Kürzertreten ohne Karriereknick? So gelingt der sanfte Ausstieg aus der Führungsrolle
Raus aus der Chefetage und doch bleiben?
Maria Schulze kennt das Hamsterrad der Führungsrolle nur zu gut. Bis 2019 war sie als Marketing- und PR-Leiterin eines großen Unternehmens tätig, doch sie entschied sich, eine neue Richtung einzuschlagen: Raus aus dem Dauerstress, rein in ein neues Lebensmodell.
Mit ihrem Schritt zum „Downshifting“ – dem bewussten Verzicht auf Führungsverantwortung – hat sie eine Entscheidung getroffen, die viele zwar träumen, aber nur wenige umsetzen.
„Die Gesundheit und das Leben haben sich anders angefühlt,“ erzählt Schulze, die heute als freiberufliche Beraterin arbeitet. Downshifting bedeutet nicht den kompletten Ausstieg, sondern eine Neuausrichtung, bei der berufliche Ziele und persönliche Prioritäten im Vordergrund stehen.
Warum kürzertreten kein Karriereknick ist
Die Entscheidung zum Downshifting ist oft ein Prozess, der im Laufe der Jahre gereift ist. Für Schulze war es eine Frage des „Mehrwerts“ – was will ich noch erreichen, und wie? Viele Führungskräfte stellen sich diese Fragen in der Lebensmitte, so der Kölner Karriereberater Lehmann.
„In diesem Alter reflektiert man zunehmend, ob der persönliche Einsatz und die Zeitopfer wirklich dem entsprechen, was man sich wünscht.“
Oft möchten erfahrene Führungskräfte zwar weiterarbeiten, aber den großen administrativen Ballast der Führungsrolle abgeben. Viele wünschen sich zurück zu Themen, die ihnen wirklich am Herzen liegen.
Kein Schritt zurück, sondern eine Neuorientierung
Anders als bei Aussteigern bleibt für Downshifter der berufliche Kontext wichtig. „Aktiv zu bleiben, das gehört für viele Downshifter zur Identität“, sagt Grabowski. Sie führt Interviews mit Menschen, die das Konzept für sich entdeckt haben und oft darauf hinweisen, dass sie weiter produktiv und engagiert sein möchten.
Die Freiheit der Neuorientierung bedeutet für viele nicht das „Weniger“, sondern das „anders arbeiten“, so die Forscherin.
Doch der Schritt bringt Herausforderungen mit sich. Schulze selbst beschreibt, wie schwer es anfangs war, sich an den neu gewonnenen Freiraum zu gewöhnen: „Ohne die ständige Arbeitslast war es schwer, den Tag sinnvoll zu strukturieren.“
Auch der Rechtfertigungsdruck bleibt ein Thema, da ein Teil der Gesellschaft Vollzeitjobs als Norm sieht und Ausstiege als ungewöhnlich wahrnimmt.
Mit klarem Plan den Wechsel gestalten
Downshifting ohne finanziellen Verlust ist möglich – mit der richtigen Vorbereitung. Ein Wechsel von der Führungsrolle zur Expertenfunktion im Unternehmen kann für beide Seiten von Vorteil sein. Arbeitgeber profitieren von der Erfahrung der Führungskraft, während diese sich neu orientieren kann, ohne auf das gewohnte Gehalt verzichten zu müssen.
„Eigeninitiative ist gefragt“, so Coach Lehmann. „Ein klares Gespräch mit dem Arbeitgeber, um die gewünschte Rolle zu definieren, kann den Übergang erleichtern.“
Ein Wechsel in ein anderes Unternehmen ist oft schwieriger. Hier gilt es, Missverständnissen vorzubeugen und im Anschreiben offen zu erklären, dass die Entscheidung nicht aus Überforderung resultiert, sondern aus einem bewussten Wunsch zur Neuausrichtung.
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Warum viele downshiften wollen
Für Grabowski gibt es drei zentrale Motivationen, die Menschen zum Downshifting führen: Die Fürsorge für Angehörige, die Selbstfürsorge zur Vermeidung von Burnout und der Wunsch nach einem sinnvollen, erfüllenden Arbeitsleben. Die Entscheidung, kürzerzutreten, zieht sich durch alle sozialen Schichten und Einkommensgruppen.
Menschen aus akademischen Berufen, die viele berufliche Ressourcen zur Verfügung haben, können den Schritt oft einfacher wagen, doch der Wunsch nach Neuorientierung ist unabhängig vom Status.
Schulze betont, dass sie sich diesen Schritt nur durch eine über Jahre gewachsene finanzielle Absicherung leisten konnte.
„Mir ist bewusst, dass meine Position eine privilegierte ist“, sagt sie. Der Rückzug aus der Chefetage bedeutete nicht das Ende der Karriere, sondern einen neuen Fokus, der für sie langfristig stimmiger ist.
Nach dem Abschied aus ihrer früheren Rolle habe sie Angebote erhalten, die sie heute – in einer anderen Form – wieder aktiv umsetzt.
Downshifting als Chance, nicht als Schlussstrich
Dass Downshifting nicht das Ende bedeutet, zeigt Schulzes heutiger Arbeitsalltag. Sie ist inzwischen Vorsitzende des Aufsichtsrats bei einer Digitalagentur und betreut weitere Projekte, die ihr am Herzen liegen. Statt im operativen Geschäft unter ständiger Anspannung zu agieren, kann sie jetzt langfristig und strategisch denken. Ein neues Gleichgewicht, das sie als erfüllend erlebt.