Kassen machen Front gegen Koalitionspläne
Vor den Verhandlungen für eine neue Gesundheitsreform machen die Kassen zudem Front gegen zentrale Punkte. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) lehnte neue Belastungen für Arbeitnehmer strikt ab. Die SPD warf Gesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) Untätigkeit vor. In der Koalition verwahrte man sich gegen diese Vorwürfe.
«Die Lage der Kassen wird wieder schwieriger», sagte die Vorsitzende des Kassen-Spitzenverbands, Doris Pfeiffer, der Deutschen Presse-Agentur dpa in Berlin. Schon bald zeichne sich möglicherweise ein weiterer Kostenschub für 2011 ab. Doch die 3,9 Milliarden Euro, die 2010 für Ausfälle in der Krise zusätzlich vom Bund kommen, seien einmalig. «Danach beginnt die Schuldenbremse. Da kann es für den Staat noch schwerer werden, genügend Mittel zur Verfügung zu stellen», sagte Pfeiffer. Zuschüsse seien nicht auf Dauer sicher. Sinkende Zuschüsse würden rechnerisch zu höheren Beiträgen oder Leistungskürzungen führen, wenn nicht bei Ärzten, Kliniken und der Pharmaindustrie gespart wird.
Bereits 2010 seien wegen des Defizits der Krankenversicherung von fast 4 Milliarden Euro Zusatzbeiträge von in der Regel acht Euro gewiss, sagte Pfeiffer. Allerdings muss die Kasse prüfen, ob die Obergrenze von einem Prozent des Einkommens eingehalten wird. «Es kann sein, dass einzelne Kassen wegen höherer Bedarfe darüber hinausgehen müssen», sagte Pfeiffer. Das Maximum sind 37,5 Euro im Monat.
DGB-Chef Michael Sommer lehnte im Gespräch mit der dpa Zusatzbeiträge als «Gift für die Konjunktur» und «Gift für die arbeitenden Menschen» ab. Zwar will keine Kasse mit Zusatzbeiträgen ins neue Jahr starten. Doch bei großen Ersatzkassen wie der DAK werden sie bald erwartet. Möglicherweise reicht das Geld trotzdem nicht allen Kassen. Die designierte Vorsitzende des Branchenführers Barmer GEK, Birgit Fischer, sagte der dpa: «Schieflagen und Insolvenzen kann man nicht ausschließen.»
Kassen, Gewerkschaften und die Opposition formieren sich gegen die Gesundheitspläne der Koalition. Nötig seien bessere Organisation, mehr Qualität und Wirtschaftlichkeit, sagte Fischer. «Die Regierung verzettelt sich aber in Scheingefechte um Pauschalen.» Der Bund werde die Milliarden für den dann nötigen Ausgleich für Ärmere kaum dauerhaft zusichern. Sommer kündigte Widerstand gegen einen Pauschalbeitrag und die geplante Fixierung des Arbeitgeberanteils an. Auch die Vize-SPD-Vorsitzende Hannelore Kraft lehnte einen einkommensunabhängigen Pauschalbeitrag strikt ab. Damit würden Millionen Krankenversicherte zu «Bittstellern des Staates» gemacht, sagte sie der dpa.
Als «sehr gefährlichen Weg» wies Pfeiffer Koalitionsüberlegungen für mehr Festzuschüsse zurück. Patienten müssten dadurch - wie heute beim Zahnarzt - auch bei anderen Behandlungen Mehrkosten möglicherweise selbst tragen. «Selbst wenn der Zuschuss zunächst alles abdeckt, werden künftige Verteuerungen nicht abgedeckt», sagte Pfeiffer.
Sie forderte für die Kassen Mitsprache in der für Jahresanfang geplanten Regierungskommission. Mit ihr will Rösler die Reform erarbeiten, die 2011 starten soll. Pfeiffer forderte, bereits vorher müssten Kostensteigerungen bei Arzneimitteln gedämpft werden. Der Chef der AOK Rheinland/Hamburg, Wilfried Jacobs, sagte der dpa, wenn man nach der Startphase der Regierung erkenne, «dass es in Richtung Klientelpolitik geht, muss man über andere Geschütze nachdenken».
Der CDU-Gesundheitsexperte Jens Spahn wies die Kritik zurück. «Es gibt keine hektischen Einzelmaßnahmen, sondern ein Gesamtpaket», sagte er der dpa. Dabei gebe es in dieser Wahlperiode nur erste Schritte zu einer Gesundheitsprämie abhängig vom Haushalt. Rösler wandte sich gegen die Auffassung, dass ein Sozialausgleich unbezahlbar sei. «Milliardenbeträge werden wir nicht brauchen, da wir schrittweise und behutsam die gesetzliche Krankenversicherung umbauen wollen», sagte er der «Saarbrücker Zeitung» (Montag). Niemand solle überfordert werden.
Die SPD-Gesundheitsexpertin Carola Reimann bemängelte: «Rösler legt die Hände in den Schoß, anstatt Einsparmöglichkeiten zu nutzen.» So müssten die Versicherungen die Mitglieder einseitig zur Kasse bitten.