Analyse: Religionsbeleidigung in der Endlosschleife
Istanbul (dpa) - Die Toten sind begraben, die Scherben vor den Botschaften zusammengefegt. Doch der Konflikt um das dümmliche Mohammed-Video im Internet, das die islamische Welt eine Woche lang in Atem gehalten hat, wird möglicherweise noch lange nachwirken.
In Frankreich hat die Affäre ein Satiremagazin dazu inspiriert, den Propheten des Islam in erniedrigenden Posen darzustellen - verkauft als Aktion für die Verteidigung der Meinungsfreiheit. Der saudische König will seinen Untertanen den Zugang zur Internetplattform YouTube sperren. Dort sind Ausschnitte aus dem Video zu sehen.
Islamistische Terrorgruppen, die durch die Demokratie-Begeisterung des Arabischen Frühlings in die Defensive geraten waren, freuen sich. Sie nutzen die Kontroverse um das Video jetzt für die Rekrutierung neuer Mitglieder aus, denen sie sagen, «dass es die Pflicht jedes Muslims ist, den Propheten zu verteidigen». Das Verhältnis zwischen den USA und Ägypten hat einen Riss bekommen, der so schnell nicht zu kitten sein wird.
Und was ist mit den syrischen Revolutionären? Auch sie sind wütend - allerdings weniger über den obskuren Film als über die extremen Reaktionen einiger Glaubensbrüder. Viele syrische Muslime können nicht verstehen, weshalb die Araber sich über eine billige Videoproduktion von Exil-Ägyptern in den USA mehr empören als über das tägliche Blutvergießen in Syrien. Ein Kommentator der Oppositionswebsite All4Syria äußerte zudem die Befürchtung, die blutige Attacke auf das US-Konsulat im libyschen Bengasi könne dem Image des Islam und der arabischen Revolutionen schaden.
Den Stimmen der Vernunft fällt es schwer, sich im schrillen Konzert der extremen Meinungen zu behaupten. Differenzierte Selbstkritik kam jetzt unter anderem aus dem islamischen Königreich Saudi-Arabien - einem Land, das nicht gerade für seine Toleranz gegenüber Andersgläubigen bekannt ist.
Unter der Überschrift «Ok, aber was ist mit unserem Film?» weist die saudische Autorin Badrija al-Bischr in der überregionalen arabischen Tageszeitung «Al-Hayat» darauf hin, dass nicht nur das Mohammed-Video abstoßend sei, sondern auch die Fernsehaufnahmen der Angriffe aufgebrachter Muslime auf westliche Botschaften. Die Ursache für diese extremen Reaktionen liegt ihrer Ansicht nach in einer Erziehung, die Intoleranz fördert. Die bekannte Autorin kritisiert, «dass wir unseren Kindern in den Schulen beibringen, jeden zu hassen, der anders denkt als wir».
Auch Maram Meccawy, die regelmäßig für die saudische Zeitung «Al-Watan» schreibt und derzeit in den USA lebt, findet, ihre Landsleute sollten die Kontroverse zum Anlass nehmen für Selbstkritik und Erneuerung. Sie schreibt: «Die Welt respektiert nur denjenigen, der sich auch selbst respektiert. Und wir Muslime haben schon vor langer Zeit aufgehört, uns selbst zu respektieren. Wir haben alle schönen Elemente unserer Religion und unserer Zivilisation aufgegeben. Gleichzeitig haben wir an allen schlechten Traditionen festgehalten.»
In seiner primitiven Machart provoziert der Anti-Mohammed-Film eher die ungebildeten Muslime. Die meisten muslimischen Intellektuellen ziehen es vor, das Machwerk zu ignorieren. Das machte jetzt auch der Generalsekretär der Arabischen Liga, Nabil al-Arabi, deutlich. Als ihn ein Journalist während einer Pressekonferenz zum Syrien-Konflikt am Mittwoch fragte, wie er zu den «Staaten» stehe, die dieses Video produziert hätten, reagierte der Ägypter genervt. «Erstens: Das waren keine Staaten, sondern Privatleute», schimpfte er. Außerdem habe allein die wütende Reaktion der Araber diesen «schlechten Film, den ich nicht angesehen habe und auch nicht ansehen will», berühmt gemacht.