Die SPD will Schröders Hartz-IV-Reform schreddern

06. Februar 2019, 16:40 Uhr · Quelle: dpa

Berlin (dpa) - Andrea Nahles hat es wirklich nicht leicht in diesen Tagen. Männer mit viel Testosteron ziehen über die SPD-Chefin her, von Gerhard Schröder bis Sigmar Gabriel. Sie rackert sich ab, um die SPD aus dem tiefen 15-Prozent-Tal herauszuholen.

Sie sucht ein Projekt, das ihr endlich Auftrieb verschafft. Und so wagt sie sich nun an das heißeste Eisen heran, sie will Schröders Hartz-IV-Reform «überwinden» - doch der Befreiungsschlag könnte nach hinten losgehen.

Am Sonntag und Montag will sie den Kompass der Partei bei einer Klausur des Vorstands nach links ausrichten - das Herzstück des neuen Angebots an verloren gegangene Wähler: «Sozialstaatsreform 2025» - es ist ein ziemlich teures Rütteln an Gerhard Schröders Agenda 2010.

Die SPD ist irgendwie auf Sinnsuche, um das Siechtum zu stoppen. Und auch wenn viele ihr das nicht zutrauen und sie Probleme hat, ihr krawalliges Image in Teilen der Bevölkerung zu drehen, bekennt sich Nahles nun auch zu einer Kanzlerkandidatur. «Wenn ich mir eine Kanzlerkandidatur nicht zutrauen würde, hätte ich mich niemals um das Amt der SPD-Vorsitzenden beworben», sagt sie in einem Interview mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND), in dem sie umfassend ihre Arbeitsmarkt-Reformvorschläge erläutert hat.

Schröder hatte zuvor dem «Spiegel» gesagt, Voraussetzung für eine Kandidatur sei ökonomischer Sachverstand. Auf die Frage, ob Nahles diese Kompetenz besitze, sagte er: «Ich glaube, das würde nicht mal sie selbst von sich behaupten.»

Die Versuche von Nahles, seine Hartz-IV-Reform in wichtigen Teilen zu schreddern, dürften ihn in seinem Urteil bestärken. «Wir wollen Hartz IV hinter uns lassen und ein neues Bürgergeld schaffen», sagt Nahles.

Die zentrale Botschaft lautet: «Wir wollen das Arbeitslosengeld I verlängern. Die, die länger eingezahlt haben, sollen es auch länger bekommen.» Wer 58 Jahre alt ist, kann heute 24 Monate ALG I beziehen. Es orientiert sich am letzten Lohn, wer zuletzt 2000 Euro brutto verdient hat, bekommt rund 820 Euro. Nahles will dies auf 33 Monate ausweiten. Doch das würde Unternehmen und Bürger Milliarden kosten. Und es könnte auch zu neuen Frühverrentungswellen führen, heißt es.

Langjährige Einzahler fallen bisher nach zwölf, spätestens 24 Monaten ALG I-Bezug auf das Hartz-IV-Niveau - derzeit beträgt der Regelsatz 424 Euro im Monat. Schröder wollte damit den Druck erhöhen, sich rasch eine neue Arbeit zu suchen.

Auch wenn es sicher viele andere Gründe gibt, vor allem die Unklarheit, wofür die SPD steht, was ihre großen Zukunftsideen sind: Hartz-IV gilt vielen als der Hauptgrund für den Absturz der Partei. Es dominiert die internen Debatten wie das Flüchtlingsthema heute Angela Merkels CDU-Kanzlerschaft prägt.

Bis heute leiden die Sozialdemokraten an Schröders Reformen, die auf den Vorschlägen des früheren VW-Managers Peter Hartz basierten. Sie prägten die Kanzlerschaft Schröders und werden bis heute von der Wirtschaft als eine der besten SPD-Maßnahmen gelobt, da sie halfen, Deutschland, den «kranken Mann Europas», wieder auf die Beine zu bringen; zehn Jahre Wirtschaftswachstum wurden auch dadurch möglich.

Der Arbeitsmarkt wurde flexibilisiert und die Kosten durch die Zusammenlegung von Arbeitslosen- mit der Sozialhilfe zum neuen ALG II - im Volksmund Hartz IV - massiv gesenkt. Doch «hartzen» wurde zum geflügelten Wort, Hartz-IV-Kinder in der Schule gehänselt.

Nahles will auch, dass unsinnige Sanktionen abgeschafft werden, gerade für unter 25-Jährige, «die nur dazu führen, dass der Staat den Kontakt zu diesen Menschen komplett verliert.» Der Staat solle wieder «mehr Partner werden, weniger Kontrolleur». Wer arbeitslos wird, soll zudem nach drei Monaten Qualifizierungsangebote bekommen, das sei in Zeiten schneller Veränderung durch die Digitalisierung wichtig.

Nahles' neues Konzept soll als «Bürgergeld» Karriere machen - auch rhetorisch soll Hartz IV mit einem neuen Begriff überwunden werden. Aber eigentlich hat die FDP den Begriff «Bürgergeld» für etwas ganz anderes geprägt. Das Konzept der Liberalen zielt anders als bei Nahles nicht auf mehr Staatshilfe ab, sondern auf eine Verschlankung.

Durchsetzbar mit der Union ist eine Reform in der großen Koalition nicht. Und wie Finanzminister Olaf Scholz, bisher aus Sicht seiner Anhänger aussichtsreichster Anwärter auf die SPD-Kanzlerkandidatur, damit bei der Wirtschaft um Stimmen werben soll, ist unklar. Zumal ein Scholz-Vertrauter, der Chef der Bundesagentur für Arbeit, Detlef Scheele, energisch davor warnt, das Hartz-IV-System umzukrempeln.

«Das Programm von Frau Nahles würde Deutschland zum Sanierungsfall machen», meint CSU-Generalsekretär Markus Blume. Ingo Kramer, Chef des Arbeitgeberverbandes, betont: Die Vorschläge bauen keinerlei Brücken in Beschäftigung. «Verlängerte Warteschleifen verfestigen Arbeitslosigkeit. Arbeitslosigkeit wird länger finanziert. Schneller und besser in Arbeit gebracht werden Menschen dagegen nicht.»

Für ihre Reformvorschläge bekommt Nahles zumindest in der SPD viel Lob. Genau wird aber registriert, wie Sigmar Gabriel und Martin Schulz die Köpfe zusammenstecken, wie Schröder den Stab über Nahles bricht, die kein Jahr im Amt ist.

Was wurde nicht alles versucht: Da ist zum Beispiel die Rente mit 63, es gab schon fast 1,2 Millionen Anträge. Wer mindestens 45 Jahre in die Rentenkasse eingezahlt hat, kann mit 63 abschlagsfrei in Rente gehen. Das kostet Milliarden; die Wirtschaft klagt, dass in Zeiten von Fachkräftemangel erfahrene Kräfte zu früh die Segel streichen.

Zu viel Politik für die Alten zu Lasten der Jüngeren, lautet ein Vorwurf. Der Kanzlerkandidat von 2013, Peer Steinbrück, meinte in einem Interview, die SPD werde «nur noch als Reparaturbetrieb oder eine Art Krankenwagen der Gesellschaft erlebt, der hier mal einen Rohrbruch abdichtet, mal eine Schraube anzieht und dafür sorgt, dass der Mindestlohn um einen Euro steigt». Der große Impetus einer gesellschaftlichen Fortschrittspartei sei leider verloren gegangen.

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06.02.2019 · 16:40 Uhr
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