Erste Unruhen und Ausnahmezustand in Haiti

Buenos Aires/Port-au-Prince/Brüssel (dpa) - In Haiti haben sich Wut und Verzweiflung in ersten Unruhen entladen. Sicherheitskräfte wollen mit einem Großeinsatz für mehr Ordnung in den chaotischen Zuständen nach dem verheerenden Erdbeben sorgen.

Knapp eine Woche nach der Naturkatastrophe mit geschätzten 200 000 Toten wird der Überlebenskampf hunderttausender Opfer trotz Hilfe immer härter. Die Regierung rief am Montag den Ausnahmezustand aus. Der Karibikstaat kündigte den Bau riesiger Zeltstädte für die geschätzten 1,5 Millionen Obdachlosen an.

Die USA wollten ihre Einsatzkräfte im Katastrophengebiet bis Montag auf 12 000 Soldaten aufstocken, die EU bis zu 150 weitere Polizisten entsenden und die UN ihr Kontingent von jetzt schon 9000 Blauhelmsoldaten und Polizisten um weitere 3500 Mann aufstocken. Eine entsprechende Resolution könne bereits an diesem Dienstag verabschiedet werden, signalisierten die Botschafter der USA und Frankreichs am Montag in New York. Der Präsident des Weltsicherheitsrates, Zhang Yesui (China), sagte Haiti «schnelle Hilfe» zu. Der Kommandeur der brasilianischen Armee, Enzo Martins Peri, versicherte, sein Land könne ohne Probleme sein Kontingent in Haiti von derzeit 1266 Soldaten verdoppeln.

Der Berliner Schriftsteller und Haiti-Experte Hans Christoph Buch äußerte sich in einem dpa-Gespräch jedoch skeptisch. «Die internationale Gemeinschaft ist nicht beliebt in Haiti, da sollte man sich keine Illusionen machen. Aus Sicht der armen Leute sind das die, die in klimatisierten Autos an ihnen vorbeifahren und in schönen Häusern wohnen», sagte Buch. Sollte es mit massiver internationaler Hilfe gelingen, den Zustand aus der Zeit vor dem Erdbeben wiederherzustellen, wäre das schon positiv. «Das heißt, dass die Märkte wieder funktionieren, Wasser und Strom fließen, die Straßen wieder benutzbar sind und die Eltern ein bisschen Geld haben, um ihre Kinder in die Schule zu schicken.»

In der vom Erdbeben zerstörten haitianischen Hauptstadt Port-au- Prince gab es nach Angaben von Ärzten die ersten Opfer gewaltsamer Auseinandersetzungen. Die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen berichtete in einer Telefonkonferenz von Menschen mit Schuss- und Stichverletzungen. Auch am Flughafen seien Schüsse zu hören gewesen.

Obwohl die humanitäre Hilfe laut UN-Welternährungsprogramm (WFP) von Tag zu Tag besser organisiert ist, gingen viele Menschen leer aus und machten ihrem Zorn Luft. Das Ausmaß der notwendigen Hilfe schilderte die WFP-Exekutivdirektorin Josette Sheeran in Rom: «Wir haben jetzt etwa 180 000 Rationen mit Fertignahrung verteilt, und innerhalb der nächsten Woche sollten es 10 Millionen Portionen sein.» Benötigt würden in den folgenden Wochen allerdings mehr als 100 Millionen Essensrationen.

Der Flughafen und die Zugangsstraßen zur Hauptstadt waren nach Angaben des UN-Koordinationsbüros für humanitäre Hilfe (OCHA) jedoch weiter völlig überlastet. In den nächsten 48 Stunden könnten deshalb keine neuen Hilfslieferungen nach Haiti geflogen werden.

Die Zeltstädte sollen in den Randbezirken der zerstörten Millionenstadt entstehen, war nach einem Treffen der Hilfsorganisationen mit den UN in Port-au-Prince zu erfahren. «Das wird für eine lange Zeit angelegt sein», sagte Rüdiger Ehrler vom Nothilfeteam der Deutschen Welthungerhilfe.

Eine internationale Haiti-Konferenz im kanadischen Montreal soll voraussichtlich im März die weltweite Welle der Hilfsbereitschaft koordinieren helfen. Bei einem Sondergipfel am 11. Februar werden sich zudem die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union (EU) mit der Lage des bitterarmen Landes befassen. Am Montag traf der ehemalige US-Präsident Bill Clinton in Haiti ein, um sich ein Bild über die benötigte Hilfe zu machen.

Retter im Katastrophengebiet berichten weiter über große Not und verzweifelte Szenen. Manchen Verletzten würden zerquetschte Gliedmaßen auf offener Straße amputiert, schilderte ein Mitarbeiter der Hilfsorganisation «Ärzte ohne Grenzen». Am Vortag habe ein umgefallener Baumstamm als OP-Tisch gedient. «Es gibt keine Alternative, es ist eine Entscheidung zwischen Leben und Tod.» Die genaue Zahl der Opfer wurde mittlerweile auf bis zu 200 000 Tote geschätzt.

Etwa 70 000 Leichen seien bisher geborgen, sagte Ministerpräsident Jean-Max Bellerive. Zahlreiche Menschen - darunter auch noch 13 Deutsche - werden weiter vermisst. Drei junge Flensburger konnten nach Angaben des Christlichen Zentrums Nordlicht in die USA ausgeflogen werden. Helfer suchten weiter nach Überlebenden unter den Trümmern. Allerdeings betonte Tim Callahan von der amerikanischen Entwicklungsagentur, es gebe so lange nach dem Beben so gut wie keine Hoffnung mehr, Opfer noch lebend unter den Trümmern zu finden. Nach seinen Informationen konnten bisher 110 Menschen lebend unter zusammengestürzten Häusern gerettet werden.

Ban legte seinen Vorschlag für mehr Blauhelm-Soldaten und UN-Polizisten am Montag dem Weltsicherheitsrat vor. Gleichzeitig unterrichtete er das höchste UN-Gremium über seine persönlichen Eindrücke von der Katastrophenlage in Haiti. Er war erst am Abend zuvor von einem eintägigen Besuch aus dem Karibikstaat zurückgekehrt. Insgesamt wurden bisher 46 UN-Mitarbeiter tot aus den Trümmern geborgen, sagte UN-Sprecher Nesinsky. Insgesamt etwa 330 weitere galten als vermisst. Auch 28 Europäer starben durch das Beben.

Besonders gefährdet sind nach Angaben des Kinderhilfswerks terre des hommes tausende traumatisierte Kinder, die allein durch die Straßen irrten. In Kinderheimen sei die Lage katastrophal, berichteten Helfer. Das Kinderhilfswerk warnte auch vor Kinderhändlern und Schleppern. Die würden erfahrungsgemäß Notlagen wie jetzt in Haiti ausnutzen.

Rettungstrupps von Caritas International erreichten unterdessen die Region um Léogâne, etwa 30 Kilometer westlich von Port-au-Prince. Nach UN-Angaben sind dort 90 Prozent aller Häuser zerstört. In dem Ort Petit Goave rund 20 Kilometer weiter westlich hätten jedoch viele der alten Holzhäuser da Beben heil überstanden.

Das Deutsche Rote Kreuz (DRK) wird diese Woche nach der mobilen Gesundheitsstation noch ein Hospital ins Erdbebengebiet entsenden. Das Hospital könne bis zu 700 Patienten täglich ambulant versorgen und hat 120 stationäre Betten.

Erdbeben / Haiti
18.01.2010 · 22:55 Uhr
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