Einem Superminister Gabriel droht gleich Ärger aus Brüssel
Berlin (dpa) - Sigmar Gabriel wagt sich - sofern die SPD-Mitglieder die große Koalition billigen - an eine politische Herkules-Aufgabe heran: die in Misskredit geratene Energiewende.
Hilfreich könnte sein, dass die SPD nicht nur ein neues Ressort Wirtschaft und Energie übernehmen soll, sondern auch gleich noch das Umweltministerium. Somit könnte aus einem Guss agiert werden - ohne die früheren Reibereien zwischen den von unterschiedlichen Parteien geführten Ministerien, die zentral das Mammutprojekt steuern.
Was wird die erste Bewährungsprobe?
Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) weiß seit einer Reise zu EU-Wettbewerbskommissar Joaquin Almunia, welche Gefahr für die deutsche Industrie aus Brüssel droht. Almunia will Mittwoch verkünden, dass er gegen die Energie-Rabatte vorgeht. Wenn die EU-Kommission ein Verfahren eröffnet, müssten Unternehmen sofort Rückstellungen bilden, das werde sich negativ auf ihr Rating auswirken, so Kraft. Dies könne für einige Firmen zur existenziellen Bedrohung werden, meinte sie jüngst. «Da kommt ein sehr ernstes Thema auf uns zu», sagt auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU).
Wie hoch sind bisher die Rabatte?
Unternehmen mit einem besonders hohen Stromverbrauch, etwa Aluhütten oder Stahlwerke, zahlen nur 0,05 Cent Ökostrom-Umlage je Kilowattstunde, Normalbürger derzeit 5,23 Cent. Insgesamt könnten die Nachlässe 2014 auf fünf Milliarden Euro steigen. Zusammen mit mehr Eigenstromerzeugung - und damit einem Ausscheiden aus dem System der Umlagezahler - könnten die Belastungen für die Stromrechnungen von Bürgern und Mittelstand auf 7 bis 8 Milliarden Euro steigen, heißt es in einem Papier des Umweltministeriums. 1716 Unternehmen mit 2295 Stromabnahmestellen sind 2013 laut Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) begünstigt - Tendenz steigend.
Was kann das für die Industrie bedeuten?
Im schlimmsten Fall milliardenschwere Rückzahlungen und Insolvenzen. Eventuell droht auch eine Generalattacke gegen das Erneuerbare-Energien-Gesetz. Es sieht auf 20 Jahre garantiert feste Vergütungen für Strom aus Windparks, Solar- und Biogasanlagen vor. Der Bundesverband Erneuerbare Energien (BEE) weist den Vorwurf einer Subvention oder Beihilfe zurück - schließlich zahlt nicht der Staat die Förderung, sondern die Bürger über die im Strompreis enthaltene EEG-Umlage. 2014 werden die Umlagekosten auf 23,5 Milliarden Euro steigen (6,24 Cent je Kilowattstunde). Vielerorts werden Strompreise etwas steigen. Weniger Industrierabatte könnten die Preise dämpfen - im Umkehrschluss aber auch den Verlust tausender Jobs bedeuten.
Wie könnte Gabriel gegensteuern?
Die Rabatte müssen wohl gestutzt werden - aber bisher wehrt sich die SPD gegen eine Rasenmähermethode. Allein der Kohlebergbau wird laut Umweltministerium mit 150 Millionen Euro, die Nahrungs-, Getränke- und Futtermittelindustrie mit rund 295 Millionen Euro begünstigt. Im Koalitionsvertrag wurde zudem eine EEG-Reform bis Ostern vereinbart - dank der Vereinigung von Umwelt- und Wirtschaftsressort in SPD-Händen und zusammen mit der starken sozialdemokratischen Rolle im Bundesrat kann das klappen. Es ist zu erwarten, dass die Erneuerbaren Energien ins Wirtschaftsressort wandern, so dass dem Umweltministerium nur der Bereich Atom bleibt.
Was ist zur Begrenzung der Strompreise geplant?
Klar ist, dass der Bau neuer Windräder auf die besonders windreichen Standorte konzentriert und die Förderung hierfür gekappt werden soll. Aber die Strompreise wird die SPD kaum dämpfen können, denn gerade für Offshore-Windparks in Nord- und Ostsee soll das eigentlich bis 2017 befristete Modell mit einer hohen Vergütung von 19 Cent über einen Zeitraum von acht Jahren bis 2019 verlängert werden - das dürfte milliardenschwere Zusatzkosten verursachen.
Welche vordringlichen Aufgaben gibt es außerdem?
Gabriel müsste dafür sorgen, dass der Netzausbau beschleunigt wird. Sonst könnte die 2015 anstehende Abschaltung des Atomkraftwerks Grafenrheinfeld (Bayern) zu Versorgungsengpässen in Süddeutschland führen. Zudem steigt im zweiten Jahr in Folge wegen vieler alter Kohlemeiler der CO2-Ausstoß - zugleich rechnen sich viele CO2-ärmere, aber im Betrieb teurere Gaskraftwerke nicht mehr.
Was würde auf eine Umweltministerin Barbara Hendricks zukommen?
Ab 2014 soll die neue Bund-Länder-Kommission Grundlagen und Kriterien für eine bundesweite Suche nach einem Atommüllendlager erarbeiten. Ein Kandidat für den Vorsitz ist der frühere Umweltminister Klaus Töpfer (CDU). Ab 2016 sollen - bis 2023 - mehrere Standorte ausgesucht und oberirdisch verglichen werden, bevor am Ende wahrscheinlich zwei Standorte auch unterirdisch geprüft werden. Ungeklärt ist, wo noch ausstehende Castor-Transporte aus dem Ausland hingehen sollen. Die zweite große Herausforderung: 2014 müssen die Grundlagen für einen Weltklimavertrag erarbeitet werden, der Ende 2015 von 194 Staaten besiegelt werden soll.