Koalition streitet um Verteilung der Mehreinnahmen
Berlin (dpa) - Der Super-Aufschwung lässt die Steuerkassen von von Bund, Ländern und Kommunen klingeln. Bis Ende 2012 können sie dank des Konjunkturbooms mit rund 61 Milliarden Euro mehr Steuern rechnen als geplant.
Das von den Steuerschätzern am Donnerstag vorausgesagte Einnahmeplus heizt den Streit in der schwarz-gelben Koalition über rasche und größere Steuersenkungen weiter an.
Kanzlerin Angela Merkel und Finanzminister Wolfgang Schäuble (beide CDU) erteilten Forderungen aus den eigenen Reihen nach raschen Entlastungen für Bürger und Wirtschaft erneut eine Absage. Es gebe dafür derzeit keine Spielräume.
«Wir werden dieses Jahr im Bundeshaushalt immer noch um die 50 Milliarden Euro Schulden machen», sagte Merkel. Allenfalls geringe Senkungen durch eine Steuervereinfachung seien denkbar. Schäuble stellte Entlastungen von 500 Millionen Euro durch ein entstaubtes Steuerrecht in Aussicht. Eine umfassende Vereinfachung sei wesentlich teurer und liege wohl im zweistelligen Milliardenbereich.
Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) sieht Spielräume für Steuersenkungen. «Wir wollen auch den Freiraum schaffen, dass wir steuerlich die Mitte entlasten.» Er gehe fest davon aus, dass Schwarz-Gelb noch in dieser Wahlperiode gemeinsam handeln werde.
Der haushaltspolitische der FDP-Bundestagsfraktion, Otto Fricke, warnte, die höheren Steuereinnahmen dürften nicht zu erneuten Sündenfällen verleiten. Die erwarteten Steuermehreinnahmen führten nur dazu, dass weniger Schulden aufgenommen werden müssen.
Die neue Prognose ist eine der stärksten Einnahmeverbesserungen in der 55-jährigen Geschichte des Schätzerkreises. Für dieses Jahr rechnen die Experten mit einem Einnahmeplus im Vergleich zur Mai- Prognose von 15,2 Milliarden Euro. Für 2011 werden Mehreinnahmen von 22,4 Milliarden Euro erwartet und für 2012 von 23,4 Milliarden Euro.
Noch im Mai hatten die Schätzer Milliardenausfälle vorhergesagt. Jetzt zeichnet sich für 2012 ein Rekord-Steueraufkommen von 563,2 Milliarden Euro ab. Der bisherige Spitzenwert fiel auf das Vorkrisenjahr 2008 mit 561,2 Milliarden Euro.
Der Bund kann in diesem Jahr ein Steuerplus von 7,4 Milliarden Euro im Vergleich zur Mai-Schätzung erwarten. In den Folgejahren könnten es 8,1 Milliarden und 8,8 Milliarden Euro werden. Für die Länder hat der Schätzerkreis Mehreinnahmen von insgesamt 22,8 Milliarden Euro vorausgesagt. Für die Kommunen soll sich das Gesamtplus bis Ende 2012 auf rund 14,2 Milliarden Euro belaufen. Hinzu kommen kleinere Zahlungen an die EU oder aus Brüssel.
Auch Kommunalverbände warnten vor Steuersenkungen, die zusätzliche Lasten für Städte und Gemeinden bedeuteten. Städtetags-Präsidentin und Frankfurts Oberbürgermeisterin Petra Roth sagte: «Die steigenden Steuereinnahmen sind erfreulich, aber sie können die riesigen kommunalen Haushaltsprobleme nicht lösen.»
Erstmals in der bundesdeutschen Geschichte müssten die Kommunen mit einem zweistelligen Milliardendefizit rechnen, hieß es. Der Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes, Gerd Landsberg, erklärte: «Unsere Lage bleibt dramatisch, wir müssen dringend bei den mehr als 40 Milliarden Euro Sozialkosten entlastet werden.»
Die SPD-Politiker Joachim Poß, Carsten Schneider und Nicolette Kressl erklärten, weitreichende Steuersenkungen blieben auf absehbare Zeit unfinanzierbar. Die Regierungskoalition sollte sich Warnungen auch aus CDU-geführten Ländern und den Kommunen zu Herzen nehmen.
Die Grünen-Politiker Alexander Bonde und Fritz Kuhn verwiesen darauf, dass die Mehreinnahmen nichts an der Wirklichkeit änderten: «Noch immer macht der Bund Rekordschulden.» Die Koalition fange aber jetzt schon wieder an, über Steuersenkungen zu fantasieren. Barbara Höll von den Linken erklärte, die Steuerschätzung zeige, «dass die im Sparpaket beschlossenen Sozialkürzungen vollkommen unnötig sind».
Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt forderte die Bundesregierung auf, «konsequent an ihrem Konsolidierungskurs festzuhalten». Die zusätzlichen Gelder müssten genutzt werden, um die derzeitige Rekordschuldenhöhe schneller abzubauen.