilitätsunion zu etablieren. Auch der Bundesverband deutscher Banken sprach von einem ersten Schritt «zur Schaffung der notwendigen politischen Entscheidungsstrukturen in der Währungsunion». Auch SPD und Grüne lobten die Beschlüsse, meinten aber, man hätte sie schon früher haben können.

EU / Finanzen / Gipfel
27.10.2011 · 22:48 Uhr
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