Analyse: Sigmar Gabriel zwischen Kampf und «Quatsch»

29. November 2013, 15:10 Uhr · Quelle: dpa

Berlin/Hofheim (dpa) - Sigmar Gabriel kämpft. Erst mit der Union um einen Koalitionsvertrag mit sozialdemokratischem Anstrich. Dann an der Basis um die Zustimmung der 475 000 SPD-Mitglieder zur großen Koalition.

Und dann auch noch mit Marietta Slomka. «Lassen Sie uns den Quatsch beenden», schleudert er der Moderatorin des ZDF-«heute journals» am Donnerstagabend entgegen, als sie immer wieder von verfassungsrechtlichen Bedenken gegen das Mitgliedervotum spricht.

Gabriel nennt das «Blödsinn.» Er wolle den Verfassungsrechtler kennenlernen, der mehr innerparteiliche Demokratie für verboten halte. Schließlich entscheide dieses Mal nicht ein Parteitag, sondern die gesamte Mitgliedschaft über den Vertrag. Die Legitimationsbasis werde erweitert, während bei CDU und CSU oft nur Spitzengremien entschieden. Wo liege da das verfassungsrechtliche Problem? Slomka argumentiert unter Berufung auf einen Verfgassungsrechtler mit einer Einschränkung des freien Mandats der SPD-Abgeordneten im Bundestag.

Aber wo werden sie eingeschränkt? Schließlich geht es nicht um ein Votum über eine Zustimmung zur Agenda 2010, Euro-Hilfen oder zu einem Bundeswehreinsatz. Sondern darum, ob die Partei in eine Koalition geht, nach deren Ende sie beim letzten Mal bei 23 Prozent gelandet ist. Wobei dies vor allem selbstverschuldet war. Das Erscheinungsbild war schwierig, vier Vorsitzende wurden 2005 bis 2009 verschlissen.

Das Mitgliedervotum wird durchgeführt, weil sonst ein Zerreißen der Partei befürchtet wurde - kritisiert wird aber, dass die 475 000 Mitglieder nun den Wunsch von Millionen Wählern nach einer großen Koalition aushebeln könnten. Gut drei Viertel der Deutschen rechnen aber damit, dass die SPD-Basis grünes Licht gibt. Auch 80 Prozent der SPD-Anhänger sind laut ZDF-«Politbarometer» von einem Ja überzeugt.

Für manche mag Gabriel dünnhäutig gewirkt haben bei seinem Wortduell mit Slomka. Es ist aber auch ein menschlicher Moment - nach harten Tagen. Am Mittwochmorgen, nach 22 Stunden Koalitionsfinale - erst Beratungen SPD-intern, dann mit der Union - geht Gabriel nicht ins Bett. Sondern lässt sich um 6 Uhr 280 Kilometer nach Goslar fahren und frühstückt dort mit seiner Frau, die Geburtstag hat.

Er macht er sich kurz frisch und fährt zurück nach Berlin, wo um kurz vor zwölf der Koalitionsvertrag vorläufig unterzeichnet und in einer Pressekonferenz vorgestellt wird. Es folgt eine Sitzung des Vorstands, zwei Telefonschalten mit SPD-Funktionären und abends die Fraktionssitzung. Donnerstag dann geht es nach Hessen, um auf einer Regionalkonferenz in Hofheim für eine Zustimmung der Basis zu werben.

32 Basiskonferenzen will die Führung bis 9. Dezember absolvieren, vom 6. bis 12. Dezember dürfen die Mitglieder per Briefwahl über den Vertrag abstimmen. In Hofheim im kritischen Bezirk Hessen-Süd listet Gabriel die Erfolge auf: 8,50 Euro Mindestlohn, abschlagsfreie Rente mit 63 Jahren bei 45 Versicherungsjahren, mehr Regulierung bei Zeit- und Leiharbeit, Mietpreisbremse. Man habe fast alle Forderungen der Gewerkschaften «einschließlich der Kommafehler» übernommen, sagt er.

Aber gerade am Leuchtturmprojekt des Mindestlohns entzündet sich die Debatte. Wenn man das Kleingedruckte im 185-Seiten-Vertrag liest, soll er zwar 2015 kommen, aber in vollem Umfang erst 2017 gelten. So sei diese Lohnuntergrenze «ein leeres Versprechen», kritisiert eine ehemalige Betriebsrätin. Ein Genosse ereifert sich, er wolle «das Verbrechen nicht mittragen», den Mindestlohn weiter zu verzögern.

Je länger der Abend aber dauert, desto mehr hat Gabriel aber die Genossen auf seiner Seite. Die Befürworter gewinnen leicht die Oberhand. Gabriel sagt am Ende: «Ich bin sicher: Die SPD wird zustimmen.» Seine Argumentation zu den schlechten Erfahrungen mit der letzten großen Koalition: «Wir kommen dann in Schwierigkeiten, wenn wir selber Blödsinn machen.» Dann folgt das Interview mit dem ZDF.

Schon als Slomka zu Beginn von ziemlichem Gegenwind in Hofheim spricht, kontert Gabriel: «Hier gab's eine große Zustimmung zu dem, was wir machen, aber das hat man vielleicht in Mainz nicht hören können.» Später fallen sie sich immer wieder ins Wort. Gabriel unterstellt ihr, Sozialdemokraten das Wort im Munde rumzudrehen.

Letztlich kann Gabriel dieses Interview sogar helfen, die Partei schart sich um ihn. Je stärker der Chef, desto besser scheinen die Aussichten beim Votum zu sein - schließlich wissen alle, dass bei einem Nein der Vorsitzende weg wäre. Auch hilfreich dürfte sein, dass Nordhein-Westfalens Ministerpräsidentin Hannelore Kraft präventiv wissen lässt, sie stehe bei einem Scheitern und Neuwahlen nicht als Kanzlerkandidatin zur Verfügung. «Ich werde nie als Kanzlerkandidatin antreten», sagt sie in der Landtagsfraktion. Förderlich dürfte auch sein, dass Wirtschaft, FDP und Teile der Union harsche Kritik am Koalitionsvertrag üben. Das könnte bei der Basis als Beleg dafür gelten, dass Gabriel der Union ganz schön was abgehandelt hat.

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29.11.2013 · 15:10 Uhr
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