Merkel bei Atom unter Druck - BDI zieht Konsequenzen

Berlin (dpa) - Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) gerät mit ihrer umstrittenen Atom-Kehrtwende vor zwei wichtigen Landtagswahlen immer stärker in Bedrängnis.

Während die Opposition ein endgültiges Abschalten der ältesten Atomkraftwerke fordert, warnen RWE-Chef Jürgen Großmann und Altkanzler Helmut Kohl vor Aktionismus. Am Sonntag könnte es nach der Katastrophe von Fukushima in Baden-Württemberg und in Rheinland-Pfalz zu rot-grünen Mehrheiten kommen.

Nachdem umstrittene Äußerungen von Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) in einer Sitzung des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) nach draußen gedrungen waren, zog der BDI am Freitag personelle Konsequenzen. Hauptgeschäftsführer Werner Schnappauf trat zurück. Brüderle soll laut einem BDI-Protokoll gesagt haben, das Atom-Moratorium sei vor allem dem Wahlkampf geschuldet.

Der BDI und Brüderle sprechen von einem Protokollfehler, Brüderles Sprecherin betonte am Freitag: «Er hat alle Beschlüsse mitgetragen, die die Bundesregierung veröffentlicht hat.» Laut «Süddeutscher Zeitung» bestätigte aber ein Teilnehmer der BDI-Runde am 14. März, dass Brüderle das Atom-Moratorium mit den Wahlen begründet habe.

Als Lehre aus dem Nuklearunfall von Fukushima beschloss die EU bei ihrem Gipfel am Freitag Sicherheitschecks für alle 143 AKW in Europa. «Das ist ein eindeutiger Fortschritt», sagte Merkel in Brüssel. Auch für Europa gelte nach der Atomkatastrophe in Japan: «Wir können nicht zur Tagesordnung übergehen.»

RWE-Chef Jürgen Großmann warnte Merkel vor einem nationalen Alleingang und zu drastischen Schritten in der Atompolitik. «Wir stehen für den sicheren Betrieb unserer Anlagen», betonte Großmann in einem Schreiben an die rund 40 Unterzeichner des «Energiepolitischen Appells», mit dem 2010 vor dem Votum für die Laufzeitverlängerung für die Kernenergie als Brückentechnologie geworben worden war.

In dem Schreiben, das der dpa vorliegt betont Großmann, es bestehe kein Anlass zu übereiltem Handeln, Deutschland stehe mit dem Atom-Moratorium isoliert da. «Wenn jetzt Beschlüsse gefasst würden, die eine sachliche Auseinandersetzung um den Betrieb der deutschen Kernkraftwerke erschweren oder sogar unmöglich machen, kann das massive Auswirkungen auf den Wirtschaftsstandort Deutschland nach sich ziehen.»

Jochen Stay, Sprecher der Anti-Atom-Organisation «ausgestrahlt» sagte dazu: «Großmanns Aussage ist zynisch angesichts der aktuellen Auswirkungen der Atomenergie-Nutzung auf den Wirtschaftsstandort Japan. Nicht ohne AKWs gehen die Lichter aus, sondern - siehe Fukushima - mit der Atomkraft.» Am Samstag wollen mehr als 100 000 Menschen in Berlin, Hamburg, München und Köln gegen den Atomkurs von Union und FDP demonstrieren.

Merkel hatte die vorübergehende Abschaltung der sieben ältesten AKW angeordnet. Nach dem 15. Juni soll entschieden werden, ob die sieben AKW sowie der nach Pannen stillstehende Meiler Krümmel wieder ans Netz dürfen. Die Opposition wirft Merkel ein Wahlkampfmanöver vor den Wahlen am Sonntag in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz vor und sieht sich durch Brüderles angebliche Äußerungen bestätigt.

Dass das BDI-Sitzungsprotokoll an die Öffentlichkeit gedrungen war, wird vor allem Schnappauf angelastet. Der frühere bayerische CSU-Umweltminister sagte zu seinem Rücktritt: «Ich übernehme die politische Verantwortung für die Folgen einer Indiskretion, an der ich persönlich nicht beteiligt war, um möglichen Schaden für das Verhältnis von Wirtschaft und Politik abzuwenden.»

BDI-Präsident Hans-Peter Keitel zollte Schnappauf Respekt für seine Entscheidung und dankte ihm für die seit November 2007 geleistete «vertrauensvolle und erfolgreiche Arbeit». Die Aufgaben Schnappaufs sollen bis auf weiteres die Mitglieder der BDI-Hauptgeschäftsführung Dieter Schweer und Stefan Mair übernehmen.

SPD-Chef Sigmar Gabriel sagte zum angeblich auch von Koalitionären geforderten Aus: «Die panischen Reaktionen der Bundesregierung aus Angst vor den bevorstehenden Landtagswahlen werden immer mehr zur Farce.» Grünen-Fraktionsvize Bärbel Höhn sagte: «Um ihre Glaubwürdigkeit zu retten, muss die Bundesregierung jetzt wirkliche Sicherheitsüberprüfungen der AKW auf den Weg bringen.» Linke-Chef Klaus Ernst forderte den Rücktritt Brüderles: «Brüderle ist derjenige, der persönliche Konsequenzen ziehen muss. Seine politische Restlaufzeit ist nahe Null», sagte er der «Leipziger Volkszeitung» (Samstag).

Altkanzler Helmut Kohl warnte in einem Beitrag für die «Bild»-Zeitung vor einer Kehrtwende in der Atompolitik. «Die Lehre aus Japan darf jetzt nicht die berühmte Rolle rückwärts sein», schrieb Kohl. «In Deutschland hat sich dadurch erst einmal und unmittelbar gar nichts verändert.» Dagegen hatte Bundeskanzlerin Merkel am 12. März gesagt: «Die Geschehnisse in Japan, sie sind ein Einschnitt für die Welt.» Auch Deutschland könne da «nicht einfach zur Tagesordnung übergehen». Kohl betonte, die anstehende AKW-Überprüfung sei richtig.

Nach einer Reaktorschnellabschaltung beim Herunterfahren des AKW Isar I verlangt Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) Details zu dem Vorfall. Der Betreiber Eon hatte mitgeteilt, dass es am Donnerstag vergangener Woche, nachdem Isar 1 bereits sicher vom Netz getrennt worden sei, zur Schnellabschaltung gekommen war.

Atom / Deutschland(
25.03.2011 · 18:11 Uhr
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