Merkel verteidigt blutigen Afghanistan-Einsatz

Berlin (dpa) - Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat den Bundeswehreinsatz in Afghanistan trotz der steigenden Zahl toter deutscher Soldaten demonstrativ verteidigt.

Sie forderte in einer Regierungserklärung ein klares Bekenntnis und mehr Rückendeckung für die Soldaten. Die SPD will trotz Kritik am Mandat für den Bundeswehreinsatz festhalten. «Es wäre (...) ein Trugschluss zu glauben, Deutschland wäre nicht im Visier des internationalen Terrorismus», sagte Merkel im Bundestag. Bei einem sofortigen Abzug «würde Afghanistan in Chaos und Anarchie versinken.» Die Folgen wären unabsehbar. Die Gefahr, dass Nuklearmaterial in die Hände extremistischer Gruppen gelangt, würde erheblich steigen, sagte sie. Die internationale Gemeinschaft müsse gemeinsam aus Afghanistan herausgehen. «Handelte sie anders, dann wären die Folgen, das ist meine Überzeugung, weit verheerender als die Folgen der Anschläge vom 11. September 2001.»

Innerhalb von zwei Wochen waren in Afghanistan sieben deutsche Soldaten getötet worden. Merkel sprach den Angehörigen, Freunden und Kameraden ihr Mitgefühl aus. «Alle Soldaten, die in Afghanistan Dienst tun, verdienen unsere Solidarität und unser Mitgefühl.» Der Bundestag gedachte der Toten.

Merkel zeigte erneut Verständnis, den Einsatz als Krieg zu bezeichnen. «Das verstehe ich gut», sagte sie. «Niemand von uns verharmlost.» Unbeteiligte Menschen hätten ihr Leben auch infolge deutschen Handelns verloren. Dabei nannte sie den Luftschlag bei Kundus vom 4. September, bei dem bis zu 142 Menschen getötet oder verletzt wurden. Wegen dieses Vorfalls musste Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) am Donnerstag vor dem Untersuchungsausschuss des Bundestages erscheinen.

Die Kanzlerin rief den Bundestag auf, sich zum Einsatz zu bekennen. «Wir können von unseren Soldaten nicht Tapferkeit erwarten, wenn uns selbst der Mut fehlt, uns zu dem zu bekennen, was wir beschlossen haben», sagte Merkel. «Als Abgeordnete haben wir diesen Einsatz beschlossen und damit die Verantwortung dafür übernommen.» Merkel räumte Fehler ein. «Unsere Ziele waren zum Teil unrealistisch hoch oder sie waren zum Teil falsch.»

Merkel verteidigte die neue internationale Afghanistan-Strategie zur schnellen Übergabe der Sicherheitsverantwortung an die Afghanen. «Unser Einsatz ist nicht auf Dauer angelegt, aber auf Verlässlichkeit.» Die CDU-Chefin wiederholte die Aussage des früheren Verteidigungsministers Peter Struck (SPD), dass die Sicherheit in Deutschland auch am Hindukusch verteidigt werde. Sie wies Zweifel am Mandat zurück. «Dieses Mandat ist über jeden vernünftigen völkerrechtlichen und verfassungsrechtlichen Zweifel erhaben.»

SPD-Chef Sigmar Gabriel warnte vor «Kriegsrhetorik». «In einer so elementaren Frage müssen wir Politiker mehr sein als ein Echolot öffentlicher Gefühle.» Er warf der Regierung vor, sie habe keine klare Haltung zum Kriegsbegriff. Gabriel bekannte sich zum geltenden Bundestagsmandat für den Einsatz. «Wir wollen das Mandat nicht ändern.» Zuvor hatte er von der Regierung gefordert, ein neues Mandat zu überdenken, wenn sie von Krieg spreche.

FDP-Fraktionschefin Birgit Homburger sagte: «Wir stehen zu diesem Einsatz.» Das Mandat biete eine «gute und rechtlich korrekte Grundlage». Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin sieht offene Fragen. Auch nach der Regierungserklärung von Merkel bleibe unklar, wofür die Soldaten ihren Kopf hinhielten und wie lange noch. Linksfraktionschef Gregor Gysi warnte vor einem Fiasko. «Man kann mittels Krieg Terrorismus nicht bekämpfen, man erzeugt nur neuen.»

Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) sagte, Auftrag und Ziel des Einsatzes müssten immer wieder neu überprüft werden. Der FDP- Abgeordnete Martin Lindner kassierte für die Beleidigung Gysis eine Rüge. Als Gysi mehr Psychiater für die Soldaten forderte, sagte Lindner: «Sie brauchen auch einen.» Gysi entgegnete: «Sie können mich ruhig als geistig gestört betrachten, aber das sagt etwas über Ihr Niveau, nicht über mein Niveau.»

Konflikte / Bundeswehr / Bundestag / Afghanistan
22.04.2010 · 23:34 Uhr
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