Krise im britischen Justizsystem: Engpässe, Verzögerungen und der Ruf nach Reformen
Das britische Justizsystem steht vor ernsthaften Herausforderungen, wie aus kürzlich veröffentlichten Zahlen hervorgeht. Anwälte und Richter schlagen Alarm: Jahrzehntelange Unterfinanzierung, verschärft durch die Corona-Pandemie und Streiks der Strafverteidiger, haben das System an den Rand eines Kollapses gebracht.
Von Gerichten bis hin zu schwerwiegenden Fällen wie Vergewaltigung führen Personal- und Finanzierungsengpässe zu massiven Verzögerungen und teilweise sogar zu einer Verweigerung von Gerechtigkeit. Allein die Zahl der anhängigen Krongerichtsfälle ist seit 2019 fast doppelt so hoch.
Richard Atkinson, Präsident der Anwaltskammer, bemerkte trocken, dass die Krise seit Jahren vorhersehbar war, aber successive Regierungen schoben die Verantwortung weiter. Das Krongericht verzeichnete Ende September einen Rückstand von 73.100 Fällen – ein alarmierender Rekord. Justizministerin Sarah Sackman KC äußerte die Befürchtung, dass die Warteliste ohne Gegenmaßnahmen bald 100.000 erreichen könnte.
Hinzu kommen Probleme in unteren Gerichtsebenen. Magistergerichte, die bereits über 90 Prozent der Strafsachen abwickeln, spüren ebenfalls Druck. Aktuell stieg der Rückstau auf über 333.000 Fälle. Auch Sachverständige betonte, dass nur ein ganzheitlicher und nachhaltiger Investitionsansatz die strukturellen Probleme lösen könne.
Besonders beunruhigend sind die Verzögerungen bei schwerwiegenden Straftaten und in Spezialbereichen wie Einwanderung und sonderpädagogischen Rechtsfällen. Während Richter fordern, dass manche Fälle von Kron- zu Magistergerichten verlagert werden, ist unklar, ob dies die Lösung der Krise sein kann, da auch dort erhebliche Rückstände bestehen.
Die durchschnittliche Bearbeitungszeit für Krongerichtsfälle liegt inzwischen bei 709 Tagen – beinahe zwei Jahre. Anwälte warnen davor, dass solch lange Wartezeiten Zeugen und Opfer entfremden könnten, insbesondere bei Vergewaltigungsvorwürfen, deren Rückstau auf ein Rekordhoch von 3.290 Fällen gestiegen ist.
Vor einem systemweiten Reformaufruf steht nun eine unabhängige Überprüfung des Systems an, geleitet vom pensionierten Richter Sir Brian Leveson. Dieser Schritt könnte weitreichende Änderungen in der Zuständigkeit zwischen verschiedenen Gerichtsebenen zur Folge haben – eine Entwicklung, die mit Spannung erwartet wird.