Pflegekräftemangel abfedern: Ehrenamtliche helfen Älteren im Alltag

Der Pflegefachkräftemangel hat viele Gesichter. Je weniger Pflegekräfte es gibt, desto weniger Zeit bleibt beispielsweise für zwischenmenschliche Beziehungen. Gerade Pflegebedürftigen und Älteren, die nicht von Angehörigen versorgt werden können, droht dann Vereinsamung. Ein Unterstützungsnetzwerk aus ehrenamtlichen Helfern versucht Abhilfe zu schaffen.

Wäsche waschen, kochen, zum Arzt gehen, die Wohnung sauber halten - Was jahrelang ohne Probleme möglich war, wird für viele Menschen im Alter zu einer Herausforderung. Sie sind plötzlich auf Unterstützung angewiesen, etwa weil sie sich nicht mehr so gut bewegen können. Haben pflegebedürftige und ältere Personen keine Angehörigen in der Nähe, die sich regelmäßig um sie kümmern können, müssen sie auf Pflegedienste zurückgreifen oder in ein Pflegeheim umziehen.

Das Unterstützungsnetzwerk Dein Nachbar e.V. bietet nun eine Alternative. Es will mit "geschulten ehrenamtlichen Helfern Hilfsbedürftigen viel Zeit geben und sie und ihre Angehörigen bei der Verrichtung der täglichen Dinge unterstützen", sagt der Vorstandsvorsitzende Thomas Oeben. Die Helfer kommen aus der Nachbarschaft und kümmern sich beispielsweise ums Kochen oder Einkaufen, begleiten Hilfebedürftige bei Arztterminen oder verbringen beim Kartenspielen oder Spazierengehen einfach nur Zeit mit Älteren. Im Interview mit finanzen.de erläutert Oeben, warum der Verein gegründet wurde und wie sich dieser von einem Pflegedienst abhebt.

Wie kam es zu der Idee, Dein Nachbar e.V. zu gründen?

Thomas Oeben: Die Idee zum Aufbau eines effizienten und kostengünstigen sozialen Unterstützungsnetzwerks kam mir, als Ende 2014 das Thema demografischer Wandel sehr stark durch die Medien ging und im Magazin "Der Spiegel" jede Woche von einer anderen Seite beleuchtet wurde. Geschildert wurde der enorme Anstieg der Pflegebedürftigen bis zum Jahr 2030 um 50 Prozent auf 3,9 Millionen Menschen. Gleichzeitig geht die Zahl der potenziellen Helfer aus der Generation der 50- bis 64-Jährigen, die einen über 80-Jährigen versorgen könnten, um 34 Prozent zurück. Zudem werden 500.000 Pflegefachkräfte fehlen.

Ich war damals COO in einer mittelständischen Logistik Management AG, die flächendeckende europaweite Netzwerke für die Entsorgung mit einem sehr hohen Qualitätsanspruch der Automobil- und Elektrobranche mit unterschiedlichen Dienstleistern aufgebaut und zentral gesteuert hat. Basierend auf sehr schlank aufgestellten Prozessen und einer leistungsstarken IT haben wir über zwei Millionen Aufträge pro Jahr mit nur 50 Mitarbeitern abgewickelt.

Schnell haben wir begriffen, dass wir mit einem interdisziplinären Lösungsansatz einen sehr großen Beitrag zur Schließung der Versorgungslücke leisten können. Also gründeten zwei ehemalige Kollegen aus der Logistik, befreundete Ärzte und ich den gemeinnützigen Verein Dein Nachbar e.V. Wir bündelten damit logistisches Netzwerkmanagement-Knowhow mit der Erfahrung von Pflegefachkräften und der Aktivierung einer Vielzahl ehrenamtlicher Helfer zum Aufbau eines verbindlichen, überregionalen Unterstützungsnetzwerks. Die Prozesse wurden durch eine leistungsstarke IT-Infrastruktur untermauert und die aufwändige Helfersuche sowie die Verteilung der Einsätze digitalisiert, um die Administration äußerst schlank zu halten und eine beliebige Skalierbarkeit sicherzustellen.

Auf wie viele Helfer ist das Netzwerk seit der Gründung angewachsen?

Thomas Oeben: In zwei Jahren haben wir 280 ehrenamtliche Helfer gewonnen und 180 davon zum Alltagsbegleiter geschult, sodass sie auch pflegebedürftige Menschen betreuen und pflegende Angehörige unterstützen können.

Wie sind die Ehrenamtlichen im Rahmen ihrer Tätigkeit versichert, etwa wenn ihnen beim Spülen ein Teller herunterfällt oder sie verunfallen, wenn sie ältere Personen zum Arzt begleiten?

Thomas Oeben: Für unsere Ehrenamtlichen haben wir den maximalen Versicherungsschutz eingedeckt, da wir nicht möchten, dass ein engagierter Mensch für einen Fehler in die Haftung genommen wird. All unsere Helfer sind haftpflicht- und unfallversichert. Außerdem haben wir eine Dienstreisekaskoversicherung abgeschlossen, um für den Fall eines selbstverschuldeten Unfalls während eines Begleitdienstes maximal abgesichert zu sein.

Ihr soziales Unterstützungsnetzwerk konzentriert sich vor allem auf ältere und hilfsbedürftige Menschen. Welche Herausforderungen gehen mit Ihrer Arbeit einher?

Thomas Oeben: Anfangs, als noch niemand den Namen Dein Nachbar kannte, waren vor allem die Klienten misstrauisch. Wir hatten mit unserem Konzept aber von jeher einen hohen Zuspruch an ehrenamtlichen Helfern So schafften wir es, nach und nach auch durch die vertrauensvolle Arbeit unserer hauptamtlichen Pflegefachkräfte in der Pflegeberatung und in Schulungen von pflegenden Angehörigen uns einen guten Ruf im Stadtteil aufzubauen. In der Zwischenzeit erstreckt sich das Netzwerk über große Teile Münchens und erfreut sich einer hohen Nachfrage.

Die Leistungen von Dein Nachbar e.V. ähneln teilweise denen eines klassischen Pflegedienstes. Was ist das Besondere an Ihrem Service?

Thomas Oeben: Wir sehen uns als Ergänzung zu den Pflegediensten, da wir keine pflegerischen Tätigkeiten ausführen. Die Friedrich-Ebert-Stiftung schätzt den Mangel an Pflegefachkräften für das Jahr 2030 auf eine halbe Million Vollzeitstellen. Das heißt, Pflegedienste werden dem pflegerischen Bedarf nicht gerecht werden können und dementsprechend auch keine Zeit für die Betreuung von Klienten haben. Mit unserem Netzwerk an geschulten ehrenamtlichen Helfern möchten wir den Hilfsbedürftigen viel Zeit geben und sie und ihre Angehörigen bei der Verrichtung der täglichen Dinge unterstützen. Und das auf verbindliche und kostengünstige Art und Weise.

Bisher sind die ehrenamtlichen Helfer nur in München unterwegs. Planen Sie, den Nachbarschaftsdienst auch auf andere Städte auszuweiten?

Thomas Oeben: Wir sind in der Lage, in den nächsten paar Monaten drei Niederlassungen zu gründen. Jedoch ist es schwierig, für einen gemeinnützigen Verein die dafür benötigte Anschubfinanzierung zu sichern. Deshalb sind wir auf der Suche nach Kommunen, die sich daran beteiligen, und sozialen Investoren, die uns ein Darlehen mit einem fairen Zinssatz bereitstellen.

Vielen Dank für das Interview, Herr Oeben.

Verbrauchernews
[finanzen.de] · 25.07.2017 · 13:19 Uhr
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