Atom-Zwist der Koalition strahlt auf NRW-Wahl aus
Während Bundeskanzlerin Angela Merkel nach einem erneuten atomskeptischen Vorstoß von Umweltminister Norbert Röttgen (beide CDU) etwas auf Distanz zu ihm ging, riefen die Grünen die Wahl am 9. Mai zu einer Abstimmung über die Zukunft der Atomkraft aus. Die Energiekonzerne beunruhigt derweil ein anderer Termin: Sie versuchen, ihre ältesten Meiler über die im Frühjahr auslaufenden Stilllegungsfristen hinweg zu retten.
Röttgen machte in der «Frankfurter Rundschau» (Samstag) deutlich, dass er ein Ende der Atomkraftnutzung spätestens 2030 sieht. «Der Ökostromanteil muss noch von heute 16 auf 40 Prozent ansteigen, dann ist es soweit. Selbst nach den skeptischsten Annahmen ist das 2030 der Fall.» Damit würde sich der unter Rot-Grün gesetzlich fixierte Atomausstieg um etwa acht Jahre verschieben. Kernkraftbefürworter in der schwarz-gelben Koalition wollen Atomstrom dagegen bis zur Mitte des Jahrhunderts produzieren lassen.
Röttgen hatte in Sachen Atomlaufzeiten zunächst Rückendeckung der Kanzlerin erhalten. Regierungssprecher Ulrich Wilhelm hatte vor zwei Wochen darauf hingewiesen, dass Röttgen sich im Rahmen des Koalitionsvertrag bewege, wenn er die Atomkraft als Brückentechnologie bis zu ihrer Ersetzung durch erneuerbare Energien bezeichne. Nun sagte er der «Welt am Sonntag», die Koalition habe verabredet, dass das Umwelt- und das Wirtschaftsministerium gemeinsam Szenarien für die im Herbst anstehende Entscheidung über die Energieversorgung erstellten. Alle Festlegungen vor Erstellung dieser Szenarien seien «verfrüht».
Als «ein bisschen spaltungsirre» kanzelte die Grünen-Fraktionsvorsitzende Renate Künast Röttgens These von 40 Prozent Ökostromanteil als Zeitpunkt für den Atomausstieg ab. Man dürfe im Gegenteil die Netze nicht mehr mit Atomstrom verstopfen und werde dann nicht nur 40, sondern bald 100 Prozent erneuerbaren Strom haben, sagte Künast im Deutschlandfunk.
Widerstand im eigenen politischen Lager verspürt Röttgen vor allem aus den CDU-regierten Bundesländern Baden-Württemberg und Hessen. Dort stehen die Meiler Neckarwestheim I und Biblis A vor der Abschaltung. Die vier großen deutschen Energiekonzerne haben nach einem «Spiegel»-Bericht Verhandlungen aufgenommen, um die Uralt- Reaktoren über die kommenden Monate zu retten. Dies ist nach Auffassung der Bundesregierung möglich, indem die Betreiber restliche Strom-Produktionsmengen aus dem stillgelegten AKW Stade auf diese Reaktoren verteilen. Allerdings soll Eon nach «Spiegel»-Angaben für einen solchen Ausgleich einen sehr hohen Preis verlangen.
Das Bundesumweltministerium wies unterdessen einen «Spiegel»- Bericht zurück, wonach Röttgen plant, sieben Atomkraftwerksblöcke in den nächsten Jahren vom Netz zu nehmen, darunter Biblis A und Neckarwestheim I. Ein solches Szenario habe das Ministerium in Gesprächen mit Industrievertretern vorgestellt. Dazu sagte ein Ministeriumssprecher in Berlin: «Wie schon mehrfach betont, sind bezüglich der Laufzeiten von Kernkraftwerken keinerlei Vorfestlegungen getroffen worden. Darüber wird erst im Rahmen des Energiekonzepts zu entscheiden sein.»
Die nordrhein-westfälischen Grünen erklärten, die Wähler an Rhein und Ruhr hätten es in der Hand, eine Laufzeitverlängerung der deutschen Atomkraftwerke zu verhindern. Das Bundesumweltministerium habe bestätigt, dass eine Verlängerung die Zustimmung des Bundesrats benötige, sagte der Vizevorsitzende der Landtagsfraktion, Reiner Priggen. Eine nordrhein-westfälische Regierung mit Grünen-Beteiligung werde keinen längeren Laufzeiten zustimmen.
Der neue EU-Energiekommissar Günther Oettinger forderte unterdessen die Europäer zur Schaffung von Atom-Endlagern auf. «Die Mitgliedstaaten müssen sich dringend um die Frage der Endlagerung kümmern», sagte Oettinger dem «Hamburger Abendblatt». Die bestehenden Kapazitäten seien nicht ausreichend. Der frühere Ministerpräsident von Baden-Württemberg kündigte eine EU-Verordnung zur Entsorgung von Atommüll an, die in diesem Jahr fertiggestellt werden soll.