Nothilfen für Euro-Krisenländer - und Kritik an Merkel

Brüssel (dpa) - Hoffnungsschimmer für Euro-Wackelkandidaten: Mit massivem Druck haben Italien und Spanien auf dem EU-Krisengipfel Nothilfen gegen dramatisch steigende Zinsen für frisches Geld durchgesetzt.

Nach einem 13 Stunden langen Nervenkrieg lenkte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Freitag in Brüssel ein und kam den Euro-Sorgenkindern entgegen. Einige Partner-Länder seien in einer «sehr komplizierten Situation», da sie hohe Zinsen für ihre Anleihen zahlen müssten, verteidigte Merkel den Beschluss gegen Kritik aus der Heimat.

Der Gipfel beschloss, dass Krisenländer künftig leichter auf den Euro-Rettungsfonds zugreifen können - und dabei weniger Auflagen erfüllen müssen. Der Rettungsfonds ESM soll zudem Banken aus hochverschuldeten Ländern unter bestimmten Bedingungen direkt Hilfen gewähren können. Damit werden dann auch deren Staatshaushalte entlastet. Alle 27 EU-Staaten einigten sich auf ein Wachstumspaket von 120 Milliarden Euro, um die lahmende Wirtschaft anzukurbeln. Fast die Hälfte davon kommt aus dem EU-Haushalt.

Die Einigung gelang nach einer turbulenten Nachtsitzung. Die unter Druck der Finanzmärkte stehenden Länder Spanien und Italien pokerten hoch. Die Kanzlerin kam ihren Widersachern, Italiens Premier Mario Monti und Spaniens Ministerpräsident Mariano Rajoy, entgegen. In einem anderen Punkt blieb Merkel hart: Nach ihrem klaren Nein tauchen gemeinsame Anleihen (Eurobonds) nicht im Kommuniqué des Gipfels auf. Die Bundeskanzlerin verteidigte die Beschlüsse: «Wir sind unserer Philosophie, keine Leistung ohne Gegenleistung, treu geblieben». Frankreichs Staatspräsident François Hollande sieht Eurobonds dagegen weiter als Perspektive.

Eurogruppenchef Jean-Claude Juncker zeigte sich mit dem Gipfelergebnis zufrieden. «Es geht hier nicht um erpressen, es geht nicht um Sieger, Besiegte, Gewinner, Verlierer, wir bemühen uns hier gemeinsam.» Bundeskanzlerin Merkel zog ebenfalls eine positive Bilanz: «Es war ein intensiver Rat, der eine Menge entschieden hat.»

Die Beschlüsse des Brüsseler Spitzentreffens zur Bankenhilfe sind in der Berliner Koalition heftig umstritten. Auf die Frage, ob die direkte Finanzhilfe aus dem Euro-Rettungsschirm ESM an marode Banken betroffener Staaten mit den Entwürfen für den Bundestag gedeckt sei, sagte Merkel: «Ja, 100 Prozent.» Sie versicherte erneut, dass jede Veränderung im ESM vom Bundestag abgesegnet werden muss.

In Berlin standen am Abend Abstimmungen im Bundestag und Bundesrat zum Krisenfonds ESM und Fiskalpakt an. Bei beiden Abstimmungen wird eine Zweidrittelmehrheit angestrebt - deshalb musste die Opposition eingebunden werden.

Die «Chefs» einigten sich auch darauf, langfristig die Euro-Währungsunion zu vertiefen. Bis Jahresende soll es einen konkreten Fahrplan geben, schon im Oktober will EU-Gipfelchef Herman Van Rompuy eine erste Bilanz vorlegen. «Das ist ein wichtiger Durchbruch», sagte der Belgier.

Angesichts der zugespitzten Eurokrise wird ein Reformprojekt unter Hochdruck vorangetrieben: Die europäische Bankenaufsicht. Sie solle bei der Europäischen Zentralbank (EZB) angesiedelt werden, die dadurch an Macht gewinnt. Merkel sprach von einer «Superaufsichtsbehörde» für Europas Banken. EZB-Chef Mario Draghi sagte, die EZB werden «Aufgaben bei dieser Aufsicht übernehmen».

Zu der langfristigen Reform der Währungsunion gehört auch eine sogenannte Fiskalunion, bei der Mitglieder Souveränitätsrechte bei den Haushalten teilweise aufgeben müssen, um eine zentrale Kontrolle bei der EU zuzulassen. In Deutschland waren Van Rompuys Vorschläge teilweise scharf kritisiert worden.

Laut Gipfelerklärung einigten sich die Regierungschefs auch darauf, zur Soforthilfe an Länder wie Italien oder Spanien die bestehenden Instrumente der Hilfsfonds EFSF und ESM flexibel zu nutzen. Dabei geht es vor allem um den Kauf von Staatsanleihen. «Wir bekräftigen, dass es von ausschlaggebender Bedeutung ist, den Teufelskreis zwischen Banken und Staatsanleihen zu durchbrechen,» heißt es in der Erklärung.

Länder mit guter Haushaltsführung können vom Sommer an - ohne zusätzliche Sparprogramme - Unterstützung aus den Rettungsschirmen EFSF und ESM erhalten, um die Finanzmärkte zu beruhigen. Sie müssen dafür lediglich den Haushaltsempfehlungen der EU-Kommission folgen. Details sollen die Euro-Finanzminister am 9. Juli festlegen.

Der Krisenfonds ESM soll Banken künftig direkt unterstützen dürfen. Bislang war das laut ESM-Vertrag nicht möglich, sondern das Geld sollte an die Regierung des jeweiligen Landes überwiesen werden. Das würde die Schulden der Staaten erhöhen, weswegen Italien und Spanien dagegen protestiert hatten.

Frankreichs Staatspräsident Hollande erwartet die Einführung einer Finanzsteuer noch im laufenden Jahr. Nachdem eine Lösung im Kreis aller 27 EU-Staaten gescheitert war, gehen nun mindestens neun Länder in einer kleinen Gruppe voran, darunter Deutschland, Frankreich und Österreich.

Der Gipfel beschloss zudem, dass das Europäische Patentgericht seinen Hauptsitz in Paris bekommt. Nebenstellen werden in München und London angesiedelt. Die Stelle in London wird sich mit Verwaltungssachen befassen, die Rechtsprechung wird nach Themengebieten zwischen den drei Standorten aufgeteilt, erklärten EU-Diplomaten.

EU / Finanzen / Gipfel
29.06.2012 · 17:16 Uhr
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