Need for Speed Heat im Test – Zurück in der Spur?
Die „Need for Speed“-Reihe existiert bereits seit 1994 und begeistert sowohl Fans als auch Kritiker weltweit mal mehr mal weniger mit rasanter Renn-Action. Bekannt ist die Serie vor allem für ihre spannenden Verfolgungsjagden durch die Polizei und den vielen Lizenzen an real existierenden Serienwagen sowie Konzeptfahrzeugen. Unvergessen brannte sich „Need for Speed Underground“ (2003) und sein Nachfolger „Need for Speed Underground 2“ (2004) in die Köpfe der Fans ein, weil diese Titel den Geist der damaligen Renn-Szene perfekt einfingen. Neben den unzähligen kosmetischen Individualisierungen der Fahrzeuge wurde auch der Soundtrack gefeiert wie in keinem anderen Serienableger. Auch in meiner Erinnerung bleibt „Need for Speed Underground“ unvergessen und mir schießen direkt unzählige Momente vor das geistige Auge sobald ich irgendwo den Song „Get Low“ von Lil Jon & The Eastside Boyz höre.
Obwohl die darauffolgenden Ableger nicht allesamt schlecht waren, konnte keiner so richtig an den Erfolg von „Underground“ anschließen. So geriet die einst gefeierte Rennserie ins straucheln und selbst mit der Neuauflage „NFS Hot Pursuit“ von 2010, die dank Besinnung auf die Wurzeln der Serie durchweg positive Resonanz erhielt, konnte die Serie nicht wirklich als gerettet bezeichnet werden. Daraufhin folgten Experimente, die weniger gut ankamen. Mit dem neusten Ableger „Need for Speed Heat“ versuchen die Entwickler von Ghost Games der Serie neues Leben einzuhauchen und den aktuellen Arcade-Racern auf den Markt deftig Konkurrenz machen. Ob es der neuste Teil aufs Rennspiel-Treppchen geschafft hat oder doch auf der Zielgeraden falsch abgebogen ist, verrate ich euch in meinem ausführlichen Test.
Von einem Klischee zum nächsten
In „Need for Speed Heat“ schlüpft ihr in die Rolle eines Newcomers, der sich in der Rennszene einen Namen machen will. Dass dieser für die Story völlig nebensächlich ist, demonstriert man mit der inkonsequenten Charakterwahl. Aus insgesamt 12 Charakteren dürfen wir uns für einen weiblichen oder männlichen Fahrer entscheiden. Zwar sind alle vertont, doch die Tatsache, dass wir diesen Charakter jederzeit kommentarlos auswechseln können, sorgt für einen gleichgültigen Beigeschmack.
Gleichgültig scheinen auch die Autoren bei der Geschichte ans Werk gegangen zu sein, da diese absolut austauschbar ist. Ein Klischee jagt das andere. Von Möchtegern Gangstern bis zu den korrupten Cops ist alles dabei. Es wirkt als würden die Macher versuchen die Fast & Furious-Reihe zu kopieren, ohne dabei originell zu sein. Was jetzt vielleicht dramatisch klingt, war mir persönlich völlig egal. Eine spannende und gut erzählte Geschichte wäre eine nette Dreingabe gewesen, aber sollte kein Ausschlusskriterium für ein Rennspiel sein. Viel mehr zählt was auf der Straße passiert und in Palm City passiert so einiges.
Arcade durch und durch
An der bekannten „Need for Speed“-Formel ändert auch das neue „Heat“ nichts. Serien-Veteranen werden sich sofort wohl fühlen. Es ist und bleibt ein typischer Arcade-Racer, wobei die Entwickler von Ghost Games sich einige Feinheiten im Gameplay erlaubt haben, die das Spielerlebnis etwas kniffliger machen. Wer früher gerne Banden ausnutzte, um die anderen Fahrer zu überholen oder einfach nur um nicht abbremsen zu müssen und dennoch die Kurve ideal nehmen zu können, wird dies in „Heat“ nicht mehr machen können. Jetzt muss man gezielte Drifts mit der Handbremse einleiten, um perfekt in die Kurven zu kommen und den Gegnern davon zu fahren. Wer stupide auf dem Gaspedal bleibt, wird schnell abgehängt.
Anfangs fühlen sich die Fahrzeuge noch recht träge an, dies ändert sich aber schnell mit den ersten Verbesserungen am Motor oder Getriebe. Das optimale Handling erreicht ihr somit im weiteren Spielverlauf, beinahe automatisch. Dennoch spielt auch eurer Lernfortschritt eine große Rolle, besonders wie ihr in die Kurven geht. Besonders schön hat mir gefallen, dass endlich mal keine Gummiband-KI zur Anwendung kommt, wie in anderen Arcade-Racern der letzten Jahre. Zwar kommt es teilweise zu eintönigen Rennen an der Spitze, besonders wenn eurer Fahrzeug bei weitem die empfohlene Fahrzeugstärke übersteigt, aber dadurch wirkt es glaubhafter. Zudem kann man sich für einen von drei Schwierigkeitsstufen entscheiden, sodass „Heat“ auf der Stufe Normal nie zu schwer oder zu leicht ausfiel.
Dennoch wirkt die KI der Gegner nicht optimal ausbalanciert. Die Gegner fahren stets die Ideallinie und machen keine Fehler, selbst in den illegalen Nacht-Rennen fahren diese brav an euch vorbei. Es entsteht kein Gerangel oder Gedränge und aggressives Fehlverhalten wird man nur in Online-Rennen sehen. Das verschenkt man viel Potenzial zumindest die illegalen Rennen spannender zu gestalten.
Darüber hinaus wird einem viel zu wenig Rennvarianten geboten. Insgesamt bekommt ihr nur drei unterschiedliche Varianten geboten. Neben den ganz normalen Rennen in der City und im Umland erwarten euch auch Offroad-Rennen mit matschigem Gelände und Drift-Rennen, wo es darum geht so viele Punkte wie möglich durch Drifts zu erzielen. Für eine ungefähr 20 stündige Kampagne ist das viel zu wenig, wodurch das Gefühl immer wieder dieselben Strecken sowie Rennen zu absolvieren nur noch verstärkt wird.
Des Nachts ist es so, bei Tage ganz anders
Die Kampagne von „Need for Speed Heat“ ist in die beiden Tageszeiten Tag und Nacht aufgeteilt. Während wir Tagsüber an offiziellen Rennen teilnehmen, um Geldprämien zu erhalten, müssen wir uns in der Nacht illegalen Straßen-Rennen stellen, um uns einen Namen zu machen. Nur durch die Reputation in Palm City schalten wir neue leistungsstärkere Komponenten für Motoren oder Getriebe sowie neue Fahrzeuge frei. Das heißt aber nicht, dass wir nachts kein Geld verdienen.
Für den größten spielerischen Unterschied sorgt jedoch die Polizei. Kneift diese Tagsüber bei den Meisten Delikten noch beide Augen zu, verfolgen euch die Hüter des Gesetzes in der Nacht bereits bei Blickkontakt. Da unsere gesammelte Reputation während einer Nacht nur dann abgespeichert wird, sobald wir eine Garage aufsuchen, sorgen die Nächte für einen zusätzlichen Adrenalin-Kick. Sollten euch die Cops schnappen, sind die Reputationspunkte futsch und ein Teil eures Geld wird ebenfalls einbehalten.
Der Wechsel von Tag und Nacht gestaltet sich sehr motivierend, da man fast nach jedem Rennen genug Kohle auf der Tasche hat, um seinen Rennwagen aufzubessern oder komplett neue Fahrzeuge freigeschaltet. Insgesamt bietet man dem Spieler 127 lizensierte Fahrzeuge. Diese lassen sich in einem umfangreichen Editor individuell aufmotzen. Neben den ganzen leistungssteigernden Komponenten lässt sich beinahe alles an den Fahrzeugen individuell anpassen. Dieser fällt so umfangreich aus, wie seit langem nicht mehr. Das macht einfach Spaß jedes kleine Detail am Fahrzeug zu Tunen. Wem kein besonderer Stil einfällt oder wer mit wenig Aufwand an ein cooles Design rankommen möchte, der kann sich zudem auch an den Designs anderer Spieler bedienen, die ihre Kreationen Online präsentieren. Per Knopfdruck wird das gewünschte Design dann schnell aufs eigene Fahrzeug kopiert.
Schade nur, dass der Wechsel zwischen Tag und Nacht nicht dynamisch abläuft, sondern per Knopfdruck ausgelöst werden muss. Auf diese Weise geht viel Atmosphäre verloren. Auch auf grafischer Ebene erreicht der neue Teil nicht mal annähernd das Siegertreppchen. Zwar sieht das Spiel nicht direkt schlecht aus, aber den gesetzten Standard von „Forza Horizon 4“, dem Arcade-Racer King, kann „Heat“ nicht das Wasser reichen. Dennoch macht die Nacht visuell einiges her und zaubert wunderschön grelle Neonfarben auf den Bildschirm. Passend zum Stil leuchten auch die Rennstreckengrenzen in blau-lila Neonfarben auf, um euch eine kleine Orientierungshilfe zu bieten. Meistens peitscht uns zusätzlich ein starker Regen um die Ohren, der viel zur Atmosphäre beiträgt. Auch der großartige Soundtrack-Mix aus Dance sowie Latin Songs sorgt für die passende Stimmung.
Spannende Open World?
Palm City als Spielwelt hat viel zu wenig Abwechslung zu bieten. Teilweise hatte ich das Gefühl immer wieder die gleichen Rennstrecken abzufahren. Viel zu austauschbar wirken der Stadtbezirk sowie die kargen Wald- und Bergregionen. Die Fahrten vom Event zu Event strecken nur unnötig die Spieldauer. Zwar haben die Entwickler von Ghost Games versucht die Open World mit interessanten wie motivierenden Aufgaben zu füllen, doch irgendwie konnten die mich weniger begeistern. Dabei zählt das suchen und finden von neuen Decals (Sticker für die Fahrzeuge) noch zu den spannendsten Sammelaufgaben. Einige Spieler werden sogar nicht drum herum kommen einige oder sogar alle Open World Aufgaben zu meistern, da die Entwickler euch mit speziellen Fahrzeugen locken.
So erhaltet ihr den Porsche Cayman GT4 wenn ihr alle 100 Flamingostatuen umfahrt, den Nissan GT-R Nismo gibt es nur, wenn ihr durch alle 85 Plakatwände springt und den Nissan 370Z Nismo wenn ihr alle 130 Graffitis findet. Neben diesen Sammelaufgaben winken zusätzliche optionale Herausforderungen wie Radarfallen und Drift-Challenges, aber wirklich unterhaltsam ist keine der Aufgaben. Solche Spielmechaniken sollten meiner Meinung nach der Vergangenheit angehören. Sie strecken die Spielzeit nur unnötig und machen so viel Spaß wie eine Wurzelbehandlung beim Zahnarzt.
Zudem existiert beinahe kein Schadensmodell. Mit dem Fahrzeug lassen sich ohne weiteres Zäune, kleinere Steinmauern, Laternen und Bäume umfahren ohne dabei an Geschwindigkeit zu verlieren. Dadurch wirken die Rennboliden eher wie kleine Panzer als Flitzer. Das höchste der Gefühle sind leichte Kratzer und eine zerbeulte Motorhaube. Theoretisch kann eurer Fahrzeug auch einen Komplettschaden haben, doch um das zu erreichen müsst ihr schon gezielt darauf hinarbeiten.
Fazit
Alles in allem ist „Need for Speed Heat“ ein solider Arcade-Racer geworden, der aber weit hinter der Qualität eines „Forza Horizon 4“ bleibt. Die Optik ist hübsch, wird euch aber keine Wow-Momente entlocken können, das Fahrgefühl fühlt sich durchweg positiv an. Vor allem die notwendig gewordenen Drift-Manöver in den Rennen sorgen für den nötigen Kniff. Trotz generischer Open World samt nerviger Sammelobjekten sowie uninspirierten optionalen Herausforderungen bleibt der Titel durchgehend motivierend, dank dem unterschiedlich bewerteten Fortschrittssystems bei Tag und Nacht. Das Tuning ist definitiv das Herzstück von „Heat“ und bietet dank unzähliger Anpassungsmöglichkeiten jedem Spieler die Möglichkeit sich individuell mit seinem Lieblingsfahrzeug zu entfalten.