Fabeln, Legenden, Märchen ...

Coyote und die Kuh
(Fabel aus Amerika)
Vor langer Zeit, sagt man, stand eine Kuh am Fluss. Coyote kam zum Ufer, und als er das Wasser sah, kriegte er es mit der Angst zu tun. "Ich möchte den Fluss durchqueren", sagte er, "aber das Wasser ist zu tief. Ich fürchte mich." Die Kuh sagte: "Du darfst dich an meinen Hörnern festhalten, und wir gehen zusammen ans andere Ufer." "Nein, das geht nicht, weil mich die Strömung abtreiben könnte", sagte Coyote und tat, als hätte er furchtbare Angst. "Dann halte dich an meinem Schwanz fest." "Nein, ich hätte trotzdem Angst." "Nun, dann weiß ich nicht, was ich für dich tun kann." "Lass mich in dein Rektum", schlug Coyote vor. Das war der Kuh peinlich, aber sie wollte dem Coyoten ihre Hilfe nicht verweigern. So sagte sie: "In Ordnung." Coyote kroch in sie hinein, und die Kuh schwamm über den Fluss. Als sie drüben ankam, biss Coyote sie in ihrem Innern zu Tode und fraß sie anschließend auf. Coyote war ein Schurke, und er hätte dies nicht tun sollen, aber die Kuh war dumm, denn sie wusste nicht, dass es einen Unterschied macht, ob man jemanden hilft oder sich von jemandem ausnützen lässt.
 
Coyote und die Echse
(Fabel aus Amerika)
Coyote war wieder unterwegs. Nach einer Weile kam er zu einem großen toten Baum. Er sah eine fette braune Echse am Stamm, dass er sie nicht erreichen konnte. Coyote sagte: "Ich bin der, der nur Fett frisst. Komm herunter, damit ich dich essen kann." Die Echse sagte: "Alter Mann, Lass mich in Ruhe. Ich bin dabei, die Welt zu retten." Coyote sagte: "Red keinen Unsinn. Was meinst du damit?" "Ich halte diesen großen toten Baum aufrecht", sagte die Echse. "Der Himmel ruht auf ihm. Wenn ich loslasse, fällt der Himmel." Coyote kriegte Angst. "Lass mich dir helfen", sagte er. Er rannte zum Baum und drückte gegen den Stamm. "Gut", sagte die Echse. "Du bleibst hier, und ich hole meine Kinder, damit sie uns helfen können." Die Echse kam herunter und lief schnell davon. Coyote stand lange dort und drückte, so fest er konnte, gegen den Stamm. Schließlich wurde er so müde, dass er loslassen musste. Er rannte sofort in ein kleines Loch, um sich zu schützen. Er blieb lange dort drin und fürchtete sich. Nach einer Weile sah er, dass der Himmel nicht herunterstürzte, und nun wusste er, dass ihn die Echse zum Narren gehalten hatte. Er sagte etwas Schlimmes und ging davon.
 
Coyote und der Biber
(Fabel aus Amerika)
Coyote ging durchs Land. Er fand einen Biber, der am Flussufer unter einem Baum schlief. Coyote hob ihn auf, ohne dass der Biber erwachte, und trug ihn weit weg vom Fluss. Dann schüttelte er ihn und sagte: "Also, alter Mann, wach auf. Ich wusste gar nicht, dass du in einem solch trockenen Land lebst." Der Biber blickte sich verschlafen um, aber da war nirgendwo ein Fluss zu sehen. "Alter Mann, würdest du mich zum Fluss bringen", bat er Coyote. "Nein", sagte Coyote, "das werde ich nicht tun. Mein Rücken schmerzt so sehr, dass ich keinen Biber tragen kann." Das war es, was er sagte, und er ging davon. Der Biber fing an, sich abzurollen, und er rollte und rollte, bis er in einen Fluss fiel. Von da an wartete der Biber nur darauf, Coyote diese Schmach heimzuzahlen, und er suchte überall nach ihm. Endlich fand er Coyote schlafend am Flussufer. Biber hob ihn auf und schwamm mit ihm in den Fluss hinaus zu einer Insel. Dort legte er Coyote hin und weckte ihn auf. "Heh, alter Mann, seit wann lebst du auf einer Insel?" Coyote sprang auf und sah nur Wasser um sich herum. Er konnte aber nicht schwimmen. "Alter Mann", sagte er, "würdest du mich bitte zum Ufer tragen?" "Nein, das werde ich nicht tun", sagte der Biber. "Mein Rücken schmerzt. Ich kann keinen Coyoten tragen." Der Biber ließ sich ins Wasser gleiten und tauchte unter. Da stand der Coyote auf der Insel und wagte es nicht, ins Wasser zu springen. Schließlich tat er es trotzdem. Er trieb lange im Wasser, und als er endlich ans Ufer geschwemmt wurde, war er fast tot.
 
Die goldenen Kraniche
(Fabel aus Nordamerika)
Weit, aber tausend Stunden weit von den Ufern der vielen Flüsse, lebte der Stamm der gelben Vögel - der Kraniche. Nachdem ihnen der große Manitou goldene Federn gegeben hatte, ließ er ihren Häuptling Latakini holen und sagte dann mit ernster Miene: "Latakini, du bist der Häuptling der schönsten aller Vögel, denn kein anderer Stamm hat von mir ein goldenes Gefieder bekommen, nur ihr allein. Zum Dank dafür müsst ihr für alle Zeiten in der Gegend bleiben, die ich euch als Wohnsitz angewiesen habe." "Warum dürfen wir nicht an andere Orte fliegen?" fragte Latakini. "Weil euer Gefieder sonst seine schöne goldene Farbe einbüßen würde", antwortete der große Geist. Dann entschwebte er und verlor sich in den Wolken. Aber in den Kronen der nahen Kiefern hing noch für eine Weile der Hauch seines Atems. Latakini glättete mit dem langen Schnabel sein glänzendes Gefieder, schlug ein paar Mal mit den mächtigen Flügeln und erhob sich majestätisch in die Luft. Er flog zu seinem Stamm zurück, um ihm die Botschaft des großen Geistes zu überbringen. Der Sommer wurde älter und älter und hoch oben im Norden, wo Latakini lebte, kreisten die ersten Schwärme der kanadischen Gänse und Wildenten, der Tauchergänse und Wasserhühner und riefen das ganze Volk der Wandervögel zur großen Reise nach dem Süden zusammen. Latakini wurde unruhig. Tagelang verfolgte er die immer dichter werdenden Reihen der am Horizont verschwindenden Vögel und nachts lauschte er den Flügelschlägen, die den nächtlichen Himmel durchschnitten. Als er eines Morgens sah, dass die Kraniche ganz allein in der Gegend zurückgeblieben waren, konnte er der Versuchung nicht mehr widerstehen. Er stieg hoch in die Luft und rief seinen Stamm zu dem weiten Flug nach dem Süden auf. Manitou war über den Ungehorsam der Goldvögel über alle Maßen erzürnt. Er gebot den Wassern im Land der vielen Flüsse, dem Ziel des Schwarmes, das goldene Volk Latakinis zu verschlingen. Tag um Tag, Nacht um Nacht flogen die Kraniche unermüdlich über fremde Landstriche, bis sich die sonnenüberflutete, von den Silberbändern der Flüsse und den glänzenden Augen der Seen durchbrochene Prärie unter ihnen ausbreitete. Latakini ließ die Schwingen ruhen, kreiste ein paar Mal über dem Wasserspiegel und glitt dann auf den See hinunter. Die anderen Vögel folgten ihm. Da war es plötzlich, als wollte ein großes Unwetter über die Gegend hereinbrechen. Die Wellen verschlangen einander, und die Vögel konnten sich nur mit Mühe und Not auf dem Wasser halten. Die Wellen rissen ihnen die goldenen Federn aus und trugen sie davon. Latakini erteilte den Befehl zum Weiterflug, aber es war schon zu spät. Statt der goldenen Kraniche flog unter der südlichen Sonne ein Schwarm weißer Riesenreiher. Erst jetzt fielen Latakini die warnenden Worte des großen Geistes wieder ein. "Wenn wir im Frühling nach dem Norden zurück kehren, wird uns Manitou unser Gefieder wieder vergolden, und dann werden wir nie mehr fort fliegen", tröstete Latakini seine Stammesbrüder. Er konnte den Frühling kaum erwarten, und als er die ersten Schwärme der Heimkehrenden erblickte, mahnte er seinen Stamm unverzüglich zum Rückflug. Und wieder flogen sie ohne Rast und Ruh durch Tage und Nächte, bis sie endlich die heimische Wiese unter sich sahen. Sie ließen sich ins Gras gleiten, und es sah aus, als wäre neuer Schnee darauf gefallen, denn die Kraniche waren weiß geblieben. Da wusste Latakini, dass sie nie wieder ihr goldenes Gefieder haben würden, weil sie das Gebot des großen Geistes missachtet hatten.
 
Maismutter und Schwarzer Meteor
(Fabel der Arikara / Nordamerika / South Dakota)
Die Alten sagen, dass die Erde zuerst von Riesen bewohnt gewesen sei, die so stark waren, dass sie vor nichts Angst hatten, nicht einmal vor Nesaru, der im Himmel wohnt. Zornig sah dieser ihrem Treiben zu und beschloss, sie zu vernichten. Daher sandte er die Spitzmaus auf die Erde, damit sie die Menschen, die ganz am Ende der Welt lebten und sich sehr vor den Riesen fürchteten, in Maiskörner verwandeln sollte. Die Spitzmaus verwandelte die Menschen in Maiskörner und versteckte sie tief unter der Erde. Auch die Tiere versteckte sie dort, damit sie sicher seien vor dem Vernichtungswerk. Dann sandte Nesaru, der im Himmel wohnt, die Maismutter auf die Erde, hieß sie die Menschen um sich sammeln, denn die kleinen Körner hätten sonst gar zu leicht verloren gehen können. Danach kehrte die Maismutter zurück zu Nesaru, der im Himmel wohnt, während die Spitzmaus bei den Menschen blieb. Nun sandte Nesaru, der im Himmel wohnt, sein Strafgericht über die Riesen. Aber die Menschen waren tief unter der Erde zu dieser Zeit, daher weiß heute niemand, wie die Riesen umgekommen sind. Einige behaupten, dass es durch ein großes Feuer geschehen sei, während andere von einem großen Wasser wissen wollen. Nur Nesaru, der im Himmel wohnt, weiß es genau, aber er schweigt. Während die Menschen als Maiskörner tief unter der Erde waren, hatte Nesaru, der im Himmel wohnt, dort oben Mais gepflanzt, damit er die Menschen in ihrem Versteck nicht vergesse. Als der Himmelsmais zu sprießen begann, sprach Nesaru, der im Himmel wohnt: "Jetzt ist es Zeit, dass die Menschen hervorkommen, denn der Mais will ans Licht." Als der Himmelsmais reif war, nahm Nesaru, der im Himmel wohnt, einen Kolben und sprach zu ihm: "Maismutter, gehe wieder hinunter und führe die Menschen hinaus, denn es ist Zeit." Da verwandelte sich der Kolben in eine alte Frau, die sich sogleich auf den Weg zur Erde machte. Lange irrte sie über die Welt, denn sie konnte keine Menschen finden. Auch die Stelle, wo die Menschen verborgen waren, hatte sie vergessen. Da hörte sie im Osten den Donner rollen. Sie folgte dem Laut und kam zu den Menschen unter der Erde. Als die Menschen und die Tiere in ihrem Versteck die Maismutter rufen hörten, beschlossen sie, an die Oberwelt zu kommen, denn Nesaru, der im Himmel wohnt, hatte seinen Boten geschickt. Dachs, Maulwurf und Wühlmaus machten sich an die Arbeit, um ein Loch bis an die Oberwelt zu graben. Unter der Leitung von Spitzmaus arbeiteten sie an dem Tunnel, der sie hinausführen sollte aus der Dunkelheit. Dachs grub eine Weile, dann wurde er müde und sagte: "Oh, ich kann nicht mehr!" Nur Maulwurf grub emsig weiter und sah mit einem Male die Sonne scheinen. "Die Sonne scheint! Die Sonne scheint!" rief er aufgeregt. Da fand der Dachs seine Kräfte wieder und begann das Loch zu erweitern. Der Maulwurf jedoch, der zu lange in die Sonne gestarrt hatte, kann seit diesem Tage kaum mehr sehen. Daher blieb er zurück unter der Erde, wo es dunkel war und wo er sich auskannte. Die übrigen Tiere aber begaben sich nach oben, dorthin, wo die Sonne ihr Licht verbreitete, und auch die Menschen machten sich auf den Weg an die Oberwelt. Als alle aus der unteren Welt verschwunden waren, sprach die Maismutter zu denen, die sich auf der Erde versammelt hatten: "Ihr Menschen sollt mir folgen, wohin die Sonne wandert. Alles Getier aber soll dorthin ziehen, woher die Sonne gekommen ist. Wenn Menschen und Tiere sich fortan treffen, sollen sie sich nicht mehr erkennen, keine gemeinsame Sprache mehr haben, und Menschen sollen Menschen, Tiere aber Tiere bleiben, bis Nesaru, der im Himmel wohnt, alle zu sich ruft." Und so geschah es denn auch, doch damals gab es eine Anzahl Wesen, die erst später zu Tieren geworden sind. Lange folgten die Menschen der Maismutter über die Erde, und viele Hindernisse mussten überwunden werden. Bei jedem Hindernis aber blieben einige Menschen zurück und wurden zu Tieren. Dachs, Wühlmaus und Spitzmaus waren schon am ersten Tage umgekehrt, entschlossen, doch lieber bei Maulwurf zu bleiben. Am Flusse blieb Königsfischer zurück mit seiner Familie, während die Eule sich im Walde verirrte. Taucher konnte sich nicht vom See trennen, den sie alle überquert hatten, und Specht hatte einen hohlen Baum gefunden, der ihm besonders zusagte. Coyote aber hatte sich schon zu Beginn auf die Seite geschlichen und selbständig gemacht. Schließlich kamen die Menschen im Gefolge der Maismutter an eine Stelle, von der die Maismutter sagte, dass hier das erste Dorf stehen sollte. Da machten sich die Menschen daran, Hütten zu bauen. Die Maismutter aber sprach: "Ich will euch von mir geben, damit ihr pflanzen könnt und zu essen habt. Denn fortan werdet auch ihr essen müssen, damit ihr zahlreich werdet wie die Maiskörner, die ihr einst gewesen seid." Als sie all ihre Schätze verteilt hatte, ging sie zurück zu Nesaru, der im Himmel wohnt. Während die Maismutter fort war, begannen die Menschen zu streiten, daher sandte Nesaru, der im Himmel wohnt, den Schwarzen Meteor auf die Erde. Dieser sollte Frieden stiften und den Menschen beibringen, wie sie zu leben hätten. Von ihm lernten die Menschen den Gebrauch von Werkzeugen aus Stein, die Wettspiele, die heiligen Gesänge und die Kriegsregeln, denn Schwarzer Meteor, der die heilige Pfeife brachte, war der erste Häuptling der Menschen. Seit dieser Zeit hat es bei den Menschen Häuptlinge gegeben. Doch Nesaru, der im Himmel wohnt, war noch immer nicht mit den Menschen zufrieden. Noch einmal schickte er die Maismutter auf die Erde, damit sie den Menschen ihre Weisheit bringen sollte. Von ihr lernten die Menschen das Geheimnis der heiligen Medizinbündel, die großen Feste und Tänze, und von ihr haben auch die Medizinmänner ihre Kunst, Kranke zu heilen und Zauber zu bannen. Die Maismutter jedoch trug den Menschen auf, sie in den Fluss zu werfen und zu ihr zu beten, wenn sie ihre Hilfe brauchten. Noch heute muss man daher an den Fluss gehen, wenn man die Maismutter um Hilfe bitten will. Für die Menschen ist sie Nährerin und Mutter zugleich, Sinnbild der Erde, aus der sie stammen. Ihr. heiliges Zeichen ist die ungebeugte Zeder, immergrünes Symbol der ewigen Mutter. Daher stellen die Menschen zu den heiligen Festen eine Zeder vor den Eingang zur Ratshütte, damit die Mutter bei ihren Gebeten zugegen sei. Neben der Zeder aber liegt der Stein, Sinnbild des Schwarzen Meteors, der vom Himmel kam und die heilige Pfeife brachte. Wenn Zeder und Stein nicht mehr vor dem Ratszelt sein werden, dann ist die Zeit da, zu der die Maismutter wiederkehren wird, um ihre Kinder hinaufzuführen zu Nesaru, der im Himmel wohnt.
 
Die einzige Frau
(Fabel der Inuit)
Vor langer Zeit lebten viele Leute im Nordland, aber es gab keine Frau unter ihnen. Man wußte nur von einem einzigen Weib, das weit im Süden lebte. Schließlich machte sich einer der jungen Männer im Norden auf und reiste gen Süden, bis er zum Haus der Frau kam, wo er blieb und bald ihr Mann wurde. Eines Tages saß er im Haus, dachte an die Heimat und sagte: "Ah, ich hab eine Frau, und der Sohn des Häuptlings im Norden hat keine!" Und er gefiel sich sehr in Gedanken an sein gutes Schicksal. Indessen hatte sich der Häuptlingssohn auch daran gemacht, nach dem Süden zu reisen, und während der andere gerade so zu sich sprach, stand der Häuptlingssohn am Hauseingang und belauschte ihn. Er wartete am Eingang, bis drinnen alle eingeschlafen waren, kroch dann ins Haus, packte die Frau bei den Schultern und wollte sie wegschleppen. Wie er den Ausgang erreichte, bemerkte ihn ihr Mann und erwischte seine Frau noch an den Füßen. Es kam zu einer Rauferei, welche damit endete, daß die Frau auseinandergerissen wurde. Der Dieb trug die obere Körperhälfte nach Hause ins Nordland, während der Gatte mit der unteren Hälfte seiner Frau zurückblieb. Jeder der beiden saß nun und versuchte, die fehlenden Teile aus Holz zu schnitzen. Nachdem sie ergänzt waren, wurde ihnen Leben eingehaucht, und so waren aus den Hälften einer Frau zwei Frauen gemacht. Die Frau im Süden war allerdings eine schlechte Näherin, was sie der Plumpheit ihrer Holzfinger verdankte; dafür war sie eine gute Tänzerin. Die Frau im Norden war zwar in Näharbeiten gewandt, aber ihre hölzernen Beine machten sie zu einer sehr schwachen Tänzerin. Jede der Frauen vererbte an ihre Töchter diese Merkmale, so daß noch heute dieser Unterschied zwischen den Frauen des Nordens und denen des Südens besteht - was beweist, daß die Geschichte wahr ist.
 
Wer ist der Weiseste?
(Fabel aus Mexiko)
Es lebte einmal ein starker und mächtiger und des Zaubers kundiger Häuptling, der hatte zwei Söhne. Und den älteren von den beiden lehrte er, sich in einen Adler verwandeln, den Jüngern aber lehrte er, sich in einen Coyoten zu verwandeln. Und durch seinen Zauber und durch die Kunst seiner Söhne wurde sein Stamm reich und mächtig. Als der Häuptling aber alt war, erhob sich die Frage, wer von seinen beiden Söhnen einmal sein Nachfolger werden und seinen Platz im Rat der Alten einnehmen solle. Und nachdem sich die Krieger gesammelt hatten, die den Rat des Stammes ausmachten, ließ man auch die beiden Brüder rufen, um zu prüfen, wer von ihnen beiden weiser sei. Und einer der Alten fragte: "Seid ihr bereit, eine Probe eures Scharfsinns und eurer Weisheit abzulegen?" "Wir sind es." "Nun, ihr seid beide weise und in zauberischen Künsten gut ausgebildet. Wem von euch es gelingt, vor dem andern die Welt zu umrunden, der soll als Nachfolger eures Vaters angesehen werden. Verwandelt euch in eure Gestalten, und dann - auf mein Zeichen macht euch auf den Weg!" "Nun, bei dieser Aufgabe wird mein Bruder im Nachteil sein, denn ich kann mich in die Luft erheben und schneller sein", sagte der Altere. "Es wird sich zeigen." Die beiden Brüder verwandelten sich also in die Tiere ihres Zeichens, in einen Adler und in einen Coyoten. Und auf ein Zeichen des Alten erhob sich der Adler in die Luft und flog in Richtung Westen davon. "Nun, was ist mit dir?" fragte der Ratsälteste den Coyoten. " Willst du dich nicht auch auf den Weg machen?" Aber der Coyote blinzelte nur den Sprecher an, wedelte mit dem Schwanz und legte sich bequem nieder. Niemand sprach mehr. Nach einer Weile erhob sich der Coyote und ging gemächlich um den Kreis der Alten herum, dann legte er sich wieder nieder . Am nächsten Morgen erschien mit dem Aufgang der Sonne ganz ermattet der Ältere, den kaum mehr seine Flügel trugen, und ließ sich im Kreis der Alten nieder . "Nun?" rief er triumphierend aus, "bin ich der Erste oder nicht? Und bin ich damit der Weiseste oder nicht?" "Wir wollen erst deinen Bruder hören", sagte der Älteste und wandte sich an den Coyoten, "sag mir, warum hast du dich gar nicht auf den Weg gemacht? Wolltest du damit deine Unterlegenheit gegenüber dem Bruder zugeben?" Da verwandelte der Coyote sich wieder in einen Menschen und sagte: "Bin ich nicht einmal um euch herumgegangen?" " Ja, und. ..?" "Für einen Krieger ist der Rat der Alten seine Welt." Da erhoben sich die Alten und sagten: "Er ist der Weiseste." Und so wurde der Jüngere der Nachfolger des Vaters und nicht der Ältere.
 
Der Elfenmann Im Goldstein
(Färöer Inseln)
Am Abhang beim Dorfe Skarvanes ("die Kormoran-Landspitze", spr. Skarvaneeß) auf der Insel Sandoy ("Sandinsel") liegt ein Felsen, den man Gullsteinur ("Goldstein", spr. Gudlstainor) nennt. Dort wohnte dereinst ein Elfenmann, der einer der Bauersfrauen in Skarvanes gegenüber zu aufdringlich wurde. Seine Annäherungsversuche an die Frau waren dermaßen hartnäckig, daß sie überlegte, wie sie sich seiner erwehren könne. Eines Tages ging sie in seine Felsenhöhle und stellte sich freundlich. Sie bat ihn um einen Ratschlag gegen Trolle, da diese so sehr hinter einer ihrer Kühe her seien, daß diese ganz wild geworden sei. Der Elfenmann war sehr erfreut, daß sich ihm nun eine Möglichkeit bat, der Frau zu helfen. Er hieß sie, Wegerich an die Kuh zu binden. (Früher trug man oft Wegerich bei sich, um sich gegen Zauberei zu schützen.) Doch sobald die Frau wieder bei sich daheim war, befestigte sie Wegerich an sich selbst. Als der Elfenmann sich ihr dann wieder näherte, konnte er gar nicht mehr nahe an sie herankommen. Da wurde ihm klar, daß er hinters Licht geführt worden war, und er rief aus:
“Pfui daß Du fragtest!
Pfui daß ich geantwortet!
Das Amulett für die Kuh
Wollte die Frau für sich selbst.”
Dann ging er fort und konnte sich der Bauersfrau fortan nimmermehr nähern.
 
Das Trollbier
(Dänemark)
In einem Hof bei Roskilde wohnte ein Mann, der hieß Peter Andersen, und in einem Hügel auf seinem Gut wohnten Trolle. Die hatten eines Tages Hochzeit, und spät in der Nacht ging ihr Bier aus. Da ging der Troll zum Bauern, der erst kürzlich gebraut hatte, klopfte bei ihm an und sagte: „Willst du mir nicht aushelfen und mir ein Faß Bier leihen, Peter Andersen, du sollst es wiederbekommen, wenn wir gebraut haben." -„Wer bist du und wo wohnst du?" fragte der Bauer. „Ich bin der Mann aus dem Hügel dort oben", sagte der Troll. „Ja, geh in den Keller hinunter und nimm dir ein Faß", sagte der Bauer. Der Troll holte sich das Bier und ging damit heim. Einige Nächte darauf kam der Troll wieder ans Haus und klopfte an. Der Bauer wachte auf und fragte: „Wer klopft da?" - „Ich", gab der Troll zur Antwort, „ich bringe das Bier, das ich von dir geliehen hatte; ich habe es in den Keller gestellt; du sollst Dank haben für deine Gefälligkeit, und wenn du nicht in das Faß hineinschaust, so kannst du so viel daraus zapfen, wie du willst, dann wird es nie leer." Eine lange Zeit ging es gut; sie zapften und zapften, und es war immer Bier darin, und niemand schaute in das Faß. Aber eines Tages hatten sie eine neue Magd, und die konnte nicht begreifen, wie das zuging; sie sah die Leute niemals brauen und sie hatten doch immer Bier. Da nahm sie sich vor, in das Faß hineinzuschauen, ob es noch nicht bald leer sei. Aber wie erschrak sie, als sie sah, daß das Faß voller Kröten war! Von da ab war kein Bier mehr darin.
 
Der Lohn guter Thaten
(Dänemark)
Es war einmal ein Mann, der in einen Wald gegangen kam, um sich etwas Brennholz zu schlagen. Er ging umher und sah einen Baum nach dem andern an; aber sie waren für diesen Gebrauch allzu gut; es konnte Nutzholz aus ihnen werden, wenn sie stehen blieben, so daß er sie nicht fällen mochte. Endlich fand er doch einen Baum, der ihm nicht zu gut dünkte: derselbe war krumm und verkrüppelt und welk und faul; den fand er zur Feuerung passend, und er begann auf ihn loszuschlagen. Da sprach jemand zu ihm und sagte: »Hilf mir, daß ich loskomme, mein guter Mann!« Und als er zusah, wer es sei, da war es eine große Viper, die sich in dem Baume festgeklemmt hatte; sie war in eine Spalte eingequetscht und vermochte sich nicht selbst wieder zu befreien. »Nein, ich will dir nicht helfen,« sagte der Mann, »denn sonst fügst du mir Schaden zu.« Die Schlange sagte: Nein, sie werde ihm nichts zu leide thun, er solle sie doch losmachen. Da schob der Mann ganz vorsichtig seine Axt in die Spalte unter der Schlange, so daß sie befreit wurde. Aber kaum war sie losgekommen, da ringelte sie sich an ihm empor und wies ihren Giftstachel und zischte und wollte ihn stechen. »Sagte ich es nicht,« versetzte der Mann, »daß du eine Canaille wärest, die Gutes mit Bösem belohnen würde!« - »Ja,« antwortete die Schlange, »du hast gut reden; aber in der Welt geht es so zu, daß alle guten Thaten schlecht belohnt werden.« - »Das ist nicht wahr,« sagte der Mann, »gute Thaten werden gut belohnt.« - »Darin wird dir niemand recht geben,« sagte die Schlange; »ich weiß besser, wie es in der Welt zugeht.« - »Laß uns Umfrage halten!« sagte der Mann. »Meinetwegen!« sagte die Viper. Sie ließ ihn nicht los, sondern er mußte mit ihr durch den Wald gehen, bis sie einer alten Kracke begegneten, die auf der Weide ging. Sie war lendenlahm und vom Sattel wundgerieben; sie war auf dem einen Auge blind und hatte nur noch ein paar elende Zahnstummeln im Maule. Die frugen sie, ob gute Thaten gut oder schlecht belohnt würden. »Sie werden schlecht belohnt,« sagte das Pferd; »ich habe jetzt meinem Herrn zwanzig Jahre lang treu gedient, ihn auf meinem Rücken getragen und seine Kalesche gezogen, bei jedem Schritte auf meinen Fuß geachtet, damit ich nicht straucheln und er dadurch zu Schaden kommen möchte. So lange ich jung und stark war, hatte ich gute Tage und ward gefüttert und getränkt und gestriegelt, hatte meinen guten Stall und reichliche Streu; aber jetzt, da ich alt und schwach geworden bin, muß ich den lieben langen Tag in der Tretmühle gehn, komme nie unter Dach und Fach und erhalte kein anderes Futter, als was ich mir selbst ausrupfe. Nein, gute Thaten werden nur schlecht belohnt.« »Da hörst du's,« sagte die Viper, »jetzt steche ich dich.« - »Ach nein,« sagte der Mann, »warte doch einen Augenblick! Dort kommt Reineke Fuchs; laß uns ihn um seine Ansicht fragen.« Reineke kam herangeschlichen und blieb stehen und blickte sie an: er sah wohl, daß der Mann in einer schlimmen Lage war. Da frug die Viper Meister Reineke, ob es sich so verhalte, daß gute Thaten schlecht belohnt würden, oder ob sie gut belohnt würden. »Sage: gut!« flüsterte der Mann, »dann bekommst du zwei fette Gänse.« Die Schlange hörte nichts von dem Geflüster. Da sagte Reineke: »Gute Thaten werden gut belohnt,« und im Nu sprang er hinzu und biß die Schlange in den Nacken, daß sie zur Erde fiel. Allein ehe sie starb, konnte sie doch noch sagen: »Nein, gute Thaten werden schlecht belohnt; das mußte ich erfahren, da ich das Leben des Mannes schonte, bis er mir das meinige raubte.« Nun war die Viper todt, und der Mann war frei. Er sagte also zu Reineke: »Komm mit nach Hause und nimm deine Gänse in Empfang!« - »Nein, danke schön!« sagte Reineke; »ich gehe nicht ins Dorf; denn da bekäme ich die Hunde auf den Hals!« - »So warte hier, bis ich sie dir bringe!« sagte der Mann, und dann lief er nach Hause und sagte in aller Hast zu seiner Frau: »Mach schnell, und stecke zwei fette Gänse in einen Sack! die hab' ich Reineke Fuchs heute zum Frühstück versprochen.« Die Frau nahm auch einen Sack und steckte etwas hinein; aber es waren keine Gänse: es waren zwei bissige Hunde, die sie besaßen. Der Mann eilte mit dem Sack zum Fuchse hinaus und sagte: »Da hast du deinen Lohn.« - »Danke,« sagte der Fuchs, »so war es doch keine Lüge, was ich vorhin sagte: daß gute Thaten gut belohnt werden.« Damit nahm er den Sack auf den Rücken und lief in den Wald hinein. »Sie sind tüchtig schwer,« sagte Reineke, dann setzte er sich nieder und zerbiß die Schlinge des Sackes mit seinen scharfen Zähnen. Aber im Nu schossen die beiden bissigen Hunde aus dem Sack heraus und sprangen ihm an den Hals. Er konnte sich nicht von ihnen losmachen; sie bissen ihn ganz todt. Allein er konnte doch noch sagen: »Nein, es war doch eine Lüge, was ich vorhin sagte; gute Thaten werden schlecht belohnt.«
 
Der Gang in die Mühle
(Dänemark)
Es war einmal eine Frau, die hatte einen großen Sohn, aber er war nicht recht bei Verstand, und sie konnte ihn nirgends hinschicken mit einem Auftrag, denn er konnte sich nie merken, was man ihm gesagt hatte. Eines Tages wollte sie gerne zwei Scheffel Buchweizen aus der Mühle haben und dachte, das könne er doch wenigstens besorgen, und sagte zu ihm: »Kannst du mir aus der Mühle zwei Scheffel Buchweizen holen?« - »Ja, freilich«, sagte er. »Aber vergiß es nicht!« sagte sie. Nein, er wolle es nicht vergessen, sagte er, denn er gab immer pünktlich Antwort. »Du solltest es unterwegs immer vor dich hinsagen!« Also ging er hin und sprach immer vor sich hin: »Zwei Scheffel. Zwei Scheffel. Zwei Scheffel.« Aber schließlich sprach er so laut, daß jeder es hören konnte. Da kam er an einem Mann vorbei, der Korn säte. Als der hörte, was der Bursche sagte, ärgerte er sich, denn er hatte sieben Tonnen gesät, und nun schien ihm der Bursche vorauszusagen, daß er nur zwei Scheffel ernten würde. »Du Lausekerl, ich will dir helfen!« und damit gab er ihm etliche Hiebe. »Untersteh dich, so zu sagen!« - »Ja, was soll ich denn sonst sagen?« - »Du sollst sagen: Gott, gib hundertfach!« Das war ihm recht, und er ging seiner Wege und sagte in einem fort: »Gott, gib hundertfach! Gott, gib hundertfach!« Da kam er an einem Gehöft vorbei, wo man eben Jagd auf die Ratten machte. Als ihn da die Leute so rufen hörten, wurden sie ganz wütend, weil er ihnen das Hundertfache wünschte, und so bekam er wieder einen Buckel voll Schläge. »Halt dein Maul, du Lausekerl, mit solchem Gerede!« sagten sie, als sie ihn losließen. »Ach ja, ich will schon«, sagte der Bursche und flennte jämmerlich, »aber, was soll ich denn sagen?« - »Du sollst sagen: Weg mit dem Teufelszeug!« - Dazu war er wohl bereit und ging weiter und rief, wie er gehört hatte: »Weg mit dem Teufelszeug! Weg mit dem Teufelszeug!« Da kam er bald darauf an einem Leichenzug vorbei. Als die Leute hörten, was der Bursche rief und was er da über den Toten sagte, wurden sie so zornig, daß sie ihn am Schlafittchen packten und gehörig versohlten. »So darfst du nicht sagen, du Lump!« schrien sie und zogen ihm noch ein paar Tüchtige über. Da fragte er ganz jämmerlich, was er denn eigentlich sagen sollte? »So trägt man einen Toten zu Grab!« sagten sie ihm. Dazu war er bereit und ging wieder seines Weges weiter, aber nun rief er: »So trägt man einen Toten zu Grab! So trägt man einen Toten zu Grab!« Da begegnete er einem, der ging auch rasch seines Weges und hatte einen Windhund mit sich, den er verkaufen wollte. Als er hörte, was der Bursche da rief, ärgerte er sich, denn er meinte, er wolle ihn verspotten. Und er packte den Burschen und gab ihm eine Tracht Prügel. »Was brauchst du Lumpenkerl das zu rufen! Nun sollst du es nur noch einmal probieren!« - »Aber, was soll ich denn sonst sagen?« fragte er. »Du mußt sagen: So führt man einen Hund zum Markt!« gab er zur Antwort. Das wollte er gern sagen und ging weiter und rief, was er nun gelernt hatte: »So führt man einen Hund zum Markt! So führt man einen Hund zum Markt!« Da kam er an einen Hof, wo man eben die Tochter auf den Wagen hob. Sie war als Hochzeiterin gekleidet und fuhr zur Trauung in die Kirche. Als die Leute hörten, was der Bursche rief, meinten sie, er schelte die Braut einen Hund, und sie packten ihn und prügelten ihn fürchterlich und gaben ihm zu verstehen, daß er nur nicht probieren solle, seinen Ruf zu wiederholen. »Ja, was soll ich denn sonst sagen?« jammerte der arme Bursche, der nun schon ganz mürbgeschlagen war. - »Du sollst sagen: Hier ist Freude im Hause!« sagten die Leute. Dazu war er bereit und ging seines Weges und rief, so schön er konnte - es war doch ein jämmerliches Geflenne - »Hier ist Freude im Hause! Hier ist Freude im Hause!« Schließlich kam er an einen Hof, der stand in hellen Flammen, und es standen viele Leute herum und versuchten zu löschen. Als sie hörten, was der Bursche rief, wurden sie auch zornig. »So darfst du nicht sagen!« brüllten sie. »Du elender Hund! Willst du sagen, daß hier Freude im Hause ist? Bei dem schrecklichen Unglück, das passiert ist!« Und sie wurden seiner habhaft, denn einer solchen Menge konnte er nicht entkommen, auch wenn er gewollt hätte, und so bekam er noch die schlimmste Tracht von allen Prügeln, die ihm bisher geblüht hatten. »Aber, was soll ich denn sagen?« jammerte der Bursche. - »Du sollst sagen: Gott, still Wetter und Wind!« Das ließ er sich gesagt sein und ging seiner Wege und rief den Spruch. Schließlich kam er an die Mühle. Da stand der Müller und rückte an den Flügeln, denn die Mühle wollte nicht gehen, weil es windstill war, und darüber war der Müller sehr ärgerlich, weil er viel zu mahlen hatte. Deshalb fuhr er auf den Burschen los, als er ihn rufen hörte: »Mußt du elender Kerl auch noch kommen und so rufen!« Und auch hier setzte es wieder einige hintenüber. Aber der Bursche war nun so verprügelt und erschrocken, daß er gleich zu weinen anfing, und das wurde so heftig, daß er rein vergaß, was er zuletzt gesagt hatte, und was er besorgen sollte, das hatte er schon längst vergessen. Der Müller konnte nichts aus ihm herausbekommen, obgleich er ihn kreuz und quer ausfragte. Schließlich kam er darauf zu sagen: »Wer hat denn gesagt, du solltest rufen: Gott, still Wetter und Wind?« Das wußte er noch; es seien die Leute gewesen auf dem Hof, der in Flammen stand. »Sie haben mich geschlagen und gesagt, ich sollte nicht so rufen.« »Wie solltest du denn nicht rufen?« Nun fiel ihm auch das wieder ein. »Ich sollte nicht sagen: Hier ist Freude im Haus.« »Wer hat denn gesagt, du solltest das rufen?« Das wußte er auch noch: »Das haben mich die Leute in dem Hof geheißen, wo man eine Frau auf den Wagen hob, denn sie haben mich geschlagen und gesagt, ich dürfe nicht so rufen.« »Was hast du denn da gesagt?« forschte der Müller weiter. »Ich sagte in einem fort: So führt man einen Hund zum Markt.« - »Und wer hat dich denn das gelehrt?« - »Das hat einer getan, der führte einen Hund«, sagte der Bursche, »er hat mich auch geschlagen und gesagt, ich solle nicht so rufen.« - »Was hast du denn da gesagt?« - »Ich sagte immerzu: So trägt man die Toten zu Grab«, sagte der Bursche; er konnte nun antworten wie geölt, nachdem der Müller am richtigen Ende zu fragen angefangen hatte. »Wer hat dich denn geheißen, so zu rufen?« - »Das waren die Leute in einem Haus am Weg, da trug man eben einen toten Mann hinaus, und sie haben mich geschlagen und gesagt, ich dürfe nicht so rufen.« - »Na, was hast du denn da gerufen?« - »Ich habe immerzu gerufen: Weg mit dem Teufelszeug!« - »Und wer hat dich denn geheißen, so zu rufen?« »Das waren die Leute in einem Hof, die Ratten totschlugen«, sagte der Bursche, »sie haben mich geschlagen und gesagt, ich solle nicht so rufen.« - »Was hast du denn da gesagt?« - »Wart ein wenig, jetzt fällt es mir ein, da ging ich meines Weges und sagte: Gott, gib hundertfach, und das ärgerte sie.« - »Aber nun laß mich wissen, wer hat dich denn das gelehrt?« - »Das war ein Mann, der sagte, ich solle so rufen; er ging auf dem Feld neben der Straße und säte und ärgerte sich, als ich kam und schlug mich und sagte, ich dürfte nicht so rufen.« - »Aber, was hast du denn da gerufen?« sagte der Müller. »Da habe ich gesagt: Zwei Scheffel! Zwei Scheffel! Halt, zwei Scheffel Buchweizen sollte ich holen!« Nun bekam der Bursche seine zwei Scheffel Buchweizen, und damit ist die Geschichte aus.
 
Der Schatz
(Dänemark)
Es war einmal ein armer Bauersmann, der im Frohndienste auf dem Felde seines Gutsherrn pflügte. Plötzlich stieß er mit dem Pfluge so heftig gegen etwas, daß er stecken blieb. Er glaubte, daß es ein Stein sei, als er aber genauer nachsah, fand er, daß es ein großer Schrein voll alten Geldes war. Es war sowohl Silber- als Goldgeld, das man vor vielen hundert Jahren einmal in Kriegszeiten vergraben haben mochte. Der Bauersmann stopfte seinen Futtersack mit dem Gelde voll und schleppte es mit sich nach Hause, denn er hielt sich so gut für berechtigt den Schatz zu behalten als irgend ein anderer. Der rechte Eigenthümer mußte ja doch schon lange und vor vielen Vorfahren des jetzigen Gutsherrn gestorben sein. Trotzdem fürchtete er aber, daß ihm der Gutsherr das Geld nehmen würde, wenn er erführe, daß es auf seinem Feld gefunden sei. Deshalb erzählte er auch niemanden etwas davon außer seiner Frau, diese bat er aber, es gegen jedermann zu verschweigen. Aber sie konnte doch nicht reinen Mund halten und mußte es einigen guten Freundinnen mittheilen, wodurch sie zu ihrem Wohlstand gekommem seien. Allerdings bat sie jede einzeln, niemandem etwas davon zu sagen, aber die konnten es auch nicht bei sich behalten, bis schließlich das Gerücht von dem Schatz, der auf herrschaftlichem Felde gefunden wurde, dem Gutsherrn selbst zu Ohren kam. Nachdem er es also vernommen hatte, ritt er zu dem Anwesen des Mannes, das einsam draußen auf der Haide lag, hin. Es war aber niemand außer der Frau daheim, denn der Mann war eben in die Stadt gefahren, um einiges Geld umwechseln zu lassen. Und als der Gutsherr die Frau ausfragte, so sagte sie ihm alles, was sie wußte: - daß ihr Mann einen Haufen altes Geld draußen auf dem Feld gefunden habe, daß er aber jetzt nicht zu Hause sei und sie wüßte nicht, wo er das Geld hingethan. Daraufhin wollte es der Gutsherr für heute gut sein lassen und abwarten, bis er ein andermal beide antreffen und ins Gebet nehmen könnte. Als der Bauersmann heimkam, erzählte ihm seine Frau wieder alles, er gab ihr zwar kein böses Wort für ihre Schwatzhaftigkeit, aber er hatte seine eigenen Gedanken dabei. Am nächsten Tage spannte er die Pferde vor den Wagen und bat seine Frau, mit ihm zu fahren, und so fuhren sie zusammen in die Stadt, ließen dort den Rest des alten Geldes einwechseln und legten daselbst ihr Geld gut an. Dann kaufte er ein Fuder Semmeln ein und füllte damit seinen Futtersack. Er traktirte seine Frau gut in der Stadt und gegen Abend stiegen sie wieder auf den Wagen und fuhren ihrer Heimat zu. Es war schon tief im Spätherbst und es regnete und der Wind blies heftig, als sie am dunklen Abend heimwärts fuhren. Aber die Frau hinten auf dem Rücksitz, die in der Stadt so gut traktirt worden, war fröhlich und guter Dinge und schlummerte den ganzen Weg. Als sie ein gutes Stück auf der Landstraße gefahren waren, wurde sie von einer Semmel, die ihr auf den Kopf, und wieder von einer, die ihr in den Schoß fiel, aufgeweckt, und sobald sie wieder am Einschlafen war, regnete es aufs neue Semmeln über sie. Und das kam daher, weil ihr Mann die Semmeln so in die Luft warf, daß sie auf sie fallen mußten. »Aber Mann!« rief sie aus, »was ist denn das? Mir scheint es regnet gar Semmeln.« - »Ja,« sagte der Mann, »das thut es, es ist ein entsetzliches Wetter!« Dann kamen sie auch am Gutshof vorüber und gerade als sie daran vorbeifuhren, wurde die Frau von dem Geschrei eines Esels aufgeweckt. »Was war denn das wieder?« fragte sie und es war ihr schon ganz unbehaglich zu Muthe. »Ja, darüber darf man eigentlich nicht reden,« antwortete der Mann, »wenn ich aber die Wahrheit sagen und nicht lügen soll, ist es der Teufel gewesen, welcher dem Gutsherrn einmal Geld geliehen und ihn nun plagt, weil er ihm die Zinsen nicht bezahlen will. Und er peitscht ihn bis er heult.« - »Huh!« sagte Frau schauernd, »tummle dich, daß wir von da weiter kommen!« Da hieb der Mann mit der Peitsche in die Pferde ein und sie kamen wohl und glücklich zu Hause an. Als sie aber daheim waren, sagte der Mann: »Höre Weibchen, das waren schlimme Dinge, die ich heute in der Stadt hören mußte, der Feind ist in unser Land eingebrochen und noch heute Nacht wird er hier sein. Darum mußt du dich im Kartoffelkeller verkriechen, damit du keinen Schaden erleidest, ich aber will hier bleiben und unser Eigenthum so gut beschützen als ich kann.« Auf diese Weise brachte er sie in den Keller hinunter, dann nahm er seine Büchse zur Hand, ging vor den Hof hinaus und rief und schoß - es waren zwar nur blinde Schüsse, die aber doch einen Heidenlärm machten. Und so machte er es die ganze Nacht hindurch, bis er gegen Morgen seine Frau aus dem Kartoffelkeller holte und zu ihr sagte: »Ja, ich hielt mich doch. Die meisten Feinde schoß ich über den Haufen und die übrigen ergriffen schließlich die Flucht und nahmen ihre todten Kameraden mit.« - »Nun, Gott sei Dank!« sagte die Frau, »es lief gut ab, aber ich habe die ganze Nacht eine schreckliche Angst ausgestanden!« Darauf legte sie sich ins Bett und schlief sich gehörig aus auf den Schrecken. Einige Tage später kam der Gutsherr herausgeritten und traf zuerst den Mann vor dem Hause und fragte ihn: »Was ist es denn mit dem Schatz, den du auf meinem Feld gefunden hast?« - Ja, davon wußte der Mann gar nichts. - »Ah, papperlapapp!« rief der Gutsherr aus, »es hilft dir nichts, wenn du auch leugnest, denn deine Frau hat es ja schon selbst eingestanden - ich weiß alles aus ihrem eigenen Munde.« - »Ja,« antwortete der Mann und deutete auf die Stirne, »bei meiner Frau ist es manchmal da oben nicht recht richtig. Man kann ihr da nicht alles glauben, was sie sagt.« Da rief der Gutsherr die Frau heraus und fragte, ob es nicht so sei, wie sie gestanden, daß ihr Mann auf dem Felde einen Haufen Geld gefunden habe. »Freilich, freilich,« antwortete die Frau, »und ich war selbst mit in der Stadt, als wir das Geld einwechselten.« - »Wann war das?« fragte der Gutsherr. »Ja, das war damals, als wir das entsetzliche Wetter hatten und wie es Semmeln herunter regnete.« »Ach, Unsinn, dummes Zeug!« rief der Gutsherr; »wann war das?« - »Ja, das war gerade am Tage vor der großen Schlacht, die da auf dem Felde stattfand, als der Feind ins Land eingebrochen war,« antwortete dann die Frau. »Was, Schlacht und Feinde?!« sagte der Gutsherr, »ich glaube, die Person ist verrückt. Wann war es, daß ihr in der Stadt gewesen seid, um das Geld wechseln zu lassen, frage ich?« Da weinte die Frau, und so sehr sie sich dagegen sträuben mochte, es mußte ja heraus: »Es war am selben Tag,« sagte sie, »als Euch der Teufel am Abend plagte - und Euch aus dem Garten hinauspeitschte.« - »Was sagst du da?« schrie der Gutsherr; »dann soll dich der Teufel plagen und peitschen für den Unsinn, den du zusammenschwätzest!« Damit peitschte er sie zur Thüre hinein, schwang sich auf sein Pferd und ritt dann seiner Wege, und fragte von da an nie mehr nach dem Schatze. Aber der Bauersmann kaufte sich einen großen Hof in einer andern Gegend und lebte dort glücklich und vergnügt mit seiner Frau. Sie verhalf ihm doch zu all seinem Glück, so wenig sie es selbst auch wußte.
 
Der treue Svend
(Dänemark)
Es waren einmal ein Vater und eine Mutter, die einen Sohn hatten, welcher Svend hieß und in die Welt hinaus sollte, um sich sein Brod zu verdienen. Der Vater gab ihm die Ermahnung mit, er möge immer mit den Lachenden lachen und mit den Weinenden weinen, mit den Fröhlichen fröhlich und mit den Betrübten betrübt sein. Und die Mutter fügte hinzu, er möge nie an einer Kirche vorübergehen, ohne dort einzutreten und den Segen mit auf den Weg zu nehmen. Svend diente nicht lange nachher auf einem Edelhofe, wo seine Herrschaft so gut mit ihm zufrieden war, daß er von dem einen Posten zum anderen aufstieg und bald ihr vertrautester Diener war. Darüber wurden seine Mitdiener neidisch, und besonders war einer da, welcher nie eine Gelegenheit vorübergehen ließ, wenn er ihn verleumden konnte. Er bat einmal den Herrn, darauf zu achten, daß, wenn die gnädige Frau lache, Svend mitlache; wenn sie weine, so weine Svend ebenfalls; wenn sie fröhlich sei, sei Svend ebenfalls froh; und wenn sie betrübt sei, lasse er den Kopf hängen. Das war ganz richtig. Der Herr bemerkte es, und er begann sowohl von Svend wie von seiner Frau Arges zu denken. Er ward immer mißtrauischer und ergrimmter gegen seinen vertrauten Diener, und endlich beschloß er, sich seiner auf die Art zu entledigen, daß er ihn mit einem Auftrage zu einer Ziegelbrennerei sende, die er besaß, und wo er zuvor Befehl gegeben hatte, daß man den Ersten, der mit einem Auftrag von ihm käme, ergreifen und ihn in den glühenden Ofen werfen solle. Svend brach sogleich auf, als ihm aufgetragen wurde, etwas in der Ziegelbrennerei zu bestellen; allein unterwegs kam er an einer Kirche vorbei, und er vergaß nicht, zu thun, was seine Mutter ihn geheißen hatte: er ging hinein, um auch bei diesem Gange den Segen mit auf den Weg zu nehmen. Der böse Diener, welcher Svend bei ihrem Herrn verleumdet hatte, machte sich gleich nachher auf den Weg, denn er wollte sich überzeugen, daß Svend wirklich in den Ofen gewandert sei. Er trat nicht in die Kirche ein, so daß er zuerst nach der Ziegelbrennerei kam und auf der Stelle ergriffen und in den glühenden Ofen geworfen ward. Aber Svend, der sich ein wenig in der Kirche aufgehalten hatte, kam erst später zum Ziegelofen, richtete seinen Auftrag aus und kehrte dann unversehrt zum Hofe zurück, ohne eine Ahnung von dem zu haben, was vorgefallen und welchem Geschick er entronnen war. Sein Herr war sehr erstaunt, ihn wiederzusehen, und fragte ihn aus, ob er sogleich zum Ziegelofen gegangen sei. Svend bekannte, daß er unterwegs in eine Kirche getreten sei, um den Segen mit auf den Weg zu nehmen, wie er seiner Mutter versprochen habe; und zugleich erzählte er die ganze Ermahnung, welche er daheim von Vater und Mutter mit auf die Wanderschaft bekommen habe. Da begriff der Herr, daß Svend ein treuer und braver Diener sei, und daß der Verleumder nur den verdienten Lohn bekommen habe. Von der Zeit an nannte sein Herr ihn niemals anders als den treuen Svend, und er überzeugte sich jeden Tag mehr und mehr, daß er sich in allem ganz auf ihn verlassen könne. Da geschah es eines Tages, daß ein fremder Gutsherr zum Besuch auf den Hof kam, und das Gespräch sich auf Dienertreue lenkte. Der fremde Gutsherr sagte, es gäbe keinen, auf den man sich ganz verlassen könne. Jeder sei ein Spitzbube in seinem Gewerbe, und keiner bleibe länger bei der Wahrheit, als er seinen Vortheil darin sehe. Aber der Wirth sagte, er habe einen Diener, seinen treuen Svend, der habe nie eine Lüge gesagt und werde es auch nicht thun, möge die Wahrheit ihm nun Nutzen oder Schaden bringen. Der fremde Gutsherr meinte, er werde ihn schon dazu bewegen, und sie gingen eine Wette darüber ein, und jeder von ihnen setzte seinen Edelhof aufs Spiel. Dann wurde Svend herein gerufen, und erhielt den Auftrag, der Frau des fremden Gutsherrn einen Brief zu überbringen. Er erhielt einen der besten Anzüge seines Herrn und dessen bestes Pferd aus dem Stalle, und dann ritt er fort und sollte an demselben Abend wieder heim kommen. In dem Briefe, den der fremde Gutsherr ihm für seine Frau mitgegeben hatte, war genau vorgeschrieben, wie man ihn aufnehmen sollte. Er wurde daher wie ein feiner Herr aufgenommen. Das Pferd wurde in den Stall geführt, und er mußte sich mit der gnädigen Frau obenan zu Tische setzen, und sie stieß mit ihm an und brachte Gesundheiten aus; und es waren andere zugegen, die auch mit ihm tranken, und sie ließen nicht ab, bis sie ihn betrunken gemacht hatten. Dann ließen sie Karten bringen, und er mußte mitspielen, und wie es nun zugegangen sein mochte oder nicht, sie sagten, er habe alles verspielt, was er bei sich gehabt, nicht nur sein Geld, sondern auch die schönen Kleider, die er anhabe, und das beste Pferd seines Herrn, auf dem er hergeritten sei. Dann zogen sie ihm die Kleider aus und legten ihn in ein Bett, und erst spät am anderen Tage hatte er seinen Rausch ausgeschlafen. Die Kleider, in denen er hergekommen, hatte er ja verspielt, und das Pferd obendrein. Man gab ihm also ein Paar elende Lumpen, die er anziehen mußte, und einen Stock in die Hand und setzte ihn vor die Thür. In diesem kläglichen Aufzuge mußte er sich auf den Heimweg begeben, und er mochte seine Beine gebrauchen, so gut er wollte, er konnte doch vor Abend nicht nach Hause gelangen. Der treue Svend war an diesem Tage sehr übel mit sich zufrieden, und wie er so des Weges dahin stolperte, meinte er, es sei ihm doch ganz unmöglich, dem Herrn zu erzählen, wie er sich benommen habe. »Es wird schlimm,« dachte er, »wenn ich nach Haus komme. Ich kann mir schon denken, was der Herr mich fragen wird; aber was ich dann antworten soll, ist nicht so leicht zu sagen.« Als er jetzt dem Hofe so nahe gekommen war, daß er ihn vor sich liegen sah, wollte er eine Probe machen. Er steckt also seinen Stock in die Erde und hängt seinen alten Pracherhut auf denselben. »Jetzt bist du der Herr,« sagt er. Dann entfernt er sich ein Paar Schritte von demselben und sagt zuerst: »Willkommen, treuer Svend!« Mit den Worten, dachte er, würde sein Herr ihn begrüßen. »Danke, gnädiger Herr!« Das war eben so aufrichtig. Dann sagt er: »Aber wie siehst du aus? Wo sind Pferd und Kleider?« - »Ja, gnädiger Herr, die hab' ich verloren. Draußen im Walde ward ich von Räubern überfallen, und sie plünderten mich aus und nahmen mir Pferd und Kleider ab, und ich rettete nichts als das nackte Leben.« Es schien ihm, als schüttele der Hut dazu den Kopf, mochte ihn nun der Wind bewegen, oder was es sonst war. Die Erklärung tauge nichts, merkte er wohl. »Und sage ich das,« dachte er, »so schickt der Herr Leute nach allen Richtungen aus, um nach den Räubern zu suchen. Aber es sind keine zu finden, und kein Mensch hat sie gesehen. Dann stehe ich als ein Lügner da.« Dann entfernte er sich wieder ein Paar Schritte von dem Stocke und begann von neuem: »Willkommen, treuer Svend!« - »Danke, gnädiger Herr!« - »Wie siehst du aus? Wo sind Pferd und Kleider?« - »Ich hatte mich verirrt und kam in ein Moor, und dort versank das Pferd im Sumpfe, so daß ich hinabspringen mußte und nichts retten konnte.« - Nein, es schien ihm wieder, als schüttele der Hut mit dem Kopfe, und er dachte bei sich selber: »Wenn ich das sagte, so würden sie hingehen und nach dem Pferde suchen, und irgend etwas von den Kleidern müßte doch auch zu finden sein. Nein, das geht auch nicht.« Dann trat er wieder ein Paar Schritte von dem Stocke zurück, wandte sich zu demselben um und begann, wie vorhin: »Willkommen, treuer Svend!« - »Danke, gnädiger Herr!« - »Aber wie siehst du aus? Wo sind Pferd und Kleider?«

»Schwül war's, und der Meth so lieblich floß,
Drum verlor ich Kleider und rothes Roß.«

Da schien ihm der Hut zuzunicken. »Ja, so war es,« sagte er, »und so muß es sein.« Dann setzte er den alten Hut wieder auf sein Haupt und nahm den Stock in die Hand, und schritt geradesweges zum Hofe. Er ging zum Herren hinauf, und der fremde Gutsherr war ebenfalls dort. Aber sein Herr begann nicht damit, ihn willkommen zu heißen, und er nannte ihn auch nicht »treuer Svend;« er fuhr ihn sehr barsch an: »Plagt dich der Teufel, Svend? Hast du mein Pferd und meine guten Kleider verlottert?« - »Ja,« sagte der treue Svend,

»Schwül war's, und der Meth so lieblich floß,
Drum verlor ich Kleider und rothes Roß.«

Und er erzählte weiter, wie alles gekommen sei: er habe sich betrunken und alles verspielt. »Du hast doch das Spiel gewonnen, treuer Svend!« sagte sein Herr; »denn jetzt kannst du den Edelhof in Besitz nehmen, auf dem du gestern zu Gaste warst; er soll dir fortan gehören.« Und so geschah es auch, daß der treue Svend Gutsherr wurde, und zwar weil er immer bei der Wahrheit geblieben war.
 
Des Königs Kapital
(Dänemark)
Es waren einmal ein Mann und eine Frau, und die hatten einen Sohn. Sonst hatten sie aber auch nichts; - nicht einmal ihr trockenes Brod. Als der Knabe so groß geworden war, daß die Eltern meinten, er könne sich jetzt selbst erhalten, gaben sie ihm eine Brodrinde, setzten ihn vor die Thüre und sagten, daß er nun in die weite Welt hinaus ziehen müsse, um sein Glück zu versuchen. Der Knabe zog geradenwegs an den Hof des Königs und ging hinein und fragte, ob er hier keinen Dienst bekommen könnte. Er wollte alles thun, was man von ihm verlangte, wenn es nur eine ehrliche Arbeit wäre, und er verlangte keinen andern Lohn dafür, als nur das Essen. Der König konnte ihn aber zu nichts anderem brauchen, als höchstens zu seinem Laufburschen, der allerlei Gänge zu machen und verschiedenes auszurichten hatte, wenn er einen Auftrag bekam und irgendwo hingeschickt wurde. Der Knabe meinte, daß dies gerade etwas recht Passendes für ihn sei, denn er konnte ja noch keine so schweren Arbeiten wie die Knechte verrichten, aber er war rasch und leicht auf den Füßen und das Herumlaufen freute ihn, weil er sich bei der Gelegenheit gleich ein wenig umschauen konnte. Er wurde hier aufgenommen und bekam viel zu thun, und verrichtete alles, was man ihm auftrug, zur größten Zufriedenheit. Einmal bekam er auch einen sehr wichtigen Auftrag. Der König war nämlich Wittwer und wollte sich wieder verheiraten; und zwar wollte er eine hübsche, steinreiche Königin, die ihm sehr gut gefiel, freien. Aber es war sehr schwer Zugang bei ihr zu finden. Deshalb wurde auch der Bursche mit diesem Auftrag betraut, und er war so glücklich und verrichtete alles wieder so gut, daß er seinem Herrn ein »Ja« bringen konnte, der sich dann mit der reichen und schönen Königin verheiratete. Seit dieser Zeit stieg der Bursche in der Gunst des Königs und bekam sowohl hübsche Kleider, als auch einen guten Lohn. Darüber ärgerte sich Ritter Roth, der Haushofmeister oder so etwas bei diesem König war, und er dachte nur darauf, wie er den Burschen aus dem Weg räumen könnte, bevor er ihm in den Weg käme. Da erzählte er eines Tags dem König in dieser Absicht, daß sich der Bursche gerühmt habe, jeden Auftrag vollführen zu können, und wenn ihn der König geradeaus in die Hölle schicken wollte, um die Zinsen für sein Kapital, die er schon so lange ausstehen hatte, aber noch nie bekommen konnte, zu holen - er sei Manns genug dazu, um das zu können! Das hatte der Bursche allerdings nie gesagt, denn er hatte ja noch nicht einmal etwas von den ausstehenden Forderungen gehört, und das sagte er auch dem König, der ihn zu sich rufen ließ. Aber alles half dem Burschen nichts, rein gar nichts! Der König befahl ihm einfach, daß er diesen Auftrag ausführen müsse; und da er einen sehr weiten Weg zu machen hatte, sollte der Laufbursche diesmal reiten, und dazu gab ihm der König einen eigenen Ziegenbock. Der Laufbursche bekam noch einen Sack mit Lebensmitteln gefüllt, setzte sich dann auf den Geisbock und ritt mit ihm hinaus in die weite Welt, wohin der Bock wollte. - Der Geisbock trug ihn zu einem großen Wald, und als er ein gutes Stück hineingekommen war, wurde er von einem Raben angesprochen, der ihn fragte, wohin er wolle. »Ich muß in die Hölle, Zinsen für meinen König abzuholen,« antwortete der Bursche. »Das ist eine weite Reise und noch dazu eine gefährliche,« sagte der Rabe wieder; »und wenn du meinem Rath folgen willst, dann grabe hier bei der Wurzel dieses Baumes, auf dem ich sitze, nach und da wirst du ein Schwert finden; und alles, das du mit diesem schlagen wirst, muß in Stücke gehn. Und dann möchte ich dir noch den Rath geben, nie von der geraden Landstraße abzuweichen.« Der Bursche grub bei der Wurzel des Baumes nach und fand wirklich ein Schwert. »Das wird schon das rechte sein,« dachte er bei sich und dankte dann dem Raben für seine guten Rathschläge und ritt geradeaus auf der Landstraße weiter. Als er ein gutes Stück weit vorwärts geritten, kam ein altes Weib hinter ihm drein, welches auf einer Ziege saß, und das war des Teufels Großmutter. Sie ritt an seine Seite und fragte ihn, ob er sein »Roß« nicht mit ihr tauschen wollte. »Nein,« sagte der Bursche, er wolle das behalten, das er habe und das ihm sein Gebieter zum Reiten gegeben. Dann versuchte sie ihn vom rechten geraden Weg, den er eingeschlagen, wegzulocken und sagte, daß sie einen sehr guten Seitenweg wisse, der noch dazu viel näher wäre. Aber der Bursche sagte, daß er schon lieber auf der geraden Landstraße bleibe. Da bog sie ihren Seitenweg ein und auch der Bursche ritt seiner Wege. Als er wieder ein Stück weiter vorwärts geritten war, kam er zu einem Hügel, auf dem zwölf Jungfrauen standen und weinten. Der Bursche fragte sie, warum sie so traurig wären? »Ach!« erwiderten sie, »wir müssen wohl jammern und weinen, denn es haust ein schreckliches Ungeheuer in unserer Gegend, und von dem sollen wir alle als Weihnachts-Abendmahl verzehrt werden.« Eine von den Jungfrauen hatte eine Hirtenpfeife in der Hand, die nahm ihr der Bursche geschwind weg und fragte, wozu sie gehöre. Da riefen und schrien alle zu gleicher Zeit, daß er ja nicht hineinblasen dürfe, denn sonst käme sogleich das Ungeheuer daher. Aber der Bursche setzte die Pfeife an den Mund und blies hinein, daß sie einen weithin über Berge und Thäler gellenden Ton von sich gab. Und augenblicklich kam das Ungeheuer dahergestürzt und hatte nicht weniger als zwölf Köpfe. Es war scheußlich anzusehen, aber sobald es der Bursche nur berührte mit seinem Schwert, zersprang es wie in tausend Kieselsteine. Damit waren die Jungfrauen gerettet und beeilten sich nun, wieder nach Hause zu kommen, während der Bursche weiter ritt. Da kam des Teufels Großmutter wieder zu ihm und wollte ihn abermals vom geraden Weg ablocken, aber er blieb standhaft auf seiner Straße und wollte nichts wissen von einem Seitenweg; und so mußte des Teufels Großmutter noch einmal unverrichteter Dinge weiter ziehen. Als er wieder ein gutes Stück weiter geritten war, kam er zu einem andern Hügel, auf dem vierundzwanzig Jungfrauen standen und weinten. Er fragte sie, was ihnen fehle, und sie antworteten, daß ein Ungeheuer in ihrer Gegend hause, das sie alle zum Neujahrs-Abendmahl verzehren werde. Eine von ihnen hatte eine Hirtenpfeife, die riß ihr der Bursche aus der Hand und blies fest hinein, ohne sich darum zu kümmern wie sehr die Jungfrauen auch schrien und ihn baten, es nicht zu thun. Augenblicklich kam das Ungeheuer daher, und das hatte vierundzwanzig Köpfe; aber alle mußten in Stücke zerspringen, sobald sie von dem Schwert nur berührt wurden. So waren auch diese Jungfrauen gerettet und der Bursche ritt weiter. Jetzt kam des Teufels Großmutter zum drittenmal zu ihm auf ihrer Geis geritten und wollte ihn vom geraden Weg abbringen; aber der Bursche blieb fest und befolgte den Rath des Raben, - und sie mußte abermals ihrer Wege ziehen. Der Bursche ritt geradeaus auf der Landstraße weiter, bis er zu einem dritten Hügel kam, auf welchem sechsunddreißig Jungfrauen standen und jämmerlich weinten. Und zwar deshalb, weil sie von einem schrecklichen Ungeheuer zum heil. Dreikönigs-Nachtmahl verzehrt werden sollten. Eine derselben hatte wieder eine Hirtenpfeife, die riß ihr der Bursche aus der Hand und blies hinein, und das Ungeheuer, das sechsunddreißig Köpfe hatte, kam daher. Aber die flogen alle herunter und das ganze Unthier zersprang in unzählbare Kieselsteine, sobald es der Bursche mit seinem guten Schwert berührte. Auf diese Weise hatte er alle zweiundsiebenzig Jungfrauen vor den drei Ungeheuern mit den zweiundsiebenzig Köpfen errettet und zog dann seiner Wege, wie auch die Jungfrauen die ihrigen. Jetzt ging es aber rasch vorwärts und es kam ihm auch kein Hinderniß mehr in den Weg, so daß er von nun an unaufgehalten zum Höllenthor kam. Vor demselben lag aber eine entsetzliche Drachenschlange, der man es wohl ansehen konnte, daß nicht gut Kirschen mit ihr zu essen war. Aber der Rabe hatte ihm mehr gesagt, als wir vorher gehört haben und hatte ihm für alles, was vorkommen konnte, Rathschläge gegeben. Er sprach daher sogleich mit der Drachenschlange und grüßte sie von ihrem Bruder im Walde, und sie verstand es, denn das war ja der Rabe; und sie ließ ihn unbeschadet zum Höllenthor hinein. Als er hineinkam, fuhr sogleich der Teufel auf ihn los und fragte, was er wollte. Der Bursche grüßte ihn vom König und sagte, daß er gekommen sei, um die Zinsen zu holen, welche der Teufel für das Kapital schuldig war und mit deren Bezahlung er schon so lange säumte. Davon wollte der Teufel aber anfangs gar nichts wissen, bis seine Großmutter kam und ihm ins Ohr flüsterte, daß er schauen müsse den Burschen loszubekommen, denn er sei ein sehr gefährlicher Patron, der schon seine drei Söhne, die Ungeheuer mit den zwölf, vierundzwanzig und sechsunddreißig Köpfen umgebracht habe. Es bleibe also nichts andres übrig, als ihm zu geben, was er verlangte. Da wurde der Teufel sogleich sehr höflich und gab dem Burschen alle die ausständigen Zinsen in einem großen Sack. Als der Bursche wieder zum Höllenthor hinausging und auf seinem Geisbock fortreiten wollte, rief ihn die Drachenschlange zu sich und sagte, daß er sie nehmen und ihr die Haut herunterziehen solle. Das war zwar ein schweres Stück Arbeit, aber mit Geschick und gutem Willen geht ja alles, und so gelang es auch ihm schließlich. Und als er die Drachenhaut ganz heruntergezogen hatte, stand die lieblichste Prinzessin, die je ein Sterblicher gesehen, vor ihm. Diese setzte er dann auf seinen Geisbock hinauf, der jetzt sowohl sie und ihn, als auch den Sack mit den Zinsen tragen mußte; er trabte aber dennoch ganz rasch und munter davon, geradenwegs zurück an den Hof des Königs. Als sie so eine kurze Strecke weit geritten waren, sagte die Prinzessin, daß er zurückschauen solle. Da sah er, daß der Teufel mit seiner Großmutter, auf einer Ziege reitend, so schnell sie nur konnten, hinter ihnen drein kamen. Diese mußten irgend eine neue List im Schilde führen, die sie ermuthigte dem Burschen nachzueilen, um ihn einzuholen. Da drehte sich die Prinzessin einmal um und spuckte hinter sich auf den Weg aus, und daraus entstand ein großer See, über den der Teufel sammt seiner Großmutter mit der Ziege nicht kommen konnte; die zwei aus der Hölle legten sich aber nieder und begannen einfach den See auszutrinken, und sie brauchten auch gar nicht allzulange, so hatten sie den See schon ganz ausgetrunken. Währenddem aber hatten der Bursche und die Prinzessin einen Vorsprung gewonnen. Da sagte die Prinzessin zu ihm, daß er abermals zurückschauen möchte. Und wirklich kamen der Teufel und seine Großmutter auf der Ziege in vollem Galopp hinter ihnen drein geritten. Da warf die Prinzessin eine Glasperle hinter sich, aus der sogleich ein riesiger Glasberg wurde. Nun mußte der Teufel wieder nach Hause, um der Ziege scharfe Schuhe anzuziehen, mit denen sie über den Glasberg kommen konnte. Das nahm aber viel Zeit in Anspruch und die Flüchtigen gewannen wieder einen bedeutenden Vorsprung. Als aber die Prinzessin den Burschen zum drittenmal bat, zurückzuschauen, war ihnen der Teufel mit seiner Großmutter doch schon wieder auf den Fersen. Da rief die Prinzessin: »Hellicht vorne, stockfinster hinten! Hellicht vorne, stockfinster hinten!« Da entstand eine schreckliche Finsterniß und ein dichter Nebel hinter ihnen, während es vor ihnen hellichter Tag war. Sie ritten nun die gerade Landstraße weiter, bis sie in den Wald hinein und zu der Stelle hinkamen, an welcher damals der Rabe auf dem Baume gesessen und dem Burschen den guten Rath und das gute Schwert gegeben. Und richtig saß der Rabe wieder dort und hieß sie willkommen. Da sagte denn der Rabe zu dem Burschen: »Jetzt nimm mich, haue mir den Kopf ab und setze ihn mir wieder verkehrt auf.« Und als der Bursche gethan, wie ihm befohlen, stand an Stelle des Raben ein wunderschöner junger Prinz vor ihm, und das war der Bruder der Prinzessin, die als Drachenschlange verzaubert gewesen war. Wohlbehalten kamen dann alle drei zur Nachtzeit am Hof des Königs an. Weil sie aber keine Störung oder Unruhe verursachen wollten, führte der Bursche den Ziegenbock gleich in den Stall, an seinen alten Platz, und geleitete den Prinzen und die Prinzessin in seine Kammer hinauf und gab ihnen sein Bett, um darin zu ruhen, während er sich auf den Boden legte. Und alle drei schliefen süß ein. In derselben Nacht erwachte die Königin und weckte den König auf und sagte, daß sie geträumt habe, daß sein Laufbursche zurückgekommen sei und ihre zwei Kinder, die ihnen vor vielen Jahren gestohlen wurden, mitgebracht habe. »Ach, das ist ja nur ein Traum,« sagte der König, »laß mich schlafen!« Es währte aber nicht lange, da wurde die Königin von demselben Traum aufgeweckt; und als das zum drittenmale geschah, standen beide auf, um vorerst im Stall nach dem Geisbock zu sehen: - und wirklich! da stand er auf seinem alten Platz. Dann gingen sie zur Kammer des Burschen: - da lag er und schlief felsenfest am Boden und dort in seinem Bett lagen die beiden Kinder des Königs, die je wiederzusehen er schon längst die Hoffnung aufgegeben hatte. Da herrschte eine unbeschreibliche, grenzenlose Freude am Hof des Königs. Der arme Bursche wurde mit der Prinzessin, die er befreit und erlöst, verheiratet und kam mit ihr zu großem Reichthum. Ritter Roth aber wurde zum Lande hinausgejagt und der Prinz half seinem Vater bei der Regierung, bis er selbst das ganze Reich nach dem Tode desselben erbte.
 
Die Schwalbe
(Dänemark)
Es war einmal eine Kammerjungfer, die war sehr stolz und schnippisch, wie manche sein können; sie ging an Werktagen in dunkelblauem Seidenkleide mit weißem Besatz an der Brust. Unter anderen Sachen nahm sie von ihrer Herrin ein Garnknäuel, eine Nadel und eine Schere. Das merkte die Frau und setzte ihr zu, sie sollte bekennen, daß sie es gestohlen hätte. Das wollte sie nicht, sondern schwur, daß es nicht wahr wäre; ja sie sagte, sie wollte zu einem Vogel werden, der draußen herumflöge, wenn sie ein Dieb wäre. Mit einem Male wurde sie ein dunkelblauer Vogel mit weißer Brust, mit einem Kopf wie ein Garnknäuel, einem Schnabel wie eine Nadel und einem Schwanz wie eine Schere und schwirrte zum Fenster hinaus und zum nächsten Hause hin. Da setzte sie sich und wollte sich von der Beschuldigung reinwaschen, zwitscherte und sagte: 'Die Frau beschuldigte mich, ich hätte ihr Nadel und Garn gestohlen, Nadel und Garn, Nadel und Garn und eine kleine Schere.' Darauf flog sie weg, und so soll sie es an jedem Orte treiben, solange die Welt steht. So entstand die erste Schwalbe.
 
In des Wolfes Bau und Adlers Klau
(Dänemark)
Es war einmal ein König und eine Königin, die hatten einen kleinen Sohn. Eines Tages wollten der König und die Königin miteinander ausfahren, aber ihren Sohn nicht mitnehmen. Aber er wollte dennoch mitgenommen werden, darum lief er hinter dem Wagen drein; und da er durch nichts davon abzubringen war, ließ der König halten und sagte zu dem Prinzen, wenn er dieses silberne Messer und diese Gabel, die er ihm jetzt gab, nehmen und zu seiner Amme heimbringen wolle, so dürfte er wiederkommen und mitfahren, sie würden unterdeß auf ihn warten bis er zurückkomme. Der Prinz nahm das silberne Besteck und lief dem Schlosse zu. Aber, daß ihn der König mit diesem Auftrag ins Schloß schickte, war nur ein Vorwand um ihn los zu bekommen. Als der Knabe ein Stück weit gelaufen war und sich einmal umschaute, sah er, daß der Wagen davonfuhr. Da kehrte der Prinz sogleich um und lief dem Wagen wieder nach, konnte ihn aber nicht erreichen. Als er in einen Wald kam, wollte er ihm deshalb von einer andern Seite entgegenlaufen, aber er verirrte sich und lief schnurstracks in eine Wolfshöhle hinein. Der Wolf war zwar zu Hause, aber er war gerade nicht hungrig, denn er war soeben mit einer guten Mahlzeit fertig geworden, drum that er dem Knaben nichts zu Leide, sondern begann wie ein Hund mit ihm zu spielen. Während sie aber so spielend vor der Wolfshöhle herumsprangen, flog ein Adler über ihre Häupter hin, sah den Knaben, senkte sich pfeilgeschwind nieder, ergriff ihn mit seinen Klauen und flog mit ihm davon. Er wollte ihn in sein Nest; das auf einer Insel draußen im Meere lag, schleppen; unterwegs aber wurde ihm der Knabe zu schwer und er ließ ihn fallen. Er fiel ins Meer, und sogleich kam ein Wallfisch daher geschwommen und verschluckte ihn. Als der Prinz kurze Zeit im Bauche des Wallfisches gelegen hatte, kam es ihm sehr langweilig darin vor. Er zog daher das silberne Messer und die Gabel heraus und fing an, im Bauch herumzuschneiden. Das konnte der Fisch nicht aushalten; er starb und trieb ans Land. Der Knabe konnte sich doch nicht allein herausfinden. Als es aber im Lande ruchbar wurde, daß ein Wallfisch ans Ufer getrieben sei, kamen viele Leute zum Strande herunter, um ihn zu besehen und anzustaunen. Unter diesen war auch ein Gutsherr mit seinem Sohn, einem Knaben von des Prinzen Alter. Während diese beiden um den Fisch herumgingen und ihn betrachteten, hörten sie etwas in demselben schreien und rufen. Und als sie ihn aufschnitten, kam der Prinz so munter und frisch wieder heraus, als er verschluckt worden war. Der Gutsherr nahm dann den Prinzen mit sich nach Hause und ließ ihn mit seinem Sohne erziehen. Die beiden Knaben wurden bald gute Freunde, und der Prinz hatte es recht gut in seinem neuen Heim. Da geschah es eines Tages, als die beiden miteinander Ball spielten, daß der Prinz den Ball aus Unvorsichtigkeit so schleuderte, daß er den Sohn des Gutsbesitzers gerade an die Schläfe traf, und zwar so unglücklich, daß der Knabe todt umfiel. Darüber wurde der Gutsherr so zornig, daß er den Prinzen verurtheilte, lebendig zugleich mit dem Todten begraben zu werden, denn er meinte, er könne mit ihm thun, was er wolle, weil er ihn aus dem Wallfisch herausschneiden ließ. Das war zu der Zeit, als die Leute noch Heiden waren und in großen Hügeln draußen auf dem Feld begraben wurden. Und der lebende Königssohn wurde zugleich mit seinem todten Spielkameraden in einem Hügel beigesetzt, und mit großen, schweren Steinen wurde der Hügel verschlossen. So saß der arme Prinz da unten in finsterer Grabesluft. Plötzlich merkte er etwas Lebendiges, das im Innern des Hügels herumkrabbelte. Er griff nach demselben so gut es in der Dunkelheit ging und fühlte, daß es etwas Haariges war. Er hielt es fest und wurde weiter gezogen und durch die Erde geschleppt. Es war nämlich ein Fuchs, der sich eine Höhle unter dem Hügel gegraben, den der Prinz am Schweif erwischte, und der ihn nun durch einen seiner geheimen Gänge in seinen Fuchsgraben und von da weiter ins Freie hinaus zog; denn er war ganz erschrocken und suchte blos seine Bürde los zu werden. Als sich der Königssohn wieder unter freiem Himmel befand, machte er sich auf die Beine und schaute, daß er in den Wald kam, denn auf den Gutshof, dessen Herr ihn begraben ließ, durfte er ja um keinen Preis der Welt mehr zurückkommen. Er wanderte nun mehrere Tage durch die dunkelsten Wälder, die er nur finden konnte, bis er von einem Dieb und Räuber angetroffen ward, der hier in den wilden Wäldern hauste. Er nahm den Knaben mit sich in seine Räuberhöhle, gab ihm zu essen und zu trinken, und war überhaupt recht freundlich mit ihm, denn so ein einzeln wild herumstreichender Knabe konnte ihm ja nicht gefährlich sein, sondern im Gegentheil Gesellschaft leisten und ihm nützlich werden. Der Dieb nahm den Knaben jede Nacht mit sich fort, und der Königssohn mußte sich darein finden, ihm sowohl bei Bauern als bei Herren stehlen zu helfen. In einer Nacht kamen sie einmal zu einem großen Schlosse und gingen zum Stall hin. Der Dieb sagte zu dem Knaben, daß er dort oben durch ein kleines Stallfenster, das offen stand, hindurchkriechen solle. Ganz vorne im Stall stand ein Grauschimmel mit vier goldenen Hufen, und den wollte der Dieb haben, deßhalb sollte ihn der Knabe losmachen, durch den Stall ziehen, die Thüre sodann von innen öffnen und den Grauschimmel herausführen. Der Dieb selbst wollte außen warten und das Pferd dann in Empfang nehmen. Der Knabe that wie ihm geheißen: er kroch durch das kleine Fenster und kam glücklich in den Stall, in dem er vorne das Pferd fand und von der Krippe losmachte und mit diesem wieder zurück durch den Stall schleichen wollte. Als aber die goldenen Hufe auf das Steinpflaster klappernd aufschlugen, erwachte zuerst ein Stallknecht und der rief nach den andern, und im Nu kamen alle mit Lichtern in den Stall herunter und ergriffen den Knaben auf frischer That. Dies wurde dem König gleich am Morgen gemeldet, - denn es war der König, welchem das Pferd gehörte - und er sagte, daß man den Dieb noch am selben Vormittag aufhängen solle. Er wolle dann selbst kommen und zusehen, daß es auch richtig geschehe. Als der Knabe den Strick schon um den Hals hatte und aufgeknüpft werden sollte, bat er, noch einige Worte reden und seine Geschichte erzählen zu dürfen. Es wurde ihm erlaubt und er sprach:

»Ich war zuerst in des Wolfes Bau,
Und kam alsdann in des Adlers Klau',
Im Wallfischbauch hab' ich zugebracht,
Lebendig lag ich in Grabesnacht,
Dem Räuber diente ich so zum Schluß,
Daß ich mein Leben verlieren muß.
Das Silbermesser mit Gabel doch
Von meinem Vater, das hab' ich noch,
Das ich der Amme einst bringen sollt',
Als er im Wagen davongerollt.«

Als der König, der der Hinrichtung zuschauen wollte, dies hörte, sprang er auf und umarmte den kleinen Dieb, welcher gerade aufgehängt hätte werden sollen, denn es war ja niemand anders als sein eigener Sohn.

Und Freude herrschte im ganzen Land
Weil seinen Erben der König fand.
Als Prinz nun reitet er aus dem Schloß
Auf goldbehuftem und stolzem Roß.
 
In Hülle und Fülle
(Dänemark)
Es war an einem Weihnachtsabend, da kamen zwei arme Wanderer zu einem Hofe und baten, die Nacht über dableiben zu dürfen. Nein, sagten die Hofbewohner, sie könnten solchen Prachern kein Obdach geben. Da gingen sie weiter und kamen zu einer Hütte, in der ein armer Häusler mit seiner Frau wohnte. Sie klopften an und frugen, ob sie dort die Nacht über bleiben könnten. Ja, sagten die Leute, das könnten sie gern, wenn sie mit dem, was sich vorfinde, vorlieb nehmen wollten, denn sie seien ja nur geringe Leute. Die beiden Fremdlinge dankten herzlich und traten ein. Da flüsterte die Frau dem Manne zu und sagte: »Wir müssen doch an diesem hochheiligen Abend den Fremden etwas zum besten geben. Wir müssen wohl unser Widderlamm schlachten.« - »Ja, laß uns das thun!« sagte der Mann; und sie schlachteten das Lamm, und ein guter Braten kam auf den Tisch, und sie aßen und waren vergnügt mit einander an dem heiligen Abend. Als es dann Schlafenszeit war, wiesen sie den Gästen ihr eigenes Bett an; es war das einzige, das sie hatten. Und dann breiteten sie Stroh auf die Diele, und dort schliefen sie selber. Am nächsten Morgen gingen sie allesammt zur Kirche, und die Häusler baten die beiden Wanderer, doch während der beiden Feiertage noch bei ihnen zu verweilen. »Denn jetzt haben wir ja all das gute Essen,« sagten sie, »das müßt ihr uns verzehren helfen.« Die Fremden dankten, und sie blieben die beiden Weihnachtstage über da. Am Morgen des dritten Weihnachtstags, als sie fortgehen wollten, bedankten sich die beiden Fremden für die gute Aufnahme. Es sei schlimm, sagten sie, daß sie ihnen keine Bezahlung anbieten könnten. Ach, das bliebe sich gleich, sagten Mann und Frau; sie hätten sie nicht um irgend eines Lohnes willen aufgenommen. Gerade als sie aus der Thür gehen wollten, sagte der eine der beiden Wanderer: »Aber das ist wahr, hatte das Lamm keine Hörner?« - »Doch,« sagte der Mann, »aber sie waren zu nichts nütze.« Er dachte, daß die Fremdlinge vielleicht Verwendung für Widderhörner haben könnten und ihn um dieselben bitten wollten. »Wie viele Hörner hatte das Lamm?« hob der Fremde wieder an. »Zwei,« sagte der Mann, ganz verwundert über die Frage. »Dann mögen euch zwei Wünsche erfüllt werden,« sagte der Fremde, »welche ihr wollt.« Da sagte der Mann, sie hätten keine anderen Wünsche, als daß sie hier auf Erden ihr tägliches Brod und Auskommen haben und nach ihrem Tode ins Himmelreich kommen möchten. »Das gewähre euch Gott!« sagte der Fremde; »über ein Jahr sprechen wir wieder bei euch vor.« Und dann gingen die beiden Wanderer fort. Seit dem Tage gedieh und vermehrte sich alles bei den Häuslern auf die wunderbarste Art: sie bekamen drei große Kälber statt eines von ihrer einzigen Kuh, sie bekamen acht gute Lämmer von ihren zwei Schafen, und sie bekamen so viele Ferkel von ihrer Sau, daß sie fast nicht zu zählen waren; und von allem, was in ihrem bischen Ackerland gesäet war oder gesäet wurde, erhielten sie wohl hundertfältige Frucht. Sie wurden daher recht wohlhabend, und bauten ihr Hüttchen aus, so daß es größer und behaglicher ward. Und sie freuten sich auf Weihnachten, wo die beiden Fremdlinge wiederkommen wollten. Denn sie merkten wohl, daß sie ihnen all den Segen zu verdanken hätten. Ihre Nachbarn und alle Leute im Dorfe verwunderten sich höchlich über den Wohlstand, der in das ärmliche Haus strömte, und die Bewohner des Hofes ihnen gerade gegenüber, wo die beiden Wanderer abgewiesen worden waren, verwunderten sich nicht am wenigsten; und als sie erfuhren, woraus die Häusler kein Geheimniß machten, daß all der Segen den guten Wünschen der armen Wanderer zu verdanken sei, welche am letzten Weihnachten bei ihnen eingekehrt waren, wurden sie schrecklich neidisch und meinten, das alles sei ihnen selbst gleichsam gestohlen; denn die guten Wünsche hätten ja ihnen zu Theil werden können, wenn sie sie nur aufgenommen hätten. Als sie nun hörten, daß die Fremdlinge versprochen hätten, um Weihnachten wieder zu kommen, baten und bettelten und drohten sie den Häuslern das Versprechen ab, dieselben bei ihrer Auskunft nach dem Hofe hinüber zu weisen. In der Dämmerungsstunde des Weihnachtsabends kamen dieselben zwei Wanderer und klopften bei den Häuslern an. Sowohl der Mann wie die Frau gingen hinaus und begrüßten sie und dankten ihnen für all den Segen, den ihr Besuch ihnen gebracht habe. Die Fremdlinge baten, ob sie die Nacht über dableiben und das Fest mit ihnen feiern dürften. Ja, sagten die Häusler, nichts würde ihnen lieber sein; aber sie hätten den Hofbewohnern gerade gegenüber versprochen, sie bei ihrer Ankunft dorthin zu weisen. Es thäte ihnen so leid, daß sie sie voriges Jahr abgewiesen hätten, und sie wollten es gern wieder gutmachen. »Und ihr bekommt es auch drüben viel besser, als wir es euch bieten könnten,« sagten die Häusler. »Wenn ihr es wünscht,« sagten die Fremden, »gehen wir heute Abend dort hinüber, allein morgen früh gehen wir mit euch zur Kirche.« Dann gingen sie nach dem Hofe hinüber. Der Junge schaute schon draußen vor dem Thore nach ihnen aus, und er lief gleich hinein, um ihre Ankunft zu melden. Der Hofbesitzer und seine Frau kamen beide hinaus geschossen und nahmen die Fremdlinge in Empfang und führten sie in ihre beste Stube und brachten viele Entschuldigungen vor, daß sie sie voriges Jahr abgewiesen hätten. Der Hofesherr hatte einen fetten Ochsen geschlachtet, und es ward ihnen reichlich aufgetischt: sie erhielten Suppe und Braten und Kuchen, und es war gutes Bier und alter Meth da, und Wein obendrein. Sie erhielten ihr eigenes Schlafzimmer mit zwei großen Betten, mit Federdecken und Kissen bis an die Decke. Am nächsten Morgen standen die Fremdlinge frühzeitig auf; die Hofbewohner baten sie, doch die Feiertage über dazubleiben; aber die Fremdlinge sagten, sie müßten fort: sie wollten noch zur Kirche und dann von dortaus weiter gehen. Der Hofherr ließ darauf seinen Staatswagen anspannen: sie dürften nicht zur Kirche gehen, sie müßten durchaus fahren. Sie bedankten sich, und als sie abfahren sollten, sagte der eine der Fremden zu dem Wirthe und der Wirthin, sie wüßten nicht, wie sie ihnen dafür lohnen sollten, daß sie so glänzend traktirt worden; Geld hätten sie leider nicht. - »Aber das ist wahr,« sagte er, »hatte der Ochse Hörner?« - »Ja, das hatte er allerdings,« sagte der Mann; - er hatte nämlich von den Häuslern gehört, was für Gespräche voriges Jahr geführt worden waren, und so verstand er gleich, worauf dies hinauslief. - »Wie viele Hörner hatte er?« frug nun der Fremde. Die Frau zupfte den Mann am Aermel und sagte: »Sage vier!« Da antwortete der Mann, der Ochse habe vier Hörner gehabt. »Dann sollen euch auch vier Wünsche erfüllt werden,« sagte der Fremde; »jedem von euch mögen zwei freistehen.« Und dann stiegen sie in den Wagen, und die Häusler fuhren bei der Gelegenheit auch mit zur Kirche. Der Hofherr fuhr selbst; er beeilte sich nach Möglichkeit, um recht bald wieder zu Hause sein zu können. Dann würden er und seine Frau sich über ihre vier Wünsche verständigen. Sie könnten dann ja alles bekommen, was ihr Herz begehrte. Sobald er die Fremdlinge und die Häusler an der Kirche abgesetzt hatte, ließ er sich denn auch keine Zeit, dem Gottesdienste beizuwohnen, sondern kehrte gleich um und peitschte auf die Pferde, um so rasch wie möglich nach Hause zu kommen. Aber da strauchelt das eine Pferd und zerreißt den Strang. »Den Henker auch!« sagt er, und er muß absteigen, um den Strang wieder zu befestigen. Dann fährt er wieder weiter. Aber es dauert nicht lange, da strauchelt auch das andere Pferd. »Hole euch beide der Teufel!« sagt der Mann. Und kaum hat er das gesagt, wupps! sind beide Pferde verschwunden, und er sitzt auf dem Wagen mit den Zügeln in der Hand. Es blieb nichts anders übrig, als den Wagen stehn zu lassen und die Reise zu Fuße fortzusetzen. Der eine Wunsch war also in Rauch aufgegangen. Aber das nahm er sich nicht weiter zu Herzen, da er bedachte, daß ihnen noch drei Wünsche blieben. Sie konnten ja leicht so viele Pferde, wie sie wollten, und alle sonstigen guten Dinge dazu erhalten. Er marschirte also ganz getrost auf der Landstraße dahin. Mittlerweile geht die Frau im Hause umher und wartet und wartet. Sie sehnte sich von Herzen, daß ihr Mann kommen möge, damit sie mit dem Wünschen beginnen könnten. Sie geht hinaus und späht die Straße entlang; aber die Zeit verstreicht, und er kommt nicht. »Ach, wäre er doch da, der Nölpeter!« sagte sie, und in demselben Augenblick stand er vor ihr. »O weh!« sagte sie, »da hab' ich den einen Wunsch verscherzt! - Aber du kommst ja angestiefelt wie ein rechter Pracher!« sagte sie; »wo hast du Wagen und Pferde gelassen?« - »Ja, das ist deine Schuld,« sagte der Mann; »ich habe meine Prachtpferde zur Hölle gewünscht. Es ist kein Glück bei solchem Betrug. Du warst es, die mir einblies, daß der Ochse vier Hörner gehabt hätte. Mir wäre es schon recht, wenn dir die beiden erlogenen Hörner im Genick säßen!« Wupps! da saßen sie auch. Jetzt hatten sie also drei von ihren vier Wünschen erfüllt bekommen, und es war nur noch einer übrig, welcher der Frau zukam. Da begann der Mann ihr freundlich zuzureden und sagte: »Liebes Frauchen! wende jetzt deinen Wunsch gut an, und wünsche uns einen ungeheuren Haufen Geld! Dann kann ja alles noch gut werden.« - »Nein, danke schön!« sagte die Frau, »und ich sollte dann bis an meinen Sterbetag mit den Hörnern herumlaufen!« Das wollte sie nicht, und so wünschte sie sogleich die beiden Hörner zum Teufel. Die waren denn auch auf der Stelle fort. Aber die Hofbesitzer waren mit all ihren Wünschen nicht reicher, sondern nur um ein paar gute Pferde ärmer geworden.
 
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Klein Mette
(Dänemark)
Es war einmal ein kleines Mädchen, das ging und hütete die Schafe und hieß Mette. Da kam es dem englischen Prinzen in den Sinn, daß er ausziehen und sich eine Frau suchen wollte, und er kam bei Mette vorbei, wie sie am Wegrand saß und die Schafe hütete. Da grüßte er sie und sagte: »Guten Tag, Klein Mette, wie geht es dir?« »Es geht mir gut, ich trage Lumpen über Lumpen, bis ich den Königssohn von England heirate, dann trage ich Gold über Gold.« - »Das wird nie sein, kleine Mette!« »Doch, das wird wohl sein.« Da zog der Prinz weiter auf Freiersfüßen, und er bekam auch keinen Korb, aber es wurde ausgemacht, daß die Braut ihn zuerst besuchen sollte, um zu sehen, wo sie hinheirate. Als nun die fremde Prinzessin kam, führte ihr Weg sie auch an Klein Mette vorbei, die die Schafe hütete, und sie grüßte und sagte: »Wie geht es dem Prinzen in England?« »Es geht ihm gut, aber er hat einen Stein in seiner Schwelle, und der kann alles erzählen, was man getan hat.« Da wanderte die Braut weiter. Als sie zu dem Prinzen kam und auf den Stein trat, sagte er:

»Sie lügt, sie lügt,
Hat ein Kind schon gekriegt!«

Als der Prinz das hörte, wollte er nichts mehr mit ihr zu tun haben, denn er wollte nur eine reine Jungfrau haben, und die Prinzessin mußte wieder dahin gehen, wo sie hergekommen war. Der Prinz begab sich wieder auf die Brautfahrt, und sein Weg führte ihn wieder an Klein Mette vorbei. Er grüßte sie und sagte: »Guten Tag! Wie geht es dir heute, kleine Mette?« »Es geht mir gut, ich trage Lumpen über Lumpen, bis ich den Königssohn von England heirate, dann trage ich Gold über Gold!« »Das wird nie sein, Klein Mette!« »Doch, das wird wohl sein!« Dann zog er weiter, und die Werbung glückte ihm abermals, die fremde Prinzessin wollte ihn gern heiraten, und es wurde ausgemacht, daß sie ihn besuchen sollte, das stellte er immer als Bedingung. Als sie nun zu dem Prinzen reiste, kam sie auch an Klein Mette vorbei. Da fragte sie nach dem Prinzen von England, und Mette gab zur Antwort: »Es geht ihm gut, aber er hat einen Stein in seiner Schwelle, der kann alles erzählen, was man getan hat!« Als sie nun bei dem Prinzen eintrat und auf den Stein trat, sagte dieser:

»Sie lügt, sie lügt,
Hat zwei Kinder gekriegt!«

Das war schlimm, und er wollte natürlich nichts mehr von ihr wissen. Sie konnte wieder dahin zurückkehren, wo sie hergekommen war, denn der Prinz hatte sich fest vorgenommen, nur eine reine Jungfrau zu heiraten. Da mußte er sich abermals auf die Brautfahrt begeben, und sein Weg führte ihn wie gewöhnlich an Klein Mette vorbei. Er grüßte sie und sagte: »Wie geht es dir, Klein Mette?« »Es geht mir gut, ich trage Lumpen über Lumpen, bis ich den Königssohn von England heirate, dann trage ich Gold über Gold!« »Das wird nie sein, Klein Mette!« »Doch, das wird wohl sein!« Damit zog der Prinz seines Weges und kam zu der Prinzessin, um die er freien wollte. Die Werbung ging nach Wunsch, sie sagte ja, und es wurde ausgemacht, sie sollte ihn besuchen, und mit diesem Trost zog er wieder heim. Als nun die neue Braut ihn besuchen wollte, führte ihr Weg an Klein Mette vorbei, und sie fragte nach dem Prinzen von England. »Ja, es geht ihm gut, aber er hat einen Stein in seiner Schwelle, der kann alles erzählen, was man getan hat!« Die Prinzessin reiste weiter, und als sie auf den Stein trat, sagte er:

»Sie lügt, sie lügt,
Hat drei Kinder gekriegt!«

Das wurde je länger, je ärger, und die Prinzessin wurde augenblicklich wieder heimgeschickt. Da mußte er noch einmal auf die Freite ziehen, denn er wollte durchaus eine Frau haben. Auf dem Wege kam er an Klein Mette vorbei, die die Schafe hütete. »Guten Tag, Klein Mette, wie geht es dir?« »Es geht mir gut, ich trage Lumpen über Lumpen, bis ich den Königssohn von England heirate, dann trage ich Gold über Gold.« »Das wird nie sein, Klein Mette!« »Doch, das wird wohl sein!« Er zog weiter und kam zu der vierten Prinzessin; da brachte er seine Werbung vor und erhielt den Bescheid, die Sache werde sich schon machen lassen. Es wurde ausgemacht, daß sie ihn einmal besuchen sollte, und dann reiste er wieder ab. Als die Prinzessin zu ihm reiste, fragte sie, wie es denn den anderen drei Prinzessinnen mit dem Prinzen ergangen sei, und sie hatte keine Lust, die vierte zu sein. Als sie an Klein Mette vorbeikam, fragte sie zuerst, wie es dem englischen Königssohn ginge. »Ja, es geht ihm gut, aber er hat einen Stein in seiner Schwelle, der kann alles erzählen, was man getan hat!« Da fragte sie Mette, ob sie nicht an ihrer Stelle zum Prinzen reisen wolle, sie könnten ja die Kleider wechseln, und sie wolle solange die Schafe hüten. Mette war gern bereit, wurde nun als Prinzessin gekleidet und kam so zu dem Prinzen. Als sie den Stein betrat, sagte er:

»Schöne Jungfrau fein,
Wahrhaft keusch und rein!«

'Nun, da kommt ja endlich die rechte!' dachte er, 'habe ich doch wirklich ein reines Mädchen gefunden.' Und damit er nicht getäuscht werden und sie später auch sicher wiedererkennen könnte, flocht er ihr einen Ring ins Haar und ließ sie vorläufig wieder heimreisen; sie sollte erst zur Hochzeit wiederkommen. Als Klein Mette wieder beim Prinzen entlassen war, tauschten sie wieder die Kleider, und die Prinzessin reiste heim zu den Ihrigen und war sehr froh, daß sie so gut davongekommen war, denn bei ihr stimmte da auch etwas nicht. Als die Zeit kam, daß der Prinz zu seiner Braut reisen und Hochzeit halten sollte, kam er wie gewöhnlich an Klein Mette vorbei. Er grüßte sie und sagte: »Wie geht es dir, Klein Mette?« »Mir geht es gut, ich trage Lumpen über Lumpen, bis ich den Königssohn von England heirate, dann trage ich Gold über Gold!« Wie der Königssohn so dastand und sie anschaute, fiel ihm auf, daß etwas in ihrem Haar glitzerte, und als er neugierig wurde und nachsah, was es sei, fand er seinen Goldring, den er ihr selbst eingeflochten hatte. Also war sie an Stelle der anderen bei ihm gewesen, und da er nun wußte, daß sie eine reine Jungfrau sei, und weil er so oft schon betrogen worden war, beschloß er, sie auf der Stelle mit heimzunehmen und sie zu seiner Frau zu machen. Die Schafe mochte dann hüten, wer wollte. Sie hielten Hochzeit, und so ist es zugegangen, daß klein Mette doch den Königssohn von England bekam und Gold über Gold tragen konnte.
 
Ei oder Pferd
(Dänemark)
In jener Zeit als die Elfen bei den Menschen noch ein und aus gingen und die Menschen sich nicht scheuten, die Zauberer um Hilfe zu bitten, da trafen sich ein Bauer und ein Troll in einer Gastwirtschaft um miteinander ein Bier zu trinken und dies und das zu bereden. Sie hatten so schon an etlichen Abenden zusammen gesessen und kamen doch jedes Mal auf dasselbe Thema. Der Troll behauptete, es gäbe keinen Mann, der nicht unter den Pantoffeln seiner Frau stünde, doch der Mann stritt immer wieder dagegen. Nun endlich war es der Bauer Leid, dass der Troll immer wieder davon anfing und stellte seinen Bierkrug krachend auf den Tisch, so dass der Schaum überschwappte. „Ich werde mich morgen auf den Weg machen und dir einen Mann bringen, der noch die Hosen an hat in seinem Haus!“, versprach der Bauer dem Troll. Dieser schlug sich mit den Händen auf die Schenkel und erwiderte: „Das tu nur, aber ich sage dir, morgen werden wir hier noch nicht zusammen sitzen. Wir werden froh sein, wenn wir uns in einigen Jahren hier wiedertreffen.“ „Kein Sorge, so lange wird das nicht dauern!“, versicherte der Bauer. „Dann sollst du morgen zwei Pferde vor den Wagen spannen und ihn mit so vielen Eiern beladen, wie das Gespann ziehen kann. Schenke dem Mann, der das Sagen über Haus und Hof hat eines der Pferde. Aber allen anderen, die sich von der Frau regieren lassen, schenke zum Trost ein Ei.“ Der Bauer wollte es sich mit dem Troll nicht verscherzen und versprach, alles so zu machen, wie er es verlangte. Am nächsten Morgen spannte er einen Apfelschimmel und einen Rappen vor seinen Karren und belud ihn so gut es ging mit Eiern. Dann schnalzte er mit der Zunge und trieb die Pferde an. Von Hof zu Hof, von Dorf zu Dorf, durch Stadt und über Land ging es – und die Eier auf dem Wagen schmolzen dahin wie Butter in der Sonne. Aber die beiden Pferde waren noch immer ins Geschirr gespannt. Da gelangte der Bauer schließlich auf einen Hof, da schien der Herr noch der Herr im Hause zu sein. Die Wirtschaft war aufgeräumt bis in den letzten Winkel und das Gesinde arbeitete emsig ohne zu Murren und zu klagen. Alles wurde von einem stattlichen, kräftigen Mann dirigiert, dessen Stimme über den Hof und das Feld schallte, dass dem Bauern das Herz im Leibe hüpfte. ‚Dieser Kerl könnte wohl ein ganzes Regiment befehlen. Nun muss ich nur noch sehen, ob auch im Hause alles nach seiner Pfeife tanzt’, dachte sich der Bauer und bat um ein Nachtlager, das man ihm gern gewährte. Des Abends kamen alle in der großen Stube zum Abendbrot zusammen. Auch hier gab der Mann den Ton an. Er kommandierte die Knechte, kaltes Bier zu bringen, schimpfte darüber, wer das Salz an den falschen Platz gestellt hätte oder hieß die Mägde sich besser um den Gast zu kümmern. Dabei saß die Frau still und leise am Tische und reichte ihm nur freundlich das Brot und den Schinken zu. Das gefiel dem Gast und zufrieden schlief er ein. Dabei träumte ihm, er käme nun endlich nach Hause, wo ihn der Troll bereits dickköpfig erwartete, sich dann aber doch eingestehen musste, dass er den Rechten gefunden hätte. Am nächsten Morgen trat der Bauer auf den Hausherrn zu und schüttelte ihm herzlich die Hand. „Zum Dank dafür, dass ihr mir so ein gutes Mahl und Nachtlager gewährt habt, möchte ich euch eines meiner Pferde schenken, sagt nur, welches Ihr haben wollt.“ Der Mann aber wehrte bescheiden ab: „Das kann ich doch nicht annehmen. So ein wertvolles Geschenk, nur weil ihr eine Nacht unter meinem Dach verbracht habt.“ „Seht meine Karre ist leer, wählt nur eines der Pferde, Ihr habt es verdient!“, ermunterte der Troll den Mann. Dieser besah sich das Gespann, kratzte sich hinterm Ohr und sprach schließlich: „Nun ja, wenn Ihr unbedingt wollt, so möchte ich wohl gern den Apfelschimmel …“ Doch er konnte seinen Satz kaum beenden, da fiel ihm seine Frau ins Wort: „Was willst du den Apfelschimmel! Sieh doch wie feurig der Rappe ist, du Dummkopf!“ Da sprach der Mann: „Da hast du Recht. Also nehmen wir den Rappen.“ Da wurde der Bauer traurig. Schweigend nahm er ein Ei vom Wagen und überreichte es dem Hausherrn. Dann setzte er sich auf den Bock und trieb das Gespann mit der Peitsche an. Wie es heißt, fährt er noch immer durch die Lande und sucht nach einem Mann, der noch das Sagen hat in seinem Haus. Dabei hat er schon kaum noch Eier geladen, doch der Apfelschimmel und der Rappe gehen immer noch im Geschirr.
 
Das Eichhorn, die Nadel und der Fausthandschuh
(Finnland)
Ein Eichhorn, eine Nadel und ein Fausthandschuh lebten in guter Freundschaft beieinander. Einstmals beschlich sie die Langeweile, und sie beschlossen zusammen in den Wald zu gehen. Gesagt, getan. Das Eichhorn und der Fausthandschuh gingen nebeneinander, die Nadel hüpfte hintendrein. Sie mochten eine geraume Weile so gewandert sein ohne eine Beute erblickt zu haben, und die drei Waldläufer schauten schon ganz betrübt darein; da fand die Nadel eine Wasserpfütze. Freudig rief sie den andern zu:

"Ei, mein Eichhorn, ei!
Handschuh, Kommt herbei!
Die Nadel hat 'nen Fund getan.
Eilt und seht die Beute an!"

Die anderen liefen schnell herbei die Beute in Empfang zu nehmen; aber als sie den Fund der Nadel sahen, wunderten sie sich nicht wenig und sagten: "Ist dies deine ganze Beute?" - "Ja, das ist sie", antwortete die Nadel; "ist es denn nicht genug?" - "Ach du wunderliches Ding, daß du uns wegen solcher Lumperei herbeirufst!" schalten die anderen und gingen verdrießlich nach Hause, den Streifzug für diesmal aufgebend. Die Nadel kehrte mit ihnen heim. Am folgenden Morgen wanderten sie wieder in den Wald hinaus, das Eichhorn und der Fausthandschuh nebeneinander, die Nadel einsam hintendrein. So mochten sie eine Zeitlang gewandert sein, da fand die Nadel einen alten Baumstumpf und rief, wie gestern, den anderen zu:

"Ei, mein Eichhorn, ei!
Handschuh! Kommt herbei!
Die Nadel hat 'nen Fund getan.
Eilt und seht die Beute an!"

Die anderen kamen herbeigelaufen, in der Hoffnung, diesmal eine gute Beute vorzufinden. Aber der Anblick des morschen Baumstumpfes versetzte sie in solche Wut, daß sie beinahe die Nadel geschlagen hätten, die aus Schalkheit ohne Grund die Gefährten herbeigerufen hatte. - Endlich versöhnten sich jedoch die drei und kehrten zusammen aus dem Walde zurück: das Eichhom und der Fausthandschuh nebeneinander, die Nadel einsam hintendrein. - Sie schliefen die Nacht durch, und als der Morgen graute, berieten sich die drei, ob sie noch einmal in den Wald gehen sollten, da sie doch nichts erbeutet hatten. Sie wurden aber bald über die Sache einig und wanderten hinaus, das Eichhom und der Fausthandschuh nebeneinander, die Nadel einsam hintendrein. Die beiden fanden auch diesmal gar nichts, aber die Nadel gelangte auf ihrer einsamen Streiferei an ein weites Moor. Dort spähte sie mit ihrem einen Auge scharf im Kreise umher und erblickte richtig einen Hirsch, der im Sumpfe graste. Kaum hatte sie ihn gewahrt, als sie auch schnell in einen Grashalm schlüpfte, und der Hirsch verschluckte sie mitsamt dem Sumpfgras. So kam die Nadel in den Magen des Hirsches und fing an ihn aus Leibeskräften zu stechen. Das konnte der arme Hirsch nicht lange ertragen; er fiel hin und kam elend ums Leben. Als die Nadel dieses merkte, drängte sie sich durch den Leib des Hirsches heraus und fing an seelenvergnügt den anderen zuzurufen:

"Ei, mein Eichhorn, ei!
Handschuh! Kommt herbei!
Die Nadel hat 'nen Fund getan.
Eilt und seht die Beute an!"

Die Gefährten hörten wohl das Rufen der Nadel, aber sie fürchteten auch jetzt eine Täuschung. Sie berieten sich miteinander und sprachen: "Wenn wir hoffen dürften, daß die Nadel wirklich etwas Gutes erbeutet hat, würden wir hingehen; aber wer weiß, ob sie nicht wieder lügt." Trotz aller solcher Bedenken liefen sie doch nach der Richtung hin, woher das Rufen kam, und fanden den toten Hirsch. Jetzt war mal das Erstaunen groß! Der Fausthandschuh betrachtete die von der Nadel erlegte Beute von allen Seiten, das Eichhorn zeigte unverwandt darauf, und beide wußten sich vor Verwunderung urid Freude gar nicht zu lassen. Darauf sagte die Nadel zu ihnen: "Ich habe die Beute erlegt, nun mag das Kochen derselben euer Geschäft sein." Die anderen gehorchten der Aufforderung und gingen diensteifrig an die Arbeit. Das Eichhorn spaltete den alten Baumstumpf zu Brennholz, der Fausthandschuh trug Wasser aus der Pfütze herbei; so gerieten ihnen auch die früheren Funde der Nadel zu Nutz und Frommen. Bald kochte die Brühe auf dem Feuer, und das Essen ward gut und schmackhaft.