Londoner Krawalle wie ein Flächenbrand

London (dpa) - Die Gewalt nimmt kein Ende: Die Londoner Krawalle haben ein erstes Menschenleben gekostet und breiten sich auch auf andere englische Städte aus.

Nach drei Nächten mit Plünderungen, Straßenschlachten und Bränden soll jetzt ein massives Aufgebot von 16 000 Polizisten auf den Straßen der Hauptstadt für Ruhe und Sicherheit sorgen. Der aus dem Italien-Urlaub zurückgeeilte Premierminister David Cameron berief für Donnerstag eine außerplanmäßige Sitzung des Parlaments ein und drohte zugleich den Randalierern mit harter Hand.

Während es in London bis zum Abend verhältnismäßig ruhig blieb, brannte in der Innenstadt von Manchester ein Modehaus. Hunderte Randalierer waren zuvor durch die Stadt gerannt, vereinzelt gab es Plünderungen. Auch aus Städten wie Wolverhampton oder West Bromwich bei Birmingham wurden Krawalle gemeldet.

«Wer alt genug ist, Straftaten zu begehen, ist auch alt genug, um bestraft zu werden», sagte Regierungschef Cameron. Bis zum Nachmittag waren weit mehr als 500 Randalierer festgenommen worden. Die Arrestzellen im Stadtgebiet waren schon überfüllt. «Wir werden alles tun, um die Ordnung wieder herzustellen», versprach Cameron, der auch alle Polizisten aus dem Urlaub zurückrief. Im Vergleich zum Montag verdreifachte sich fast die Zahl der Einsatzkräfte auf der Straße. 111 Polizisten wurden in den ersten drei Krawallnächten verletzt, einige von ihnen schwer. Sie erlitten Knochenbrüche und Augenverletzungen. Auch fünf Polizeihunde wurden verwundet.

Mit zahlreichen brennenden Wohnhäusern, Lagerhallen und Geschäften sowie hunderten zerbrochener Schaufensterscheiben war die Nacht zum Dienstag die bisher schwerste Krawallnacht. Es gab Berichte über Gewalt, Brände und Plünderungen aus acht Stadtvierteln der Millionen-Metropole: von Ealing im Westen bis Hackney im Osten, von Croydon im Süden bis Camden im Norden. Ein 26-jähriger Mann erlag im Krankenhaus seinen Schussverletzungen, nachdem Beamte ihn am Montag im Londoner Stadtteil Croydon schwer verletzt aus einem Auto gezogen hatten.

Die britischen Zeitungen titelten mit einem Bild, auf dem eine Frau aus dem Obergeschoss eines brennenden Gebäudes in die Arme von Rettern springt. Augenzeugen bedachten die Bilder immer wieder mit Vergleichen wie «Kriegsgebiet» und «Bürgerkrieg». So etwas habe London seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr erlebt, kommentierte eine BBC-Reporterin.

Die Krawalle waren am Samstag im nördlichen Londoner Stadtteil Tottenham ausgebrochen und hatten sich in den vergangenen Tagen immer weiter ausgebreitet. In der Nacht zu Dienstag gab es erstmals auch Ausschreitungen in Liverpool, Birmingham und Bristol. Auslöser war der Tod eines 29 Jahre alten, dunkelhäutigen Familienvaters, der von der Polizei erschossen worden war. Ballistische Untersuchungen ergaben, dass jener Mark Duggan selbst nicht auf die Polizisten geschossen hatte. Das hatte Scotland Yard aber zuvor behauptet.

Die Polizei war mit der Randale in der Nacht zum Dienstag völlig überfordert. Scotland Yard beschrieb die Gewalt als die «Schlimmste in der jüngeren Geschichte». Das Sicherheitskabinett entschied sich trotz zahlreicher anderslautender Aufrufe aus Polizei und Militär aber dafür, die Polizeitaktik nicht zu ändern und weitgehend passiv zu bleiben. Armee und Wasserwerfer sollen nicht zum Einsatz kommen. Allerdings erwägt die Polizei inzwischen den Einsatz von Gummigeschossen.

«Steht nicht bloß herum!», hatte der «Daily Telegraph» zuvor über einem Bild von Polizisten geschrieben, die vor einem brennenden Haus stehen. «Das ist nicht die Art, wie wir in Großbritannien Polizeiarbeit machen», konterte Innenministerin Theresa May. Die Beamten hatten vor allem Probleme mit den Jugendlichen, weil sie sich als «kleine und mobile» Gruppen über Internet und Smartphones organisierten und schnell von einem Ort zum nächsten weiterzogen.

Cameron sagte, es sei noch mit deutlich mehr Festnahmen zu rechnen. Scotland Yard veröffentlichte im Internet eine Liste mit Fotos von Tatverdächtigen. Die Polizei erhofft sich Hinweise aus der Bevölkerung. Am Nachmittag traf sich Cameron mit Polizisten und Feuerwehrleuten im schwer betroffenen Stadtteil Croydon.

Bei der Ursachenforschung tappt die Politik noch völlig im Dunkeln. Der Leiter des Londoner Zentrums für Soziale Gerechtigkeit, Gavin Poole, machte die Lebensumstände einer ganzen Generation vernachlässigter Jugendlicher für den Ausbruch der Gewalt verantwortlich: «Sie glauben, dass sie nichts zu verlieren haben und niemandem Rechenschaft schuldig sind.»

Polizeioffizier Stephen Kavanagh erklärte, das Profil der Krawallmacher habe sich seit Beginn der Ausschreitungen am Wochenende geändert. Während in den ersten beiden Nächten vor allem 14- bis 17-Jährige beteiligt gewesen seien, hätten in der Nacht zum Dienstag Gruppen älterer Randalierer mit Autos die Plünderungen organisiert.

In London bereiten sich die Bürger unterdessen auf eine erneute Nacht mit Krawallen vor. In zahlreichen Teilen der Stadt schlossen Einkaufszentren und Läden vorzeitig. Als vorbeugende Maßnahme wurden außerdem mehrere Fußballspiele verschoben. Der englische Fußball-Verband (FA) sagte das für Mittwoch geplante Freundschaftsspiel der Engländer gegen die Niederlande ab. In der Nacht waren bereits zwei für Dienstag geplante Spiele des englischen Ligapokals verschoben worden.

Gesellschaft / Proteste / Großbritannien
09.08.2011 · 21:16 Uhr
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