Lloyd’s sieht enormes Risiko für Stromnetze und Satelliten
Warnung aus der Forschung: Plasmawolke möglich
Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) registriert derzeit eine ungewöhnlich hohe Aktivität auf der Sonne. Mehrere extrem große Sonnenflecken sind aufgetaucht – ein Hinweis darauf, dass sich in den kommenden Tagen eine massive Eruption lösen könnte. Eine solche Eruption würde geladene Materie ins All schleudern, die bei direktem Treffer das Erdmagnetfeld empfindlich stören könnte.
„Grundsätzlich ist aktuell genug Energie da, dass es zu einer schweren Eruption kommen könnte“, sagt DLR-Wissenschaftler Florian Günzkofer. „Ob sie sich wirklich ereignet, kann man nicht vorhersagen.“ Die Unsicherheit ist Teil des Problems. Selbst modernste Modelle können lediglich Wahrscheinlichkeiten, nicht konkrete Ereignisse prognostizieren.
Was ein Sonnensturm anrichten kann
Trifft eine Plasmawolke die Erde, kann sie Stromnetze, GPS-Systeme, Kommunikationsinfrastruktur, Luftfahrttechnik, Navigationssysteme und Satelliten empfindlich stören. Die Auswirkungen reichen von Flugzeugumleitungen bis zu großflächigen Stromausfällen. Anders als lokale Naturkatastrophen ist ein Sonnensturm jedoch weltweit wirksam – ein „globaler Kumulschaden“ im Fachjargon der Versicherungsbranche.
Versicherer fürchten solche Ereignisse besonders, weil ein einziger Auslöser gleichzeitig Millionen individuelle Verträge betreffen kann. Das widerspricht dem Grundprinzip der Risikostreuung – und macht einen schweren Sonnensturm zu einem Albtraum für Aktuare.
Lloyd’s-Modellrechnung: Verlustpotential von bis zu 9,1 Billionen Dollar
Der Marktführer Lloyd’s hat den Ernstfall bereits durchgespielt: In einem Szenario-Bericht vom Frühjahr warnten die Experten, dass ein schwerer Sonnensturm weltweit Schäden von bis zu 9,1 Billionen Dollar verursachen könnte – abhängig von Stärke und Dauer. Selbst das mildeste Szenario lag bei 1,2 Billionen Dollar.
Im Durchschnitt rechnet Lloyd’s dabei mit einem erwarteten Einzelschaden von 17 Milliarden Dollar. Noch gefährlicher ist jedoch die volkswirtschaftliche Kettenreaktion: ein potenzieller Rückgang des globalen BIP um bis zu 1,4 Prozent. Welche Summen Versicherer davon abfedern könnten, ist unklar – vieles wäre schlicht nicht gedeckt.
Der „Muttertagssturm“ 2024 war nur ein Vorgeschmack
Dass Sonnenstürme reale Schäden anrichten, zeigte 2024 ein vergleichsweise harmloses Ereignis: der sogenannte Muttertagssturm. Damals beschädigten GPS-Störungen landwirtschaftliche Maschinen in den USA und führten zu Ernteschäden im dreistelligen Millionenbereich. Das zeigt, wie stark digitalisierte Sektoren inzwischen abhängen von störungsfreien Positionsdaten.
Ein schwerer Sturm würde solche Effekte um Größenordnungen vervielfachen.
Außergewöhnliche Warnstufe: Flecken wie 1859
Die nun beobachteten Sonnenflecken alarmieren selbst erfahrene Forscher. Ihre Größe erinnert an die Strukturen des Carrington-Ereignisses von 1859 – dem stärksten bekannten Sonnensturm der Geschichte. Damals brannten Telegrafenleitungen durch, Polarlichter waren bis Rom sichtbar, und Stromnetze galten noch nicht als kritische Infrastruktur.
Heute wäre ein Ereignis dieser Größenordnung kaum beherrschbar. Günzkofer sagt: „Ein Ereignis in der Stärke des Carrington-Events wäre wirklich ein Ausnahme-Event. Wenn so etwas eintreffen sollte, müsste man mit ernst zu nehmenden Schäden rechnen.“
Verletzliche Netze, verletzliche Systeme
Besonders gefährdet sind:
• Stromnetze (Transformatoren, Leitungsnetze, Frequenzstabilität)
• Kommunikationssysteme (Funk, Mobilfunk, Satellitennetze)
• GPS- und Navigationssysteme
• Flugverkehr und maritime Systeme
• Finanzinfrastruktur (zeitkritische Datenströme, Börsenhandel)
• Landwirtschaft (autonome und GPS-basierte Maschinen)
Ein großflächiger Satellitenausfall würde zudem den globalen Logistikverkehr, Finanzhandel und sogar das Notfallmanagement empfindlich treffen. Die moderne Welt ist vernetzter als je zuvor – und damit empfindlicher gegenüber kosmischen Ereignissen, die in der Vergangenheit belanglos schienen.
Versicherer halten sich bedeckt
Wie gut Rückversicherer wie Munich Re und Swiss Re auf ein solches „Jahrhundertweltraumwetter“ vorbereitet sind, wollte auf Anfrage niemand sagen. Das überrascht wenig: Ein massiver Sonnensturm wäre eines der wenigen Ereignisse, das selbst global diversifizierte Rückversicherungspools an ihre Grenzen bringen könnte.
Zwar existieren Policen für Bereiche wie Energie, Transport, Luftfahrt und Landwirtschaft. Doch echte Systemrisiken – Ausfälle ganzer Stromregionen, Satellitencluster, Kommunikationsnetze – lassen sich kaum vollständig versichern.
Wie wahrscheinlich ist der Ernstfall?
So dramatisch die Warnungen klingen: Eine konkrete Eintrittswahrscheinlichkeit lässt sich laut DLR derzeit nicht seriös benennen. „Da es aus den Sonnenflecken, die jetzt zu sehen sind, noch nicht zu einer Eruption gekommen ist, können wir noch nicht absehen, ob überhaupt etwas passiert“, sagt Günzkofer.
Sicher ist nur eines: Die Sonne befindet sich in einer Hochphase ihrer Aktivität. Und das Zeitfenster für extreme Ereignisse bleibt bis 2026 weit geöffnet.


