BaFin zeigt Ex-Wirecard-Chef Braun wegen Insiderhandels an - EU-Aufsicht knöpft sich Bafin vor - Wirecard-Aktie verliert
Die Staatsanwaltschaft München ermittelt bereits, ob und inwieweit der Österreicher Braun in die Betrügereien verwickelt ist. Er war am 22. Juni gegen eine Kaution von fünf Millionen Euro aus der Untersuchungshaft entlassen worden. Braun war auch größter Einzelaktionär von Wirecard. Den größten Teil seines Aktienpakets von acht Prozent hatte er bereits am 18. und 19. Juni für 155 Millionen Euro verkauft. Wegen des Kurssturzes der Aktie musste er die Papiere losschlagen, um Nachschusspflichten gegenüber Kreditgebern (Margin Calls) zu erfüllen, wie es damals hieß. Die BaFin erklärte, auch diese Transaktionen würden auf möglichen Insiderhandel hin überprüft.
Zweifelhaften Aktiengeschäften im Vorfeld der spektakulären Pleite sind die Finanzaufseher ohnehin schon auf der Spur. Die BaFin hatte am Montag erklärt, einen ersten Insiderverdacht an die Staatsanwaltschaft weitergegeben zu haben. Nach einem "Handelsblatt"-Bericht geht es dabei um einen Eintrag in einem Online-Börsen-Forum. Dort hatte ein anonymer Nutzer geschrieben, dass die Wirtschaftsprüfer von EY die Bilanz von Wirecard nicht uneingeschränkt testieren würden - acht Tage vor der tatsächlichen Verweigerung des Testats. Dem Beitrag zufolge habe das Wirecard-Management nicht nachweisen können, woher erhebliche Summen als Sicherheiten auf Treuhandkonten stammten. Mitarbeiter hätten die Information weitergegeben.
Wirecard-Chef dementiert Vorwürfe
Der ehemalige Konzernchef Markus Braun wehrt sich über seinen Anwalt gegen den Verdacht, von der bevorstehenden Insolvenzanmeldung erfahren zu haben und deshalb schnell noch Aktien verkauft zu haben. Nachdem die Bafin in dieser Woche Strafanzeige gegen Braun wegen des Verdachts auf Insiderhandel bei der Staatsanwaltschaft München I erstattet hat, sagte sein Anwalt Alfred Dierlamm der Süddeutschen Zeitung, "wir weisen diesen Verdacht, zu dem Herr Braun von der Bafin vorher nicht einmal angehört worden ist, als völlig haltlos zurück".
Im Detail wollte Dierlamm keine Angaben machen. "Zu den Einzelheiten werden wir uns ausschließlich gegenüber der Staatsanwaltschaft München I äußern", zitiert ihn die Zeitung. Ex-Manager Braun, der nach einem Haftbefehl gegen Kaution auf freiem Fuß ist, hatte einen Tag vor der Insolvenzanmeldung seines Konzerns für 6,6 Millionen Euro Wirecard-Aktien verkauft.
EU-Aufsicht knöpft sich Bafin vor
Nach dem Zusammenbruch des Zahlungsabwicklers Wirecard nimmt die europäische Wertpapieraufsicht ESMA die deutsche Finanzaufsicht BaFin und die Deutsche Prüfstelle für Rechnungslegung ins Visier. Die ESMA werde die aufsichtsrechtlichen Maßnahmen der BaFin und der DPR prüfen, teilte die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde am Mittwoch mit. Der Zusammenbruch von Wirecard habe das Vertrauen der Anleger in die Bilanzierung und den Finanzmarkt untergraben. Es sei daher notwendig, diese Ereignisse zu untersuchen, um das Vertrauen der Investoren wiederherzustellen. Die Prüfung werde bis zum 30. Oktober 2020 abgeschlossen. Der Vizechef der EU-Kommission, Valdis Dombrovskis, hatte die ESMA-Prüfung bereits angekündigt. Diese solle feststellen, ob es aufsichtsrechtliche Versäumnisse gegeben hat.
Lehren aus Wirecard - Wirtschaftsprüfer wollen tiefer bohren dürfen
Die deutschen Wirtschaftsprüfer wollen bei börsennotierten Unternehmen künftig tiefer bohren, um mutmaßlichen Bilanzbetrug wie bei Wirecard eher aufdecken zu können.
In der Abschlussprüfung könnten vermehrt forensische Methoden angewandt werden, erklärte das Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW), das die Interessen der Bilanzexperten und Prüfungsgesellschaften in Deutschland vertritt, am Mittwoch. "Dabei gilt es allerdings, nicht über das Ziel hinauszuschießen", sagte IDW-Vorstandssprecher Klaus-Peter Naumann. Finanzmanipulationen und Vermögensschädigungen aufzudecken sei schwierig und aufwendig, so dass schon konkrete Hinweise auf Betrug vorliegen müssten, um eine Prüfung mit kriminalistischen Methoden zu rechtfertigen.
Ein solches Vorgehen ist bisher nur bei Sonderprüfungen üblich. Bei normalen Abschlussprüfungen sind Wirtschaftsprüfer auf die Zusammenarbeit mit dem Unternehmen angewiesen. Das IDW sieht nun Handlungsbedarf: Der Fall des mittlerweile insolventen Zahlungsabwicklers Wirecard habe das Ansehen des Finanzplatzes Deutschland beschädigt, in der Öffentlichkeit werde die Rolle der Wirtschaftsprüfer hinterfragt, erklärte der Verband, der auch die Standards für die knapp 15.000 Wirtschaftsprüfer in Deutschland vorgibt.
Die Prüfungsgesellschaft EY war in die Kritik geraten, als Wirecard einräumen musste, dass rund 1,9 Milliarden Euro in der Bilanz fehlten. In den Vorjahren hatten die Prüfer die Bilanz aber jeweils testiert, obwohl vor allem das Asien-Geschäft von Wirecard in Medienberichten schon länger angezweifelt worden war. EY sieht sich als Opfer eines großangelegten Betrugs.
"Erste Ansatzpunkte für Verbesserungen sind schon jetzt gegeben - ohne damit Vorverurteilungen zu treffen", so Naumann. Das IDW schlägt unter anderem vor, Vorstände zur Einrichtung eines wirksamen Compliance-Management-Systems zu verpflichten, das sicherstellt, dass sich das Unternehmen an alle Regeln hält. Der Aufsichtsrat müsse zudem einen Prüfungsausschuss einrichten - bei Wirecard war das erst im vergangenen Jahr geschehen.
Die Aktie von Wirecard gab nach den Neuigkeiten im XETRA-Handel 6,10 Prozent auf einen Schlusskurs von 2,24 Euro nach.
München (Reuters) / Dow Jones