Einsicht in das "Basel Endgame": Der Spagat der US-Bankenaufsicht
Lobbyisten der amerikanischen Bankenbranche können sich diese Woche wohl auf die Schulter klopfen. Michael Barr, stellvertretender Vorsitzender der Federal Reserve für Aufsicht, räumte ein, dass das Konsultationsverfahren zu den neuen Kapitalregeln, bekannt als das "Basel Endgame", eine "Lektion in Demut" gewesen sei. Industriekommentatoren bezeichneten die vorgenommenen Anpassungen als "Kapitulieren" vor einer Kampagne, die Werbung inmitten von American-Football-Spielen umfassen soll. Bislang haben die US-Behörden einen zweigleisigen Ansatz bei den globalen Standards der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich in Basel verfolgt. Dabei wurden die Regeln für die größten Banken besonders streng umgesetzt, während der Rest des Systems weitgehend unberührt blieb. Diese Strategie, die es der Fed ermöglichte, sich als einer der härtesten Regulierer weltweit darzustellen und gleichzeitig den Einfluss der mächtigen Lobby der inländischen Sparbanken zu minimieren, scheint nun aufgegeben worden zu sein. Globale Regulierer werden zweifellos bemerken, dass die USA ein Wettrennen nach unten begonnen haben. Die Ankündigung der Bank of England zu ihren eigenen Endgame-Vorschlägen verweist bereits auf „internationale Wettbewerbsfähigkeit“ und „andere Jurisdiktionen“. Laut den neuesten Endgame-Vorschlägen der Fed weichen mehrere Bestimmungen vom sogenannten Basel III-Accord über Bankkapital ab, darunter mindestens eine, die deutlich schwächer ist als die entsprechende Regelung in Europa. Beim Errechnen eines Teils ihres Kapitalbedarfs für „operationelles Risiko“ verwenden amerikanische Banken künftig den Nettoprovisionsertrag statt des Bruttowerts. Dies senkt effektiv die Kapitalanforderungen. Für Banken wie BNY Mellon und State Street, die sich auf Verwahrdienstleistungen statt auf Kreditvergabe spezialisieren, ist dies bedeutend. Das operationelle Risiko und die Gebührenerträge sind wesentlicher für ihr Geschäftsmodell als Kreditrisiken und Zinserträge. Zwar ist das Verwahrgeschäft weniger riskant als Kreditvergabe oder Handel, dennoch stellt diese Abweichung vom globalen Standard ein Risiko dar. Auch Investmentbanken könnten Börsengebühren gegen Handelskommissionen aufrechnen. Diese Entwicklung sollte nicht nur der Fed Kopfschmerzen bereiten. Das eigentliche Risiko der missglückten Endgame-Vorschläge besteht darin, dass weltweit bemerkt wird, dass sich das regulatorische Pendel in die entgegengesetzte Richtung bewegt hat. Über mehr als ein Jahrzehnt hinweg haben US-Banken erheblich davon profitiert, dass ihr Kapital als verlässlicher galt als das ihrer globalen Mitbewerber. Der Zusammenbruch der Silicon Valley Bank im letzten Jahr hätte eine Warnung sein sollen. Wenige US-Banken wiesen solide und transparente Bilanzen auf, da sie erhebliche unrealisierte Verluste verbuchten, die sie nicht für Kapitalzwecke ausweisen mussten. Dieses Paradox wird zumindest in der abgeschwächten Version des Endgames geklärt. Doch es gibt weiterhin zahlreiche latente Probleme, wie das unbekannte Ausmaß an Risiken im US-Gewerbeimmobiliensektor und unvollständige globale Standards für Liquiditätsrisiken. Wenn es um Kapital geht, scheint den Bankern die langfristige Perspektive zu fehlen. Einige Basispunkte auf einem Verhältnis machen langfristig kaum einen Unterschied. Aber ein Ruf für finanzielle Stabilität ist von unschätzbarem Wert; das Schicksal von Credit Suisse ist eine Warnung, dass bei Verlust der Reputation alles verloren ist. In fast jeder Ergebnispräsentation seit der Krise hat Jamie Dimon von JPMorgan die Gelegenheit genutzt, Investoren an die „Festungsbilanz“ seines Unternehmens zu erinnern. Nun nähert sich Dimon dem Ende seiner Amtszeit als CEO, und es wäre traurig und ironisch, wenn dieser Teil seiner Hinterlassenschaft vergessen würde. Regulierung ist keine Einschränkung für die Finanzindustrie; sie ist Teil der Infrastruktur.