Erster Versuch

Der_Tiger

LillysBrotzeit
ID: 207807
L
1 Mai 2006
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698
Hallo zusammen, ich bin neu hier im Literaturforum. Ich weiß ehrlich gesagt auch nicht, ob ich hier hinpasse, aber ich habe heute mal spontan aufgrund einer Begebenheit eine kleine Anmerkung geschrieben. Aber lest selbst:

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Kennen Sie das: Andauernd komme ich mit meist älteren Menschen ins Gespräch, die mir erzählen, wie schwierig es doch sei, in der heutigen Zeit klarzukommen. Ja, heißt es dann meist, die Unfallgefahr beim Autofahren sei kleiner geworden und auch das Geldabheben habe seit der Einführung der Geldautomaten wirklich einfacher. Aber andererseits habe man jetzt auch keinen wirklichen Kontakt mehr mit den Bankangestellten, was ziemlich schade sei. Und erst diese ganzen Computer, diese Handys, das Internet, einfach schrecklich!

Gut, mögen Sie jetzt denken, wissen wir alles schon. Natürlich hat der Rentner, der 50 Jahre lang tagein tagaus nichts anderes zu tun hatte, als sich darum zu kümmern, dass die Hundehalsbänderschlaufen von der Hundehalsbänderschlaufeneinsetzmaschine auch tatsächlich an der richtigen Stelle am Hundehalsband eingesetzt werden, so seine Probleme mit der Technik. Bereits der Kauf einer Fahrkarte für die Straßenbahn stellt ihn vor nahezu unlösbare Probleme: Geben Sie die vierstellige Ortskennziffer ein und drücken Sie dann in der unteren Leiste die von Ihnen gewünschte Fahrkartenart. Ah ja! Oder besser gesagt: Wie bitte? Ich wollte doch eigentlich nur von der Schillerstraße zum Ostbahnhof…

Aber ich drifte ab, eigentlich will ich nämlich auf was anderes hinaus: Viele Leute mögen so ihre Probleme mit den Errungenschaften der Technik haben, wenn man sich aber einmal die vielen Vorzüge, die diese Technik bietet, tatsächlich zu Gemüte führt, muss man wohl zwangsläufig zu dem Ergebnis kommen, dass die Technik das Leben nicht nur vereinfacht hat, sondern vielmehr das Leben sogar ein wenig intensiver stattfindet, auch wenn der oben beschriebene Rentner daran vielleicht nicht direkt teilhaben kann.

Sagen wir mal so: Richtig ist, dass zwar die technischen Möglichkeiten als solche nicht von allen genutzt werden, im Endeffekt aber allen zugute kommen. Ich denke, dieser Ansatz kann anhand einer Geschichte, die sich vor nicht allzu langer Zeit hier im Forum abspielte, ganz gut illustriert werden. Um genau zu sein: Es passierte sogar gestern und heute, die Geschichte ist noch nicht einmal zu Ende erzählt.

Eine Userin, nennen wir der Diskretion wegen mal keine Namen, um sie aber personalisieren zu können, mag sie Dagmar genannt werden, berichtet, so wie es in Internetforen ja durchaus üblich ist, davon, demnächst eine größere Reise zu unternehmen. Sie freue sich darauf! Ja, sie rechne sogar damit, dass es das größte Abenteuer ihres Lebens werden könnte. Wie Recht sie damit hat, wusste sie da noch nicht.

Nun denn, nach einigen markigen Wünschen seitens der anderen User und nachdem bei sämtlichen Paidmailern der Urlaubsmodus aktiviert ist, startet unsere Userin gemeinsam mit ihrem Mann in den wohlverdienten Urlaub. Alles scheint perfekt: Das Schiff, dass die Eheleute ins skandinavische Paradies bringen soll, wird in souveräner Manier erreicht, die zugewiesene Kajüte hat die Art Charme, die man nur auf wirklich urigen Segelschiffen findet und sogar der Kapitän hat sich gleich am ersten Abend an den Tisch der Eheleute gesetzt und alte Seebärengeschichten vom Stapel gelassen.

Falls Sie sich nach dem Studium dieser Zeilen zu sehr an Sascha Hehns „Die 10 schönsten Momente aufm Traumschiff“ erinnert fühlen, mögen Sie mir das verzeihen, ich jedenfalls stelle mir so einen ersten Tag einer jeden Kreuzfahrt vor. Ich kenne es auch nicht anders, wobei ich gerne gestehe, noch nie auf einer Kreuzfahrt gewesen zu sein, ich bin noch nicht mal von der Schule gesegelt.

Gut, zugegeben, vielleicht lief es auch anders ab: Der Schiffsstewart Karl-Hein (ohne z), der unsere Eheleute an Bord begrüßt, hatte morgens tierischen Stress mit seiner „Alten“, weil er außerplanmäßig an dieser Fahrt teilnehmen muss, obwohl laut Dienstplan doch eigentlich Günther, und eben nicht er, diesen Turn begleiten sollte; da allerdings Günthers Schwester Gaby just diesen Samstag heiratet, hatte die Fregattenleitung entschieden, den Dienstplan dahingehend abzuändern, dass nun eben Karl-Hein auf diese Fahrt seinem Dienst nachzugehen habe, während Günther Sonderurlaub erhielt. Karl-Heins bessere Hälfte fühlte sich mal wieder zurückgesetzt, und hat ihrem Mann am Frühstückstisch den klassischen Vorwurf „Dir iss wohl Dein Job wichtiger als Deine Familie! Wehr Dich doch mal! Die können doch nicht alles mit Dir machen!“ unterbreitet, woraufhin ein Streit entbrannte, der sich schlussendlich sogar auf die fürchterliche Farbe der Küchenfenstervorhänge und das Nichtvorhandensein einer Brotschneidemaschine erstreckte. Mangels Versöhnung nur bedingt frohgemut hatte der Stewart Dagmar und ihren Gatten empfangen, deren extra für die Reise angeschaffte Seesäcke viel zu unsanft über die Reling aufs Schiff geworfen, dabei den Parfüm-Flakon von Dagmars neuem Lieblingsduft „Wild Serengeti“ zerbrochen und nur noch etwas von „Kajüte 453 iss Ihre“ gemurmelt, um sie sodann ihrem Schicksal zu überlassen.

Für den Kern der Geschichte ist aber egal, wie es ablief, ich wollte mich zum Thema „Menschliche Schicksale, beleuchtet unter dem besonderen Blickwinkel technischer Fortentwicklung“ äußern. Das mag jetzt wie ein Diplomarbeitsthema in der angewandten Computersoziologie klingen, kann aber manchmal auch einfach nur das Leben widerspiegeln. Also fahren wir mit unserer Geschichte fort:

Nach drei Tagen auf hoher See geschah, was nicht hätte geschehen dürfen: Dagmars Gatte erlitt ohne jedwede Vorwarnung bei einem Stadtspaziergang in der Stadt F., wo unser Traumschiff für einen Tag Zwischenstation machte, von einem Moment auf den anderen einen tragischen Herzinfarkt, musste umgehend in ein ortsansässiges Krankenhaus eingeliefert werden, und dort unter dem Einsatz mehrerer Mediziner notversorgt werden. Das Wichtigste vielleicht vorneweg: Er ist über den Berg, muss wohl noch einige Tage im Krankenhaus bleiben und sich nach seiner Heimkehr erst einmal schonen und seine Ernährung umstellen. Aber ansonsten ist er absolut außer Lebensgefahr.

So saß Dagmar nun ohne Papiere, nahezu ohne Geld und völlig ohne skandinavische oder englische Sprachkenntnisse in der Stadt F. fest, während ihr vermeintliches Traumschiff weitersegelte. Was hatte sie: Einen Gatten, der dem Tod noch mal von der Schippe gesprungen war, aber erst einmal im Krankenhaus bleiben muss; eine Tochter, die hilflos in ihrer Heimatstadt aufgrund zu weniger Informationen immer mehr verzweifelte; ein Handy, zu dem der PIN fehlte und einen Internetcafébetreiber, dem sie vermitteln konnte, dass sie gerne das Internet benutzen würde, um mit einigen Bekannten in der fernen Heimat in Kontakt zu treten. Hierin sah sie nämlich die einzige Chance: Vielleicht könnten ihr so die Adressdaten einer deutschen Botschaft in F. oder wenigstens jemanden, der ihre Sprache spricht vermittelt und zudem ihre Sachen oder ein Rückflug in ihre Heimat organisiert werden.

Was passierte: Keine 5 Minuten später hatte sie die Adresse des deutschen Honorarkonsulats in F., nach 8 Minuten die Notfallnummer der deutschen Botschaft des Landes, nach 25 Minuten war der Reiseveranstalter, der noch gar nicht entdeckt hatte, das jemand fehlt, informiert. Skurrilerweise brauchten die dann 7 Stunden, bis man überhaupt auf die Idee kam, Dagmars Sachen, die sich ja immer noch an Bord befanden, nach F. zu schaffen. Natürlich ging auch erst auf die Initiative von einem Community-Mitglieds!

Dagmar schrieb bei ihrem nächsten Besuch im Forum einen bemerkenswerten Satz:
Ihr fehlt mir, klamm ist wie zuhause im Moment.

Übrigens wird sie am Sonntag wieder in Deutschland sein (auch den Flug hat nicht der Reiseveranstalter organisiert, sondern ein Mitglied der Community). Ihr Mann wird wohl in einigen Tagen nachkommen, sobald er sich erholt hat. Die Tochter ist beruhigter und beginnt schon wieder damit, die Mutter zu veralbern.

Ob Dagmars Mann jemals das Internet benutzt hat, weiß ich nicht, aber jeder sieht, dass es sehr zur Beruhigung seiner Familie beigetragen hat.

Ein Ergebnis der heutigen technischen Möglichkeiten: Egal, wo man sich auf diesem Planeten befindet, schon ein Internetanschluss reicht, um sofort mit Menschen in der Heimat zu kommunizieren; und ganz bestimmt finden sich auch welche, die gerne mit Rat und Tat zur Seite stehen.

Zugegeben: Die Geschichte hat nur bedingt was mit der Ausgangsfrage zu tun, im Endeffekt beantwortet sich diese nämlich in gewisser Weise selbst. Es ging vielmehr darum, aufzuzeigen, um wie viel effektiver, schneller und trotzdem menschlich kommuniziert und geholfen werden kann, eben weil es die technischen Neuerungen gibt.

Und als Ratschlag: Bevor Sie das nächste Mal verzweifelt vor einem Busticketautomaten stehen, schauen Sie sich einfach um, irgendeiner aus der Bushaltestellen-Community wird Ihnen helfen, garantiert!

Riesenlob an alle, die geholfen haben!

Der_Tiger
 
Gefällt mir sehr gut, der Text! Eingängig und mit viel Humor geschrieben; hat Spaß gemacht ihn zu lesen! :biggrin: Eine Frage, auch wenn es unwichtig ist: Gab es wirklich so einen Vorfall oder hast du/habt ihr euch das ausgedacht?
 
Eine Frage, auch wenn es unwichtig ist: Gab es wirklich so einen Vorfall oder hast du/habt ihr euch das ausgedacht?

Jetzt, da "Dagmar" gut gelandet ist, antworte ich Dir gern:

Das einzige, was ich erfunden hab, waren die Geschichten "auf See" und bei Karl-Hein. Alles andere ist passiert.

Grüße D_T
 
Ich habe ja auch gedacht: Tolle Story! Aber vorhin habe ich zufällig "den" Thread entdeckt und gemerkt, das ist ja fast alles echt! Daß Lilly eh die beste ist wußte ich ja schon - aber das ist das Beste, was ich bisher an Klamm-Storys gehört habe. 8O 8)