Karadzic leugnet Völkermord - Prozess unterbrochen

Den Haag (dpa) - Den Völkermord von Srebrenica hat es nach den Worten des früheren Serbenführers Radovan Karadzic gar nicht gegeben.

Es sei ein fabrizierter «Mythos», dass im Sommer 1995 in der UN-Schutzzone mehr als 8000 muslimische Bosnier von serbischen Truppen ermordet wurden, behauptete der damalige Präsident der bosnischen Serbenrepublik am Dienstag vor dem UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag. Angehörige von Opfern äußerten Entsetzen über das Auftreten von Karadzic, das sie «kaltblütig und verlogen» nannten. Mit Enttäuschung reagierten sie darauf, dass das Gericht zudem einem Antrag des Angeklagten zustimmte, die Verhandlungen erneut auf unbestimmte Zeit zu vertagen.

Alle Berichte über Massenmorde an Muslimen in der Region Srebrenica seien «maßlos übertrieben» und beruhten auf unbewiesenen Behauptungen, sagte Karadzic in seiner Erwiderung auf die Anklage wegen Völkermordes, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit während des Bosnienkrieges zwischen 1992 und 1995.

Das Massaker von Srebrenica, das vom Internationalen Gerichtshof als Völkermord eingestuft wurde, gilt allgemein als das schwerste Kriegsverbrechen in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg. Damals eroberten bosnisch-serbische Truppen die von Muslimen bewohnte Enklave am 11. Juli 1995. Ein kleines Kontingent niederländischer Blauhelmsoldaten überließ die UN-Schutzzone den Angreifern kampflos. Wenige Tage später wurden rund 8000 überwiegend männliche Muslime von den Serben abgeführt, erschossen und in Massengräbern verscharrt, wie spätere Untersuchungen ergaben.

In Wirklichkeit hätten die Serben damals in der Gegend von Srebrenica lediglich auf Angriffe von muslimisch-bosnischen Kampfgruppen reagiert, sagte Karadzic. Bei den Auseinandersetzungen seien «höchstens 2000 bis 3000» bosnische Muslime getötet worden, «aber keineswegs 8372, wie dies auf einem Gedenkstein behauptet wird». Zudem sei es bösartige Propaganda, zu behaupten, dass die Serben auch junge Männer grundlos erschossen hätten. «Das waren Kämpfer im Alter von etwa 16 Jahren.»

Die Staatsanwaltschaft wirft dem damaligen Präsidenten der bosnischen Serbenrepublik vor, neben dem immer noch flüchtigen serbischen General Ratko Mladic die Hauptverantwortung für das Massaker von Srebrenica zu tragen. Karadzic behauptete, viele der später ausgegrabenen Leichen seien vermutlich aus anderen Konfliktgebieten eigens in die Gegend gebracht worden. Er verlangte eine völlig neue Untersuchung, die sich unter anderem auf DNA-Analysen stützen müsse. Im Gegensatz zu den Vorwürfen der Staatsanwaltschaft habe er seinerzeit sogar eindeutige Befehle gegeben, «keine Rachemorde an Muslimen zuzulassen».

Der Vorsitzende Richter O-Gon Kwon erklärte im Anschluss an die Verteidigungsrede von Karadzic, er habe dessen Antrag stattgegeben, zunächst eine Entscheidung der Berufungskammer des Tribunals abzuwarten. Karadzic hatte bei der Kammer Beschwerde dagegen eingelegt, dass sein Antrag auf Vertagung des Prozesses abgewiesen worden war. Der Angeklagte verlangt mehr Zeit für die Vorbereitung auf die Anhörung von Zeugen der Staatsanwaltschaft und will, dass das Verfahren erst im Juni fortgesetzt wird.    

Eigentlich sollte mit der Zeugenvernehmung an diesem Mittwoch begonnen werden. Der Richter erklärte, er hoffe, dass die Entscheidung der Berufungskammer bald vorliegen werde. O-Gon Kwon drückte den Zeugen sein Bedauern aus, die bereits aus Bosnien nach Den Haag gereist waren und nun wieder zurückkehren müssten.

Der Prozess, der am 26. Oktober 2009 mehr als ein Jahr nach Festnahme von Karadzic begann, ist immer wieder durch Verfahrensanträge des Angeklagten hinausgezögert worden. Die Eröffnung der Hauptverhandlung mit der Verlesung der Anklage hatte Karadzic boykottiert. Auch jetzt hatte er wieder mit einem Boykott gedroht, falls die Zeugenvernehmung trotz seines Antrag auf Verschiebung beginnen sollte.

Angehörige von Opferverbänden wie der Gruppe «Mütter von Srebrenica» protestierten vor dem Gerichtsgebäude in Den Haag. «Wir sind geschockt durch seine Lügen», sagte Nora Degovic aus Srebrenica, die nach eigenen Angaben 16 Familienmitglieder verloren hat. Als einer der Hauptverantwortlichen für den Tod von etwa 100 000 Menschen während des Bosnienkrieges sei Karadzic nicht einmal bereit, die Opfer zu bedauern und zeige keinerlei Reue. Bevor er in Bosnien an die Macht gekommen sei, hätten Serben, Kroaten und Muslime durchaus friedlich zusammengelebt. «Er war es, der die Landkarte Bosniens verändern und Grenzen zwischen den verschiedenen Volksgruppen ziehen wollte.»

UN / Kriegsverbrechen
02.03.2010 · 15:13 Uhr
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