Draghi fordert neue Ansatzpunkte für europäische Wettbewerbspolitik
Mario Draghi hat einen umfassenden Bericht zur Wettbewerbsfähigkeit Europas vorgelegt, dessen Empfehlungen an die EU-Wettbewerbsbehörde zu den radikalsten gehören. Er schlägt vor, Unternehmen zu erlauben, mit Rivalen in Sachen Investitionen zu kooperieren. Zudem sollen potenziell problematische Fusionen nicht vorab, sondern nach deren Genehmigung überwacht werden. Ein weiteres zentrales Prinzip ist die einheitliche Bewertung von Unternehmenszusammenschlüssen auf EU-Ebene anstatt auf nationaler Ebene, wie es bisher praktiziert wurde.
Sollte diese Herangehensweise übernommen werden, könnte dies Fusionen wie die zwischen dem französischen Bahnhersteller Alstom und Siemens aus Deutschland, die 2019 von Brüssel blockiert wurde, grünes Licht geben. Draghi kritisiert, dass Europas Wettbewerbshüter durch ihre strikte Konzentration auf Verbraucherpreise den Anschluss an die globale, digitale Wirtschaft verloren hätten.
In Bezug auf Fusionen würde dies die größte Veränderung des EU-Wettbewerbsregimes seit der Einführung des europäischen Binnenmarktes in den 1990er Jahren darstellen. Ursula von der Leyen, Präsidentin der Europäischen Kommission, hat im Juli schon von einem "neuen Ansatz" gesprochen, der Unternehmen ermögliche, auf globalen Märkten zu skalieren, und Margrethe Vestager, die scheidende Wettbewerbskommissarin, deutete ebenfalls auf bevorstehende tiefgreifende Veränderungen hin.
Allerdings zeichnen sich bereits politische Widerstände ab. Einige EU-Offizielle und kleinere Länder befürchten, dass solche Veränderungen zu einer höheren Preisgestaltung und geringeren Investitionsanreizen führen könnten. Draghi hält dagegen, dass seine Ziele ohne eine Neufassung der EU-Kernziele im Wettbewerbsrecht oder der Fusionskontrollbestimmungen erreicht werden könnten. Der Schlüssel liege in der Anpassung der internen Richtlinien der Kommission, sodass diese für die gegenwärtigen Herausforderungen geeignet werden.
Draghi plädiert dafür, Innovation und Entwicklung neuer Technologien stärker zu berücksichtigen. Um Missbrauch vorzubeugen, schlägt er vor, Unternehmen zu verpflichten, nach einer Fusion Investitionsniveaus zu halten und diese überprüfen zu lassen. Dies könnte durch Berichte über Preisgestaltung oder Investitionen geschehen, die aufzeigen, ob ein Missbrauch von Marktmacht vorliegt.
Darüber hinaus fordert er eine entspanntere Herangehensweise bei der Zusammenarbeit zwischen Unternehmen, wenn dies nötig ist, um Investitionen in Forschung und Entwicklung zu maximieren oder Technologien zu standardisieren.
Abschließend bleibt die Frage, ob der Europäische Gerichtshof eine so radikale Neuinterpretation der Wettbewerbsregeln akzeptieren wird. Während einige EU-Vertreter der Meinung sind, dass Draghi's Vorschläge die Wettbewerbspolitik schwächen würden, argumentieren andere, dass sie notwendig sind, um europäische Unternehmen im globalen Markt zu stärken.